Impfpflicht in Alten- und Pflegeheimen - "Jeder gibt ein Stück Freiheit auf, um zu überleben"

Mi 24.11.21 | 06:14 Uhr | Von Ann Kristin Schenten
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Symbolbild: Eine Spritze wird mit einem Corona-Impfstoff aufgefüllt. (Quelle: dpa/M. Bein)
Bild: dpa/M. Bein

Die Impfpflicht für Altenheim- und Pflegepersonal wird sehr wahrscheinlich kommen. Die Einrichtungen stürzt das in einen Konflikt: Sie stehen zwischen Personalmangel und Gesundheitsschutz. Von Ann Kristin Schenten

Roland Steinke (85) nimmt zwar keine zwei Stufen mehr auf einmal, die Treppe zu seinem Zimmer läuft er trotzdem zügig hoch. Er wirkt fit, ist aber seit einer Tumorerkrankung im letzten Sommer auf Pflege angewiesen. Steinke lebt im Caritas-Seniorenzentrum Kardinal Bengsch. Das Haus liegt in Berlin-Charlottenburg, direkt an der Spree.

Steinke kennt die Altenpflege nur mit Corona. "Überhaupt in einem Pflegeheim leben zu müssen, ist schon eine schwere Einschränkung - wenigstens die Angehörigen müssen einen dann doch noch besuchen dürfen", sagt er. Seine Geschwister und Freunde hätten ihn schon häufiger besucht, doch meistens telefonierten sie.

Jetzt, wo draußen die Inzidenzen raketenartig steigen, verändert sich auch das Leben im Seniorenzentrum. Die Bewohner dürfen sich nicht mehr in großen Gruppen sehen, es gilt die Maskenpflicht. Beim Blick auf Weihnachten wird vielen, auch Steinke, mulmig - die Frage, ob der Weihnachtsbesuch dieses Jahr überhaupt kommen kann, steht im Raum.

Noch darf der Besuch kommen - mit Test

"Für einige hier wird es das letzte Weihnachten sein", sagt Bärbel Arwe, Geschäftsführerin der Caritas-Altenpflege. Noch ist Besuch erlaubt. Wer das Seniorenzentrum betreten will und nicht zum Personal gehört, muss einen tagesaktuellen Test vorweisen. Es gilt wieder die FFP2-Maskenpflicht. Nur Lebenspartner dürfen die Maske im Zimmer abnehmen.

Auch das Pflegepersonal wird regelmäßig getestet. Ungeimpfte müssen sich täglich testen. Allerdings liegt die Impfquote in diesem Haus nach Angaben der Pressesprecherin der Caritas-Altenpflege, Claudia Appelt, bei nahezu hundert Prozent. Nur eine Mitarbeiterin müsse noch ein paar Tage auf ihren vollständigen Impfschutz warten. "Im Schnitt sind allerdings nur achtzig Prozent der Pflegekräfte in Berliner Einrichtungen geimpft", so Appelt.

Für den Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner birgt das Gefahren. Immer wieder infizieren sich Bewohner, weil sie sich bei ungeimpften Pflegern oder Pflegerinnen anstecken. Manche von ihnen sterben, wie zuletzt im Altenheim am Werbellinsee.

Dilemma: Impfpflicht oder Pflegenotstand?

Wer nicht geimpft ist und in der Pflege arbeitet, soll bald zur Impfung verpflichtet werden. So hat es die Bund-Länder-Konferenz letzte Woche beschlossen. Auch der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) will die Teilimpfpflicht möglichst schnell durchsetzen. Geschäftsführerin Bärbel Arwe, ist besorgt: "Bei den Einrichtungen, wo jetzt 15 Prozent der Mitarbeiterinnen nicht geimpft sind, bedeutet das natürlich, dass mit gesetzlichen Regelungen und der Impfpflicht diese Mitarbeiterinnen nicht mehr zur Verfügung stünden."

