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Audio: rbb24 Inforadio | 03.04.2023 | Sabine Müller | Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Analyse | Regierungsbildung in Berlin

Wo sich SPD und CDU im Koalitionsvertrag jeweils durchgesetzt haben

Diese Koalition werde keine Liebesheirat, hat die SPD immer gesagt. Doch das Spitzenpersonal von CDU und SPD wirkt bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags wie in den Flitterwochen. Nicht nur die SPD-Mitglieder könnten die Laune bald trüben. Von S. Müller und T. Gabriel

Wer hat sich durchgesetzt, wer hat "gewonnen"? Ohne diese Frage geht es nicht, wenn Koalitionsverträge vorgestellt werden. Im Fall der Berliner Verhandler schien sie schon vor der endgültigen Präsentation beantwortet. In den vergangenen Wochen hatte sich weitgehend die Lesart durchgesetzt, die Zwischenergebnisse klängen doch sehr sozialdemokratisch, die SPD nutze den Druck ihres Mitgliederentscheids, um der CDU (zu) viel abzuverhandeln.

Zum Beispiel Milliardenausgaben, um den Anteil an landeseigenen Wohnungen erhöhen, das Bekenntnis zum Vergabemindestlohn, die Rekommunalisierung von Fernwärme und Gasag oder das geplante Rahmengesetz für Enteignungen großer Wohnungsbaukonzerne, um nur ein paar zu nennen.

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Alles sozialdemokratisch, oder was?

Nun ist der Koalitionsvertrag da und ganz so eindeutig kann die Gewinner-Verlierer-Rechnung nicht sein, wenn die Berliner Grünen beklagen, die CDU habe sich auf ganzer Linie durchgesetzt und die Hauptstadt-FDP kritisiert, die Christdemokraten hätten ihre Wahlkampf-Positionen verkauft, nur um ins Rote Rathaus zu kommen.

Tatsächlich trägt das 135-seitige Papier vor allem in den Bereichen Inneres und Bildung die klare Handschrift der CDU. Im Kapitel "Inneres, Sicherheit und Ordnung" steht vieles, was in der aktuellen Koalition mit Grünen und Linken nicht machbar gewesen wäre: Der Wunsch nach mehr Online-Durchsuchungen und Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung, die Nutzung von Bodycams bei Einsätzen in privaten Wohnräumen, mehr Videoüberwachung und Messerverbotszonen an kriminalitätsbelasteten Orten, bis zu fünf Tage Präventivhaft statt bisher zwei, außerdem soll der finale Rettungsschuss rechtssicher geregelt werden.

Quelle: rbb

Die SPD gibt den Ton vor

Bei der Bildung will sich Berlin auf Druck der CDU von einem jahrzehntelangen Sonderweg verabschieden: Religion soll ordentliches Unterrichtsfach werden. Die Christdemokraten (und die Kirchen) fordern es seit langem, konnten sich bisher aber nie durchsetzen. Nun soll, was bisher ein freiwilliges Angebot in den Randstunden war, bald als Wahlpflichtfach unter dem Namen "Weltanschauungen/Religionen" reguläres Lehrfach sein. CDU-Geist atmet auch das klare Bekenntnis zum grundständigen Gymnasium im Koalitionsvertrag und die geplante Abschaffung des Probejahrs am Gymnasium. Stattdessen soll ein Eignungstest eingeführt werden.

Die SPD kann sich neben inhaltlichen Themenschwerpunkten auf die Haben-Seite schreiben, den Grundton des Koalitionsvertrags vorgegeben zu haben: Das klare Bekenntnis zu Vielfalt, Offenheit und Teilhabe zieht sich durch das Papier. Für die CDU ist es ein kleiner Absolutionsversuch, nachdem sie sich für ihre Vornamen-Abfrage nach den Silvesterkrawallen Rassismus-Vorwürfe eingehandelt hatte.

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Unterm Strich stimmt, was viele schon während der noch laufenden Koalitionsverhandlungen mutmaßten: CDU-Chef Wegner ist der SPD weit entgegengekommen – in jedem Falle weiter, als er es hätte tun müssen angesichts des Wahlergebnisses, das die Sozialdemokraten am 12. Februar eingefahren hatten. Das hat allerdings weniger mit Verhandlungsgeschick der SPD zu tun, sondern vor allem mit Wegners Kalkül.

