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Quelle: dpa/M. Bein

Impfpflicht in Alten- und Pflegeheimen

"Jeder gibt ein Stück Freiheit auf, um zu überleben"

Die Impfpflicht für Altenheim- und Pflegepersonal wird sehr wahrscheinlich kommen. Die Einrichtungen stürzt das in einen Konflikt: Sie stehen zwischen Personalmangel und Gesundheitsschutz. Von Ann Kristin Schenten

Roland Steinke (85) nimmt zwar keine zwei Stufen mehr auf einmal, die Treppe zu seinem Zimmer läuft er trotzdem zügig hoch. Er wirkt fit, ist aber seit einer Tumorerkrankung im letzten Sommer auf Pflege angewiesen. Steinke lebt im Caritas-Seniorenzentrum Kardinal Bengsch. Das Haus liegt in Berlin-Charlottenburg, direkt an der Spree.

Steinke kennt die Altenpflege nur mit Corona. "Überhaupt in einem Pflegeheim leben zu müssen, ist schon eine schwere Einschränkung - wenigstens die Angehörigen müssen einen dann doch noch besuchen dürfen", sagt er. Seine Geschwister und Freunde hätten ihn schon häufiger besucht, doch meistens telefonierten sie.

Jetzt, wo draußen die Inzidenzen raketenartig steigen, verändert sich auch das Leben im Seniorenzentrum. Die Bewohner dürfen sich nicht mehr in großen Gruppen sehen, es gilt die Maskenpflicht. Beim Blick auf Weihnachten wird vielen, auch Steinke, mulmig - die Frage, ob der Weihnachtsbesuch dieses Jahr überhaupt kommen kann, steht im Raum.

Noch darf der Besuch kommen - mit Test

"Für einige hier wird es das letzte Weihnachten sein", sagt Bärbel Arwe, Geschäftsführerin der Caritas-Altenpflege. Noch ist Besuch erlaubt. Wer das Seniorenzentrum betreten will und nicht zum Personal gehört, muss einen tagesaktuellen Test vorweisen. Es gilt wieder die FFP2-Maskenpflicht. Nur Lebenspartner dürfen die Maske im Zimmer abnehmen.

Auch das Pflegepersonal wird regelmäßig getestet. Ungeimpfte müssen sich täglich testen. Allerdings liegt die Impfquote in diesem Haus nach Angaben der Pressesprecherin der Caritas-Altenpflege, Claudia Appelt, bei nahezu hundert Prozent. Nur eine Mitarbeiterin müsse noch ein paar Tage auf ihren vollständigen Impfschutz warten. "Im Schnitt sind allerdings nur achtzig Prozent der Pflegekräfte in Berliner Einrichtungen geimpft", so Appelt.

Für den Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner birgt das Gefahren. Immer wieder infizieren sich Bewohner, weil sie sich bei ungeimpften Pflegern oder Pflegerinnen anstecken. Manche von ihnen sterben, wie zuletzt im Altenheim am Werbellinsee.

Interview | Impfpflicht in Ost und West

"Das Impfen gehörte zur DNA der DDR"

Befürworter einer Impfpflicht verweisen oft auf die Impf-Erfolge der DDR: Hier wurde ohne Wenn und Aber geimpft. Doch war das wirklich erfolgreich? Ein Interview mit dem Medizinhistoriker Malte Thiessen, der zu dieser Frage geforscht hat.

Dilemma: Impfpflicht oder Pflegenotstand?

Wer nicht geimpft ist und in der Pflege arbeitet, soll bald zur Impfung verpflichtet werden. So hat es die Bund-Länder-Konferenz letzte Woche beschlossen. Auch der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) will die Teilimpfpflicht möglichst schnell durchsetzen. Geschäftsführerin Bärbel Arwe, ist besorgt: "Bei den Einrichtungen, wo jetzt 15 Prozent der Mitarbeiterinnen nicht geimpft sind, bedeutet das natürlich, dass mit gesetzlichen Regelungen und der Impfpflicht diese Mitarbeiterinnen nicht mehr zur Verfügung stünden."

Dass eine Impfpflicht die angespannte Situation in der Pflege zum Zerreißen bringt, ist nicht unwahrscheinlich. Die Tests für Besucherinnen und Besucher kann das Seniorenzentrum in Charlottenburg schon jetzt nicht mehr allein stemmen und wünscht sich Hilfe. Die Leiterin des Sozialen Diensts, Judith Capp, sagt: "Eigentlich wäre es ganz einfach, wir sind aktuell voll besetzt, aber immer noch zu wenige - mehr Personal wäre gut. Und selbst wenn es kein Pflegepersonal ist, nur Menschen, die kleine Aufgaben übernehmen, wie Tischdecken oder da sein." Was wiegt also schwerer: Der Pflegenotstand, oder das Personal, das sich nicht impfen lässt?

Für Bärbel Arwe ist das nicht pauschal zu beantworten, sie sagt aber: "Ich würde sagen, wenn hier unsere Bewohnerinnen und Bewohner wieder damit belastet werden, dass sie in Quarantäne gehen, dass sie in ihren Zimmern in Isolation gehen, ich glaube da wäre für mich der Punkt erreicht, wo ich sage, ich bin für die Impfpflicht der Mitarbeiterinnen."

Impfen zum Wohle der anderen

Bewohner Roland Steinke war früher Pfarrer und meint: "Ich verstehe natürlich die Ängste, wenn man sich nicht impfen lassen will. Aber ich denke, jeder gibt ein Stück Freiheit auf, um zu überleben. Und das gilt hier auch in Gesundheitsdingen. Wenn notwendig, muss man eben ein Stück seiner Freiheit aufgeben und zum Wohle der anderen auch Schritte machen - zum Beispiel das Impfen auf sich nehmen."

Noch befindet man sich hier im Caritas-Seniorenzentrum, wie auch in anderen Berliner Einrichtungen, in einer Art Vakuum. Zwischen Testpflicht und Impfpflicht gibt es viele Unsicherheiten. Klare Regeln würden das Leben hier für alle einfacher machen. Bis die Impfpflicht in Kraft tritt, wird es wohl noch einige Wochen dauern.

Beitrag von Ann Kristin Schenten

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