Dass eine Impfpflicht die angespannte Situation in der Pflege zum Zerreißen bringt, ist nicht unwahrscheinlich. Die Tests für Besucherinnen und Besucher kann das Seniorenzentrum in Charlottenburg schon jetzt nicht mehr allein stemmen und wünscht sich Hilfe. Die Leiterin des Sozialen Diensts, Judith Capp, sagt: "Eigentlich wäre es ganz einfach, wir sind aktuell voll besetzt, aber immer noch zu wenige - mehr Personal wäre gut. Und selbst wenn es kein Pflegepersonal ist, nur Menschen, die kleine Aufgaben übernehmen, wie Tischdecken oder da sein." Was wiegt also schwerer: Der Pflegenotstand, oder das Personal, das sich nicht impfen lässt?

Für Bärbel Arwe ist das nicht pauschal zu beantworten, sie sagt aber: "Ich würde sagen, wenn hier unsere Bewohnerinnen und Bewohner wieder damit belastet werden, dass sie in Quarantäne gehen, dass sie in ihren Zimmern in Isolation gehen, ich glaube da wäre für mich der Punkt erreicht, wo ich sage, ich bin für die Impfpflicht der Mitarbeiterinnen."

Impfen zum Wohle der anderen

Bewohner Roland Steinke war früher Pfarrer und meint: "Ich verstehe natürlich die Ängste, wenn man sich nicht impfen lassen will. Aber ich denke, jeder gibt ein Stück Freiheit auf, um zu überleben. Und das gilt hier auch in Gesundheitsdingen. Wenn notwendig, muss man eben ein Stück seiner Freiheit aufgeben und zum Wohle der anderen auch Schritte machen - zum Beispiel das Impfen auf sich nehmen."

Noch befindet man sich hier im Caritas-Seniorenzentrum, wie auch in anderen Berliner Einrichtungen, in einer Art Vakuum. Zwischen Testpflicht und Impfpflicht gibt es viele Unsicherheiten. Klare Regeln würden das Leben hier für alle einfacher machen. Bis die Impfpflicht in Kraft tritt, wird es wohl noch einige Wochen dauern.

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Beitrag von Ann Kristin Schenten

11 Kommentare

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  1. 11.

    "Ungeimpfte Personen sind Virenschleudern in Reinstkultur,.."
    Nicht zu glauben,was für ein Unsinn hier durchgeht.

    Zweite Grafik:
    https://www.rbb24.de/panorama/thema/corona/beitraege/2021/10/winter-steigende-inzidenz-ausblick.html

  2. 10.

    @ Till: von wem wird denn der geimpfte angesteckt? Höchstwahrscheinlich vom ungeimpften. Und Sie verlangen von anderen, erst mal nachzudenken. Bitte selber anfangen.

  3. 9.

    Das macht das fehlende Handeln umso unverständlicher. Danke für den Kommentar, ich wusste die Rechtslage gar nicht.

  4. 8.

    Muss man das noch immer erklären ?:
    weil die Verweigerung der Impfung u.A.zur Mutation des Virus maßgeblich beiträgt d.h. ohne die sogenannte Herdenimmunität werden wir da nicht raus kommen. Zu Kinder : ja, die haben vielleicht nicht so schwere Verläufe allerdings sind auch die Kinder ( wie die Erwachsenen) die ungeimpft sind hochansteckende Überträger für Alle ob geimoft oder ungeimpft .Hätten wir die Pflicht der Schutzimpfungeng gegen Polio, Pocken,Diphterie etc etc nicht gehabt gäbe es heute diese ewigen Diskussionen nicht ob ethisch ,demokratisch oder Datenschutzrechtlich konform denn jeder hätte die Todesfälle vor Augen und die schweren Folgen ein Leben lang für die Überlebenden der "Infektionen" .
    Von den wirtschaftlichen Folgen für Alle die ihren Job, Existenz verloren haben und noch verlieren werden davon reden wir hier nicht , nein auch nicht von denen die ihr Leben verloren haben weil es noch keinen Impfstoff gab.

  5. 7.

    „ Insgesamt sehe ich eine allgemeine Impfpflicht schwierig.“
    Warum denn nur??? Was ist an eigener Gesunderhaltung und der von den Mitmenschen denn soooo schwierig?
    Was geht nur in den Gehirnen dieser Impfverweigerer vor? Das ist doch nicht mehr normal.

  6. 6.