Schon im Wahlkampf hatte er davon gesprochen, eine Regierung bilden zu wollen, bei der sich die Partner auf Augenhöhe begegnen, man müsse sich in einer Koalition auch gegenseitig Erfolge gönnen. Das war natürlich ein Seitenhieb auf das derzeit noch amtierende Bündnis von SPD, Grünen und Linken. Die waren sich in den vergangenen sechs Jahren allzu oft in die Haare geraten, Meinungsverschiedenheiten wurden gern öffentlich ausgetragen.

Zustimmung gibt es nicht zum Nulltarif

Deshalb war für Wegner klar: Gute Stimmung ist wichtig für gutes Regieren. Dafür war er auch inhaltlich zu Kompromissen bereit. Gerungen wurde nur dort, wo es Wegner nötig schien, Akzente zu setzen, um Signale in die eigene Partei zu senden. Solche Signale braucht es auf CDU-Seite allerdings weit weniger als bei den Sozialdemokraten. Denn bei der CDU muss lediglich ein Parteitag dem Koalitionsvertrag zustimmen. Dass dies passieren wird, daran gibt es keinen Zweifel. Wegner hätte sogar noch mehr Spielraum für Kompromisse gehabt. Die CDU bekommt nach 22 Jahren das Rote Rathaus – da kann man an anderer Stelle auch gelassen bleiben.

Bei der SPD hingegen entscheiden die Mitglieder darüber, ob Kai Wegner Regierender Bürgermeister wird oder nicht. Diese Zustimmung ist für Wegner nicht zum Nulltarif zu haben. Auch deshalb erscheint es aus seiner Perspektive klug, es der SPD zu überlassen, welchen Geist dieser Koalitionsvertrag atmet.

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Schlussendlich trifft das auch auf die Ressortverteilung zu. Die SPD hat mit dem Innenressort und dem Stadtentwicklungsbereich zwei ihrer Wünsche erfüllt bekommen. Dass die Innenpolitik auch künftig SPD-verantwortet ist, war den Sozialdemokraten auch angesichts des Wahlkampfes wichtig: Die CDU hatte sich mit ihrer Frage nach den Vornamen von deutschen Tatverdächtigen der Silvesterkrawalle von ihrer konservativsten Seite gezeigt. Wäre das Innenressort an sie gegangen, hätte das den SPD-internen Widerstand gegen ein Bündnis mit der CDU noch verstärkt.

Der Stadtentwicklungsbereich schließlich dürfte das neue Arbeitsfeld von SPD-Chefin Franziska Giffey werden. Es scheint zwar eher aussichtlos, dass sie hier am Ende mit den großen Erfolgszahlen glänzen kann, aber Bauen und Wohnen sind schon jetzt, als Noch-Regierende Bürgermeisterin, ihre Kernthemen. Die Einarbeitungszeit ins neue Amt dürfte für sie weitgehend entfallen, was angesichts von nur dreieinhalb Jahren verbleibender Regierungszeit kein unwichtiger Aspekt ist.

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"Ein Restrisiko bleibt"

Sollten die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmen, käme es zu einer Regierungskoalition, die zumindest nicht die schlechtesten Startvoraussetzungen hätte: Die Hauptakteure können gut miteinander. Die Harmonie hat die Koalitionsverhandlungen nicht nur überdauert, sondern ein Vertrauensverhältnis ist überhaupt erst dabei entstanden. SPD-Chefin Giffey sprach von Demut im Angesicht des Wahlergebnisses. De facto ist diese Koalition aber auch ein Bündnis der Demütigung für die Sozialdemokraten – und für Giffey persönlich. Sie muss raus aus dem Roten Rathaus und ist nun nicht mehr die Nummer Eins. Kann Giffey auch "Nummer zwei", fragen sich manche. Wird sie sich brav hinter einem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner einreihen?

Die Auftritte nach den Koalitionsverhandlungsrunden und bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags lassen es vermuten. Aber "ein Restrisiko bleibt", sagt ein Christdemokrat, der in der Spitzengruppe mitverhandelt hat. Doch davon lässt man sich auf CDU-Seite die gute Laune nicht trüben. Und auch nicht von dem Wissen, dass die SPD schon vor dem Start der Verhandlungen angekündigt hatte, bei der Wahl 2026 wieder stärkste Kraft werden zu wollen. Die Sozialdemokraten wollten in der schwarz-roten Koalition nur "überwintern", heißt es bei der CDU. In der Hoffnung, dass es danach wieder politischer Frühling für sie werde.

Sendung: rbb24 Inforadio, 03.04.2023, 18:00 Uhr

Beitrag von Sabine Müller und Thorsten Gabriel

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