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Quelle: www.imago-images.de

Kampagne gegen Corona-Impfungen

Wenn Flugblätter Angst verbreiten

Seit einiger Zeit landen in vielen Briefkästen Flyer, die vor einer Corona-Impfung und deren Folgen warnen. Dabei werden auch Behauptungen aufgestellt, die einer genaueren Prüfung kaum standhalten. Auf den ersten Blick ist das aber für viele Empfänger nicht zu erkennen.

Die Frage, ob man sich gegen Corona impfen lässt, ist derzeit allgegenwärtig. Im Internet finden sich dazu zahlreiche wissenschaftliche Beiträge, die Informationen bieten und Aufschluss geben sollen.

Seit einigen Monaten geht auch eine gegenläufige Kampagne durch alle Bundesländer – und zwar ganz analog: Es werden Flyer verteilt, in denen behauptet wird, die Impfung könne krank machen, und die Bundesregierung schüre eine "medizinisch unbegründete Panik" vor Corona. Das Recherchezentrum "Correctiv" hat sich mit dem Thema beschäftigt – und knapp 200 verschiedene Flugblätter gezählt, auch in Berlin und Brandenburg landen sie in vielen Briefkästen.

"Freiheitsboten" betreiben die Kampagne mit

Einer der Akteure dieser Kampagne ist eine Gruppe, die sich "Freiheitsboten" nennt. Sie geht auf eine Idee des hessischen HNO-Arztes Bodo Schiffmann zurück. Er produzierte Youtube-Videos, die hunderttausendfach geklickt wurden, so wurde er bundesweit bekannt als "Corona-Skeptiker".

Die "Freiheitsboten" seien Teil einer bundesweiten Desinformationskampagne zum Thema Corona, an der sich auch andere Gruppen beteiligten, sagt Uschi Jonas von "Correctiv" dem rbb. "Was auf diesen Flyern verbreitet wird ist irreführend und oft unbelegt, die Pandemie wird darauf oft einseitig dargestellt und es beinhaltet oft Meinung und wenig Fakten." Da würden Dinge verbreitet wie "Pandemie ist Fake" oder "Masken sind gesundheitsschädlich", sagt Jonas.

"Oft sind es dieselben Personen, die dort auftauchen, die schon seit Monaten Gerüchte und Falschinformationen über die Pandemie verbreiten", so Jonas weiter. "Und wenn man sich diese Personen anschaut, sieht man auch, dass dahinter vielleicht gar keine Ärzte stecken, die sich mit diesem Thema auskennen."

Fachleute widersprechen

Der November-Flyer der "Freiheitsboten" thematisierte die Schutzimpfung und die neuen Impfstoffe. Der Text warnte vor der Impfung, vor offenen Langzeit-Risiken und kaum absehbaren Schäden wie zum Beispiel Unfruchtbarkeit. Die "Panik wegen Corona" sei unbegründet, ungewöhnlich viele Sterbefälle habe es nicht gegeben.

Fachleute halten dagegen: Die Behauptung, der Impfstoff mache unfruchtbar, stimme nicht. Und Nebenwirkungen träten in der Regel innerhalb der ersten vier bis sechs Wochen auf. "Es ist natürlich richtig, dass man Langzeitwirkungen nicht kennt", sagt Jens Sobotta von der Ärztekammer Brandenburg. "Aber man hat die Vergleiche zu anderen Impfstoffen, die wir im Zusammenhang mit der Grippe kennen. Und das kann man ganz gut ins Verhältnis setzen." Die Hersteller dieser Grippe-Impfstoffe wüssten natürlich auch, was sie täten, sagt Sobotta: "Nicht umsonst bekommt ein solcher Impfstoff in Europa erst nach längerer Prozedur die Zulassung durch die EMA." (European Medicines Agency)

Auch die Einschätzung der Sterbefälle habe sich als falsch erwiesen, sagt Sobotta: "Das ist aus heutiger Sicht voll und ganz widerlegt. Wir haben in der zweiten Dezemberhälfte 2020 eine coronabedingte Übersterblichkeit von bis zu 25 Prozent beobachten können."

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Nicht netz-affine Menschen können schlecht nachrecherchieren

Nach dem Faktencheck von "Correctiv" ist Freiheitsboten ein Netzwerk, das sich auf den Messenger-Dienst Telegram stützt und einige hundert aktive regionale Gruppen hat, die die Flyer-Kampagne durch große Teile Deutschlands tragen. Von wem die Druckkosten finanziert werden, ist offen.

Mit Flyer-Aktionen erreichen Freiheitsboten und andere Gruppen auch die Menschen, die nicht oder nur wenig im Netz unterwegs sind, sagt Uschi Jonas. Das sei eine Gefahr, denn bei einem bloßen Flyer habe man nicht die Möglichkeit, die Informationen gegenzuchecken. Das sei im Internet viel eher möglich. "Oft hilft es, bestimmte Begriffe und Themen einzugeben ins Netz, vielleicht sogar in Kombination mit dem Wort 'Faktencheck' zu suchen", sagt Jonas. "Oder man kann auch schauen, ob man in seriösen Medien Artikel findet, die sich auf dieses Thema beziehen. Wenn das nirgends dort erscheint, ist es oft ein Hinweis auf eine Falschbehauptung."

Auch der erste Eindruck könne schon eine Menge aussagen, sagt die "Correctiv"-Rechercheurin: "Man kann immer schauen: Kommt einem die Sprache in diesem Flyer sehr emotional vor und ein bisschen hetzerisch vielleicht, dann kann man schon mal ein bisschen hellhörig werden."

Bezüge zu Attila Hildmann und Ken Jebsen

Einige Ortsgruppen der Freiheitsboten weisen nach "Correctiv"-Recherchen eine Nähe zur "Querdenken"-Szene auf, teilen Videos von Attila Hildmann und Ken Jebsen. Auf ihrer Website "freiheitsboten.org" wirbt die Gruppe für einen "differenzierten Blick auf die Krise". Die politische Botschaft ist dann eindeutig: Gewarnt wird vor einer "Expertokratie", die Alte wegsperrt, die Jungen die Bildungschancen raubt und die übrigen in den Lockdown schickt.

Von "Correctiv" befragte Sicherheitsbehörden warnten vor der Verbreitung von Falschinformationen, auch durch solche Flyer-Aktionen. Strafrechtlich relevant sind die Flyer aber bisher in keinem Bundesland geworden.

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