Berlin-Neukölln - Wie ein Imam und ein Rabbiner Schüler zum Dialog bringen wollen

Do 23.11.23 | 06:17 Uhr | Von Stefan Ozsvath
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Rabbiner Igor Itkin verteilt Fotos für das Nahost-Quiz. (Quelle: rbb)
Audio: rbb24 Inforadio | 22.11.2023 | Bild: rbb

Viele der 850 Schüler der Otto-Hahn-Sekundarschule in Berlin-Neukölln haben palästinensische Wurzeln. Ein muslimischer und ein jüdischer Geistlicher versuchen, mit den Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen - mit Erfolg. Von Stefan Ozsvath

Ein paar Mal fährt der Feueralarm durch Mark und Bein, als Bildungsstaatssekretärin Christina Henke zu Besuch an die Otto-Hahn-Sekundarschule in Berlin-Neukölln kommt. Die Politikerin und die anwesenden Journalisten halten sich die Ohren zu, Schulleiter Andre Kuglin winkt ab - Schülerstreich.

Die Staatssekretärin ist selbst Lehrerin, will sich ein Bild machen, wie der Dialog zwischen Muslimen und Juden funktionieren kann. Die Bilder aus der Sonnenallee sind noch gegenwärtig: Araber verteilten Süßigkeiten, um zu feiern, dass die Terrororganisation Hamas Israel überfallen hat.

Schulleiter, Imam Ender Cetin und Rabbi Igor Itkin. (Quelle: rbb)
V.l.n.r.: Schulleiter André Kuglin, Imam Ender Cetin und Rabbi Igor Itkin | Bild: rbb

Nahostkonflikt ist präsent

"Die Jugendlichen haben erhöhten Redebedarf", sagt der Schulleiter. Viele seiner 850 Schüler haben palästinensische Wurzeln und Familienangehörige im Nahen Osten, erzählt der Pädagoge. Umso wichtiger sei es, nachhaltig Dialogbereitschaft zu fördern.

Dabei helfen an diesem Tag der Imam Ender Cetin und der Rabbiner Igor Itkin. In einer neunten Klasse, vor mehr 22 Jugendlichen, fragt der Imam seinen jüdischen Kollegen, ob er als Rabbiner an Allah glaube. "Ja", antwortet Igor Itkin. Ungläubiges Kopfschütteln in der Runde. “Wenn Ihr ein arabisch-deutsches Wörterbuch aufschlagt“, sagt er, "und Allah nachschlagt, dann kommt Gott raus", erklärt der Religionsgelehrte mit ukrainischen Wurzeln.

Sie finden noch weitere Gemeinsamkeiten: Jerusalem ist für alle drei Weltreligionen eine wichtige Stadt, es sind Religionen des Buches, mit den gleichen Propheten. "Es ist wichtiger denn je, Gemeinsamkeiten statt der Unterschiede zu betonen", sagt Imam Cetin, "in unseren Religionen geht es immer um gemeinsame Werte und Normen."

Nachhaltigkeit im Dialog fördern

Die Schüler wissen einiges, aber sie wissen auch einiges nicht - auch über ihre eigene Religion. Das wird deutlich in der Diskussion. "Die Schüler haben oft keine Erfahrungen mit Juden", berichtet Rabbiner Itkin, "sie haben sehr oft Vorurteile, sie haben noch nie Juden gesehen, außer vielleicht im Fernsehen."

Einmal im Jahr sind die Trainer des Projekts Meet2Respect in den achten und neunten Klassen der Otto-Hahn-Schule. In den 90 Minuten könnten sie Fragen stellen, auch zu ihrer eigenen Religion, sagt der Rabbiner. Die Jugendlichen erleben einen jüdischen und einen muslimischen Religionsgelehrten im Dialog, werden so zum Vorbild. "Wir suchen Gemeinsamkeiten, um zu zeigen, dass wir uns nicht ständig bekriegen müssen."

Die Erfahrungen mit den Jugendlichen beschreiben beide Trainer als überwiegend positiv. Nur von einem Vorfall erzählt Igor Itkin. Eine Lehrerin habe von einem Schüler berichtet, der ihn - den Juden - "abstechen" wolle. Das war "bevor wir in die Klasse gekommen sind", sagt Itkin. Im Unterricht hätten sie aber offen diskutieren können.

Bildungsstaatssekretärin Christina Henke hofft, dass die Schüler solche positiven Erfahrungen aus der Schule nach draußen tragen. "Das erhoffe ich mir, dass sie auch mit ihren Eltern und Freunden darüber reden", sagt die CDU-Politikerin.

Bildungsstaatssekretärin Chrina Henke (CDU) und Schulleiter André Kuglin. (Quelle: rbb)Bildungsstaatssekretärin Henke und Schulleiter Kuglin

Nahost-Quiz gegen Vorurteile

Im Klassenraum im ersten Stock verteilt Rabbiner Igor Itkin Fotos von Politikern, Landkarten, palästinensischen Flüchtlingen und Shoa-Überlebenden an die Schüler, fragt sie, was und wen sie sehen, lässt sie Jahreszahlen raten. Später werden sie dazu noch Texte bekommen. Ziel ist es, auf einer Zeitleiste den Nahostkonflikt nachvollziehbar zu machen.

"Das finde ich gut", sagt einer der Schüler mit arabischen Wurzeln. Auf die Frage, ob der Nahostkonflikt bei ihm zu Hause eine Rolle spiele, antwortet er, sich "nicht öffentlich äußern" zu wollen. Auf dem Pausenhof erzählt ein anderer Schüler, seine palästinensischen Freunde seien unzufrieden, weil die öffentliche Meinung "pro-Israel" sei, aber sie würden deshalb nicht randalieren.