    Es geht nicht um Schuldige und Unschuldige, um sie mal aus ihrer Opfetstilisierung heraus zu bekommen. Es geht um Einsicht in Notwendigkeit. Nur so entsteht Freiheit. Sie wird ihnen nicht genommen, sondern sie erarbeiten sie sich. Allerdings Voraussetzung ist, sie sind dazu in der Lage. Ansonsten bleibt geimpft oder genesen oder gestorben.

  7. 5.

    Aber diese Behauptung stimmt so nicht. Das Risiko was von ungeimpften Personen ausgeht ist x-mal höher als von geimpften Personen. Ungeimpfte Personen sind Virenschleudern in Reinstkultur, mal ganz abgesehen, dass bei der natürlichen Immunsierung auch die eigene Gesundheit aufs Spiel gesetzt wird. Es kann Ihnen nämlich niemand sagen wie das russische Roulette ausgeht. Mathematisch kann man ihnen im Zusammenhang einiger Parameter nur sagen wie groß die Trommel ist und dementsprechend wieviele Patronenkammern leer sind. Bei der Infektion anderer können Sie auch das Revolveräquivalent anwenden. Bei den Geimpften sind die Trommeln da sehr groß und haben dementsprechend viele leere Patronenkammern.

  8. 4.

    "Auch der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) will die Teilimpfpflicht möglichst schnell durchsetzen."

    Ja, dann machen Sie doch, Müller -
    Sie DÜRFEN!

    Das Infektionsschutzgesetz regelt in § 20 „Schutzimpfungen“ schon immer:
    (https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__20.html)
    Abs. 6: „Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, . . .“
    – Rechtsverordnung. Formelles Gesetz nicht nötig!

    Nun der Clou, in (7):
    „Solange das Bundesministerium für Gesundheit von der Ermächtigung nach Absatz 6 keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung nach Absatz 6 ermächtigt.“
    – OHNE Zustimmung einer zweiten Instanz!
    Also: Verordnung schreiben, im Gesetzblatt veröffentlichen, nächste Woche gilt es, wenn Herr Müller möchte . . .

  9. 3.

    ... weil Sie sich bei ungeimpften Pfleger*Innen angesteckt haben .... Wurde getestet ? Die geimpften werden noch getestet ? Gibt es Test-Ergebnisse ? Hat die Leitung versagt ? Gibt es Namen ? Wurden Anzeigen erstattet ? Ermittelt da schon der Staatsschutz ? Weis RBB da etwas ?

  10. 2.

    Warum wird immer wieder der ungeimpfte Bürger zum Sündenbock gemacht. Es sollte doch mittlerweile bei jedem Bürger angekommen sein, dass auch Geimpfte sich und andere Menschen infizieren können. Das sollte doch vermehrt über die Medien publiziert werden um auch die Menschen zu erreichen welche immer noch glauben ihnen und anderen könne nichts mehr passieren. Und ich frage mich, wann wir unseren Kindern Kindern die Schuld an der Pandemie geben. Schließlich sind diese zum größten Teil ungeimpft. Bitte fangt mal an nachzudenken und verantwortlich zu handeln, statt immer nur Schuldige zu suchen. Warum werden nicht öffentlich und bundesweit Probanden für den Totvirenimpfstoff Valneva und den Proteinimpfstoff Novavax gesucht? Es gibt so viele Menschen die auf alternative Impfstoffe warten und so die Möglichkeit hätten sich zu immunisieren. Sind wir nicht mehr in der Lage Lösungen zu suchen?

  11. 1.

    Insgesamt sehe ich eine allgemeine Impfpflicht schwierig. Doch wahrscheinlich sollte man in Teilbereichen, wie Pflege, Schule, Ü60, darüber ernsthaft nachdenken, wenn die Bereitschaft fehlt. Denn es nützt nichts, dass ich meine Familie samt Kindern über 12 habe impfen lassen, wenn Pflegepersonal ungeimpft rein und rausgeht in Pflegeheimen. Ich habe meine Kinder auch nur impfen lassen, um zum Fremdschutz beizutragen. Und wenn Jugendliche Briefe von der Gesundheitssenatorin bekommen, dass sie sich gefälligst impfen lassen sollen um andere zu schützen, dann kann das m. E. Erst recht von Pflegepersonal verlangt werden.

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