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Quelle: dpa-Zentralbild/Paul Zinken

Tangentiale Ost

Die vielleicht umstrittenste Schnellstraße Berlins

Die Tangentialverbindung Ost (TVO) in Berlin hat mehr als ein halbes Jahrhundert nach Planungsbeginn einen wichtigen Schritt genommen: das Planfeststellungsverfahren ist gestartet. Die Kosten steigen - es dürfte weiteren Streit geben. Von Jonas Wintermantel

Das Planfeststellungsverfahren für die Stadtschnellstraße Tangentialverbindung Ost (TVO) hat begonnen - so wie es CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben. Die Verkehrs- und Umweltverwaltung reichte vergangene Woche 21 Aktenordner mit Antragsunterlagen bei der zuständigen Verwaltung für Stadtentwicklung ein. Damit geht es 54 Jahre nach den ersten Plänen nun ein entscheidendes Stück voran.

Lange Planungsphase erwartet

Die Senatsverwaltung für Verkehr rechnet nach Baubeginn mit einer Bauzeit von mindestens sieben Jahren, sagt sie. Zum geplanten Baubeginn und der angestrebten Inbetriebnahme der TVO hieß es dazu: "Erfahrungsgemäß schätzen wir etwa mindestens 1,5 Jahre für das planrechtliche Verfahren."

Wegen der vielen geplanten Bauwerke und Gewerke der TVO rechne die Senatsverwaltung mit über 100 Einzelvergaben in der Planungsphase. "Die Dauer hängt sehr von der Komplexität des Verfahrens und die damit verbundene Qualität und Quantität der eingehenden Einwendungen von Betroffenen ab." Die eigentliche Bauzeit sei im Gegensatz zur Planung hingegen "eher kurz".

Aufgrund der Angaben der Senatsverwaltung ist mit einem Baubeginn also frühestens 2026 zu rechnen - ohne die bereits angekündigten Klagen und dadurch entstehende Verzögerungen zu berücksichtigen. Eine Eröffnung der TVO wäre demnach ab 2032 denkbar.

Eine Karte der geplanten Tangentialverbindung Ost | Quelle: rbb24/Rossel

Steigende Kosten noch vor Baubeginn

"Dieses Projekt ist schon viel zu lange in der Planung", sagte die Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) zu dem Schritt. "Ich möchte das jetzt endlich voranbringen. Die Effekte sind die gleichen wie bei der A 100. Wir bündeln Verkehr, entlasten Wohngebiete von Verkehr und Lärm. Wir verbessern die Erschließung von Gewerbe-, Dienstleistungs- und Innovationsstandorten. Der Osten und Südosten der Stadt musste viel zu lange auf diesen Lückenschluss warten."

Der Senat beziffert die geplanten Kosten für das Verkehrsprojekt inzwischen auf mehr als 400 Millionen Euro. 2022 wurden die Kosten für das geplante letzte Teilstück der TVO noch auf 351 Millionen Euro geschätzt – und damit auf 55.000 Euro pro Meter.

Im Juli hieß es in einem Bericht der Mobilitätsverwaltung an das Abgeordnetenhaus dann: "Vor dem Hintergrund der im Zusammenhang mit aktuellen Bauvergaben zu verzeichnenden Preisinstabilität, welche, den Rahmenbedingungen geschuldet, eine seriöse Ermittlung der Herstellungskosten gegenwärtig nicht zulässt, würde eine Kostenschätzung auf Basis der derzeit aktuellen Marktlage zu einer Gesamtkostenschätzung von über 400 Millionen Euro führen."

Durch die derzeit stetig steigenden Preise im Baubereich könnte aber auch diese Schätzung noch weiter nach oben korrigiert werden.

Erste Idee bereits 1969

Die TVO gilt als eines der umstrittensten Verkehrsprojekte der Hauptstadt – kritisiert werden unter anderem die negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die steigenden Kosten. Auch der von Schreiner angestrebte positive Effekt auf das Verkehrsaufkommen wird infrage gestellt. Der Bau der TVO wurde erstmals 1969 konzipiert, die Planung daran allerdings wieder verworfen und Mitte der 2010er Jahre wieder aufgenommen.

Mit dem Start des Planfeststellungsverfahrens wird nun auch formal die Öffentlichkeit am Verfahren beteiligt. Man kann sich auf lautstarke Kritik gefasst machen – noch im Mai besetzten rund 100 Umweltaktivisten Bäume in der Wuhlheide, um gegen die geplante Rodung von bis zu 15,8 Hektar Wald zu demonstrieren. Unter anderem hat der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bei Abschluss der Planfeststellung Klagen gegen das Projekt angekündigt.

Protest in der Wuhlheide: Im vergangenen Frühling demonstrierten Menschen gegen den Ausbau. | Quelle: dpa/PIC ONE/Stefan Müller

Der weite Weg zur Stadtschnellstraße

Die Tangentiale soll eines Tages im Osten Berlins Biesdorf mit Köpenick verbinden. Der nördliche und südliche Abschnitt des Verkehrsweges ist als Märkische Allee und Spindlersfelder Straße schon in Betrieb. Das Ziel: eine kreuzungsarme Stadtschnellstraße.