Der Nahostkonflikt könne an seiner Schule nicht gelöst werden, betont der Direktor, aber die Schüler könnten immerhin lernen, "in einen Dialog mit anderen Religionen zu treten."

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.11.2023, 16:00 Uhr

Beitrag von Stefan Ozsvath

41 Kommentare

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  1. 41.

    "So, so. Dann lass ich das mal, bevor ich noch was lerne."

    Diese Sorge ist vermutlich unbegründet...

  2. 40.

    Und entschuldigen Sie bitte. Ihre Expertise unter Kommentar 18 habe ich erst jetzt gelesen. Damit ist eigentlich alles erklärt.

  3. 38.

    Da Sie nun mehrfach deutlich gemacht haben, dass Sie sich weder mit dem Koran noch mit der Bibel auskennen, wäre vielleicht etwas mehr Zurückhaltung angebracht.

  4. 37.

    Wie schön, das liest sich richtig gut! Wäre Ihre Erfahrung im Artikel erwähnt worden, hätten sich einige Kommentare erübrigt.

  5. 36.

    Ich habe nochmals einen Beitrag über die beiden Lehrer aus Burg gelesen. Und ich kann Ihre Argumentation nur teilweise nachvollziehen. Wenn Sie sich in einem Kontext bewegen müssten, wo vergassungsfeindliches Handeln an der Tagesordnung ist, aber mehrheitlich toleriert (darüber hinweggesehen) wird, dann ist es durchaus couragiert, als Minderheit dagegen aufzubegehren und zu handeln. Die Konsequenzen: Bedrohung, soz. Ächtung, und Wechsel des Lebensmittelpunktes auszuhalten, ist beachtlich. Finden Sie nicht?

  6. 35.

    Dann lesen Sie einfach nochmal. Ich habe auf eine Aussage kommentiert. Ich kommentierte einen Kommentar und traf die Aussage: Das ist falsch. Ich beziehe mich dabei auf den Inhalt des Korans. Ich nehme da keine Wertung vor.

  7. 33.

    Dann lesen Sie einfach selbst. Orakeln ist wieder was ganz anderes. Ich habe nur auf eine falsche Aussage geantwortet.

  8. 32.

    Falsch geraten. Ich hatte Herrn Cetin mit einem anderen Rabbiner schon vor 5 Jahren in der Klasse. Die Jugendlichen waren nicht nur vom Miteinander der beiden schwer beeindruckt. Sie haben in den nächsten 3! Jahren in ihren Diskussionen immer wieder auf diese nur 90 Minuten zurückgegriffen.
    Schule kann nicht das Denken der Schüler*innen auf links krempeln, aber sie kann -eine gute Beziehung vorausgesetzt- mehr bewirken, als ihr manche (auch Lehrkräfte) zutrauen.

  9. 31.

    Wollen Sie nochmal lesen und erkennen, dass der Imam Ender Cetin und der Rabbiner Igor Itkin echte Arbeit leisten und dies eine ganz andere Liga ist als nur „Zeichen setzen“, die nichts ausgerichtet haben? Langsam geht einem „das Zeichen setzen“ auf die Nerven... Weil es nichts Dauerhaftes bewirkt, wie man in Burg oder in Katar und Moskau sehen kann.

  10. 30.

    Wäre schön, wenn der kleinste gemeinsame Nenner aller Religionen (wieder)die Menschlichkeit wäre. Dann erübrigt sich das Philosophieren über Inhalte von heiligen Schriften, deren Verfassung mystisch verlief, die umgeschrieben wurden und seit jeher von Religionsführern nach eigener Motivation ausgelegt werden. Vielleicht braucht es mal wieder eine Reformation, eine, die religionsübergreifend stattfindet. Zuforderst stehe bitte die Überwindung der Selbstherrlichkeit einzelner Gruppen zum Wohle allen Lebens! In diesem Sinne verstehe ich die Arbeit des Imams und des Rabbis.

  11. 29.

    Ich habe Ihre Kommentare mehrmals durchgelesen. Das Grandiose daran, Sie treffen keine Aussage, Sie beziehen sich auf Nichts.
    Das nennt man übrigens Orakeln.
    Lässt sich hervorragend googeln.

  12. 26.

    Super Vorgehensweise, es sollte in allen Schulen angeboten werden.

  13. 25.

    In der Bibel steht auch so manches, aber das sind Geschichten. Der Koran ist anders aufgebaut. Und nein, im Koran werden manche Verhaltensweisen ausdrücklich erlaubt. Kommt darauf an, wie man damit umgeht.

  14. 24.

    Google ist in erster Linie eine Suchmaschine. Was wollen Sie sagen? Ist aber trotzdem falsch.

  15. 23.

    Gute Frage! Ich denke, da jahrzehntelang die "Elternbildung" in besagten Kreisen hinsichtlich Wertevermittlung, Pflichten zum Spracherwerb, vernachlässigt wurde und "Ghettoisierung" nicht unterbunden wurde und anderes mehr, muss man nun umso mehr Anstrengung walten lassen, um die Entwicklung zu korrigieren.

  16. 22.

    Wozu eine mutige Tat gegen eine andere sinnvolle, tolle Aktion "aufwiegen"? Riskiert ein Fußballspieler genauso viel, wie die beiden Lehrer aus Burg?

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