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Quelle: dpa/W. Grubitzsch

Finanzierung läuft aus

Berliner Sprach-Kitas stehen vor ungewisser Zukunft

Zeit und Expertise für Kinder mit Sprachförderbedarf – das ist die Idee der Sprach-Kitas. Das vom Bund bezahlte Programm läuft nur noch bis Ende des Jahres. Berlin fühlt sich überrumpelt, will das Projekt notfalls auf eigene Faust weiterführen. Von Konrad Spremberg

Plötzlich Ruhe und Konzentration mitten im Kita-Trubel: Gerade mal sechs Kinder sitzen um einen runden Tisch, die Aufmerksamkeit von Erzieherin Gabriela Heilke gehört ganz ihnen. Auf bunten Pappkarten sind Gegenstände abgebildet, gemeinsam suchen Kinder und Erzieherin nach Pinsel, Schnorchel und Teekanne, unterhalten sich darüber. Das ist ein Spiel – und gleichzeitig wertvollste sprachpädagogische Arbeit.

Erzieherin Heilke hat jede Woche zwanzig Stunden, in denen sie sich ganz auf die Sprache der Kinder konzentrieren kann. Als "zusätzliche Sprachfachkraft" wird ihre Arbeit in dieser Zeit aus Bundesmitteln finanziert. Die pädagogische Gruppenarbeit übernehmen dann komplett die Kolleg:innen. "Luxus" nennt das Heilkes Chefin.

Quelle: dpa/W. Grubitzsch

Mehr als 350 Sprach-Kitas in Berlin

Seit Beginn im Jahr 2016 nimmt die Neuköllner Kita "Focus Familie" am Bundesprogramm "Sprach-Kitas" teil. Der Bund finanziert darüber halbe Stellen an mehr als 350 Kitas in der Stadt, dazu Fortbildungs- und Supervisionsangebote. Allein nach Berlin gehen aus dem Programm mehr als 13 Millionen Euro jährlich. Aber Ende des Jahres ist damit planmäßig Schluss.

Dabei dürften die "Sprach-Kitas" eines der erfolgreichsten deutschen Kita-Förderprojekte sein. "Wir stellen fest, dass sehr viel mehr Sprechbereitschaft da ist. Dass Kinder Freude am Sprechen haben", sagt Martina Zander. Sie würden insgesamt mehr, vor allem aber spürbar mehr Deutsch miteinander sprechen statt in unterschiedlichen Muttersprachen.

Die Eltern mit ins Boot holen

87 Prozent der Kinder in Zanders Kita an der Hermannstraße haben eine andere Muttersprache als Deutsch. Die Strategie der Sprach-Kita zielt darauf ab, sie in ihrer Mehrsprachigkeit zu fördern. Nur wer sich in der Muttersprache sicher fühlt, sagt die Fachkraft für Sprachliche Bildung Gabriela Heilke, kann eine zweite Sprache mit Leichtigkeit lernen. Darum schließt ihre Arbeit die Familien der Kinder ein: In Elterncafés gibt sie Impulse fürs Sprechen zuhause. Die Kinder können übers Wochenende spezielle Rucksäcke mitnehmen, darin kommunikationsfördernde Spiele und Bücher, nicht nur auf Deutsch. Wenn es gut läuft, motivieren die Kinder ihre Eltern zum Mitmachen.

Der dritte Fokus ihrer Arbeit in der Sprach-Kita – neben den Kindern und den Eltern – ist das Kita-Team. Alle kennen die pädagogischen Prinzipien, aber die Feinheiten der Sprachvermittlung können im stressigen Alltag schon mal auf der Strecke bleiben. Die zusätzliche Sprachfachkraft darf sich in Ruhe Zeit nehmen, ihren Kolleg:innen Tipps zu geben. Das sei zu Anfang ungewohnt gewesen, komme im Kollegium aber immer besser an. Die Kita-Leiterin beobachtet einen insgesamt bewussteren Umgang mit Sprache im Team.

Rund 2,5 Milliarden Euro

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Die Länder sind nicht vorbereitet

Das Bundesprogramm Sprach-Kitas ist wegen seines Erfolges schon mehrmals verlängert worden. Dass nun Schluss sein soll, begründet das Bundesfamilienministerium auf Nachfrage von rbb|24 damit, dass für frühkindliche Bildung grundsätzlich die Länder zuständig seien. Ein Modellprojekt wie dieses könne man nicht ewig finanzieren, der Bund lediglich einen Anschub geben. Das Programmende zum 31. Dezember sei außerdem seit zwei Jahren bekannt.

Wie kann es sein, dass die Bundesländer trotzdem noch kaum darauf vorbereitet sind? Laut dem Berliner Jugend-Staatssekretär Aziz Bozkurt habe sich mit dem Ampel-Koalitionsvertrag alles verändert. In der Vereinbarung von SPD, Grünen und FDP vom vergangenen Jahr steht, man wolle "das Programm 'Sprach-Kitas' weiterentwickeln und verstetigen". Bozkurt liest das als klares Bekenntnis der Bundesregierung, die Finanzierung weiterzuführen. "Das war der Stand der Länder", sagt er rbb|24.

Berlin muss Kita-Projekte streichen

Und der Bund? Familienministerin Paus ist selbst überzeugt von den Sprach-Kitas und ermuntert die Länder, das Projekt auf eigene Faust fortzuführen. Diese müssten jetzt "Prioritäten setzen und abhängig davon entscheiden, in welchem Umfang die (…) Strukturen des Bundesprogramms übernommen werden sollen", schreibt eine Sprecherin des Ministeriums rbb|24. In der Konsequenz bedeutet das laut dem Berliner Staatssekretär Bozkurt: Priorisiert Berlin die Sprach-Kitas, dann müssten andere, laufende Projekte gestrichen werden, denn die Kita-Mittel seien alle verplant.

"Die Sprachförderung steht auf der Prioritätsskala sehr weit oben", sagt Bozkurt. Die Senatsbildungsverwaltung möchte die Sprach-Kitas in jedem Fall erhalten, muss das System aber anpassen. Ein Problem sei die knappe Zeit: Nachdem die Länder erst im Sommer verstanden hätten, wie der Bund plant, könne man nicht bis Ende des Jahres die Finanzierung neu organisieren. Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat den Bundesländern eine Verlängerung des Programms um ein halbes Jahr angeboten, die Länder fordern die Finanzierung bis 2025 – der Streit ist bisher ungelöst.

Fachkräfte wandern ab

Diese unsichere Situation hat längst Konsequenzen. Sprachfachkräfte schauen sich nach Jobs um, die mehr Sicherheit bieten, berichtet der Kita-Träger Fröbel. Jede Erzieherin, die weg ist, verschärft den Fachkräftemangel an den Kitas. Die Kita Focus Familie in Neukölln kann wegen Personalmangels schon heute mehr als ein Fünftel der vorgesehenen Kita-Plätze nicht vergeben. Gabriela Heilke könnte zwar auch als pädagogische Erzieherin Vollzeit in die reguläre Gruppenarbeit gehen und so die Personalsituation im Haus entspannen. Aber dann wäre das hier keine Sprach-Kita mehr – und das kommt für Leiterin Martina Zander nicht infrage: "Sprache ist der Schlüssel zur Bildung, Bildung ist der Schlüssel zur Welt. Das ist nicht der Punkt, wo man sparen sollte."

Beitrag von Konrad Spremberg

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