Der Senat rechnet bis 2030 mit einem Nutzungspotenzial von werktags 22.000 bis 33.000 Kraftfahrzeugen auf der Strecke. Die TVO soll daher zwei Fahrstreifen pro Richtung erhalten.

Im Fokus steht das Mittelstück, welches die Lücke zwischen Märkischer Allee und der Straße An der Wuhlheide schließen soll. Dadurch sollen unter anderem die Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick vom Durchgangsverkehr entlastet werden. Anwohner fordern den Lückenschluss bereits seit Jahren, weil sich der Verkehr vor ihren Haustüren staut.

Besonders betroffen ist die Köpenicker Straße. Hier stehen jeden Morgen die Autos Stoßstange an Stoßstange. Eine geeignete Umfahrung gibt es nicht. Pro Richtung gibt es eine Fahrbahn, außerdem befahren Busse die Straße.

400 Polizeikräfte im Einsatz

Protestcamp in der Berliner Wuhlheide ist geräumt

Die Berliner Polizei hat am Mittwoch eine Verbotsverfügung gegen das Protestcamp in der Wuhlheide durchgesetzt. Dort hatten Baumbesetzer gegen ein Straßenbau-Projekt protestiert. Die Besetzer sprechen trotz Räumung von einem "vollen Erfolg".

Gegner warnen vor Umweltschäden und Kostenexplosion

Kritik am Projekt gibt es unter anderem von Grünen, Linken, sowie von mehreren Umwelt- und Nahverkehr-Verbänden - wegen der möglichen Rodung von Teilen des Wuhlheider Waldes und dem starken Fokus auf den Straßenverkehr. Kritiker befürchten, dass hinter dem Projekt die ebenfalls geplante Nahverkehrstangente ins Wanken geraten könnte (sogenannte Schienen-TVO). Auch ein vor Jahren geplanter paralleler Schnellweg für Radfahrer ist nicht mehr Teil der Planung - alternativ soll hier eine "Radverkehrsanlage mit attraktiven Standards" entstehen.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Berlin hat bereits eine Klage angekündigt, sobald es einen Planfeststellungsbeschluss gibt. Dazu sagte Tilmann Heuser, Hauptgeschäftsführer des BUND Berlin dem rbb: "Die grundsätzliche Frage ist, ob so eine Straße überhaupt noch in die Zeit passt." Der BUND spricht sich schon länger gegen den geplanten Bau der TVO aus. Vor allem, aber nicht nur aus Klima- und Umweltaspekten. "Wir sehen gerade eine Kostenexplosion. Selbst bei der jetzigen straßenbaufreundlichen Politik stellt sich da die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis und der Wirtschaftlichkeit des Projektes", so Heuser.

Die Bürgerinitiative Wuhlheide kritisiert in einem Statement den aus ihrer Sicht "überstürzten Beginn" des Planfeststellungsverfahrens und die damit angestrebte "konservative Stadtentwicklungspolitik". Sie befürchte insbesondere den Effekt des "induzierten Verkehrs" – dass nämlich der Ausbau der Strecke zu einer Zunahme der Verkehrsaufkommen führen würde, anstatt zu einer Verringerung und Entlastung. "Wir fordern eine Neubewertung des Projekts, um sicherzustellen, dass es den Interessen aller Berliner*innen dient, nicht nur einer ausgewählten Gruppe."

Kilometerlange Teststrecke

Berlin will Magnetschwebebahn testen

In Berlin soll der Betrieb einer Magnetschwebebahn getestet werden. Darauf hat sich die schwarz-rote Koalition verständigt. Der CDU-Fraktionschef rechnet mit Kosten von rund 80 Millionen Euro - und betont, dass die Strecke nicht wieder abgebaut wird.

Befürworter sehen Verkehrsentlastung und Wirtschaftsfaktor

Zu den Befürwortern des Projekt zählen in erster Linie Teile der Anwohner - vor allem auf der Köpenicker Straße staut sich regelmäßig der Verkehr im Wohngebiet. Aber auch mehrere Wirtschaftsverbände melden sich zu Wort.

Der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) kämpft seit über 15 Jahren für den Bau der TVO und befürwortete den Beginn des Planfeststellungsverfahrens. "Nach einer jahrelangen Hängepartie folgen endlich Taten", heißt es in einer entsprechenden Mitteilung des Verbands. VDGN-Präsident Jochen Brückmann sieht die TVO seinen Worten zufolge als Meilenstein für eine Entlastung des Verkehrs. "Auch der Wirtschaftsverkehr wird davon profitieren und der Flughafen BER besser angebunden", sagte Brückmann.

Die Handwerkskammer Berlin äußerte sich ähnlich. In einem Statement sagte der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Berlin, Jürgen Wittke: "Der Wirtschaftsverkehr braucht diesen Lückenschluss, denn er verbessert die Versorgung der Stadt auch mit Handwerksleistungen und deren Produkten. Die Handwerksbetriebe sind auf die Nutzung von Transport- und Versorgungsfahrzeugen schlicht angewiesen."

Sendung: rbb24 Inforadio, 21.11.2023, 15 Uhr

Beitrag von Jonas Wintermantel

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