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Liste von Opfern rechtsextremer Gewalt

Berlin ist auf dem rechten Auge nicht mehr blind

Spätestens seit der NSU-Mordserie ist klar, dass in Deutschland jahrelang Morde von Rechtsextremen nicht als solche anerkannt wurden. Dabei gehen Bürgerrechtsorganisationen schon lange von deutlich mehr Opfern aus, als es die Behörden tun. Der rbb listet nun erstmals alle bisher bekannten Berliner Fälle auf - und die Zahl wird wohl weiter steigen.

Ein pakistanischer Wissenschaftler, ein jugoslawischer Imbissbetreiber, zwei Geschwister und ein Neugeborenes: Viel öfter als bislang bekannt könnten Rechtsextreme seit der Wiedervereinigung in Berlin Menschen getötet haben. Doch von Seiten der Berliner Politik wurde das bisher öffentlich nicht eingeräumt, nur drei Fälle wurden dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet. Anders als in Brandenburg, wo inzwischen auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) davon ausgeht, dass die Zahl rechtsextremistischer Morde deutlich höher liegt als lange angenommen.

Weitere Opferlisten

Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg

Opferperspektive

Amadeu Antonio Stiftung

Opferfonds CURA

Zeit Online

Todesopfer rechter Gewalt bundesweit

Bundesweit gehen Kriminalisten und Wissenschaftlern zurzeit von 746 Verdachtsfällen seit 1990 aus. In der nun vom rbb vorgelegten Opferliste sind sowohl die bereits offiziell anerkannten Fälle in der Hauptstadt aufgelistet, als auch reine Verdachtsfälle - sowie jene Taten, die zivilgesellschaftliche Organisationen als Tötungsdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund eingeordnet haben.

rbb listet Berliner Opfer auf

In Berlin gab es bisher auch keine dokumentierte Auflistung der Opfer rechtsextremistischer Gewalt – bis jetzt: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg legt sie nun vor, nachdem bekannt wurde, dass auch die Hauptstadt-Polizei 78 Verdachtsfälle aus den vergangenen 20 Jahren zur erneuten Prüfung an das Bundeskriminalamt (BKA) gemeldet hat. Darunter sind auch 68 unaufgeklärte Tötungsfälle, bei denen bestimmte Indizien dafür sprechen, dass es hier einen rechtsextremistischen Hintergrund geben könnte.

BKA prüft 78 weitere Fälle aus der Hauptstadt

Wie viele weitere Fälle dem Rechtsextremismus zugeordnet werden müssen, lässt sich zurzeit noch nicht abschätzen - auch weil die Behörden bislang keine konkreten Angaben über jene 78 Verdachtsfälle machen, die derzeit in Berlin konkret untersucht werden. Auch die Kriterien, nach denen die Fälle eingestuft werden, hält das Bundesinnenministerium unter Verschluss. Der rbb hat dennoch in Erfahrung gebracht, dass es dem BKA bei der Prüfung vor allem um folgende Fragen geht:

Im Zuge weiterer Recherchen könnten bestimmte Fälle auch nicht mehr als Taten mit rechtsextremistischem Hintergrund eingeordnet werden müssen. Aus diesem Grund wird die Liste von nun an regelmäßig auf den aktuellen Stand der Erkenntnisse gebracht.

Mit Informationen von Torsten Mandalka

Todesopfer rechter Gewalt in Berlin seit der Wende

1990

6. März

Mahmud Azhar (40)

Der aus Pakistan stammende Doktorand an der FU Berlin wird in Berlin-Lichterfelde auf dem Parkplatz des Instituts für Biochemie am 7. Januar aus fremdenfeindlichen Motiven angegriffen und verletzt. Er stirbt zwei Monate später an den Folgen seiner Kopf-Verletzungen.

Der Fall wird nicht in der offiziellen Statistik geführt, weil er sich vor dem 3. Oktober 1990, dem Tag der Deutschen Einheit, ereignet hat.

11. Dezember

Klaus Dieter Reichert (24)

Zwei Skinheads bedrohen Reichert in seiner Wohnung in Lichtenberg, um von ihm Geld einzutreiben.  Der Mann stürzt daraufhin aus dem Fenster.  Die Täter werden zu Haftstrafen zwischen drei und vier Jahren verurteilt.

1991

27. Oktober

Mete Eksi (19)

Auf dem Kurfürstendamm kommt es zu einer Schlägerei zwischen drei Brüdern aus Marzahn und einer Gruppe junger Leute mit Migrationshintergrund. Grund soll eine Aufforderung sein, Deutsch und nicht Türkisch zu sprechen. Im Verlauf wird Mete Eksi von einem Schlag durch einen Baseballschläger tödlich verletzt. Das Gericht sieht beim Urteil zweieinhalb Jahre später einen rassistischen Hintergrund nicht als erwiesen an. Der Täter erhält eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

1992

24. April

Nguyen Van Tu (29)

Der junge Mann wird von einem Rechtsextremisten erstochen. Motiv: Fremdenfeindlichkeit und Selbstjustiz.  

offiziell anerkannt

29. August

Günter Schwannecke (58)

Der Obdachlose wird in Charlottenburg von einem Ku-Klux-Klan Anhänger mit einem Baseballschläger erschlagen. Der 22 jährige Skinhead hatte zuvor versucht, mit mehreren Ausländern eine Prügelei zu beginnen. Als Günther Schwannecke sich einmischt, wird er zum Opfer. Der Täter wird zu einer Haftstrafe von sechs Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.                

21. November

Silvio Meier (27)

Der Hausbesetzer wird nach einem Streit um einen Aufkleber "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" erstochen.  Die Täter werden zu Jugendstrafen bis zu 4 Jahren wegen Totschlags verurteilt.

offiziell anerkannt

1994

23. Juli

Beate Fischer (32)

Drei Skinheads vergewaltigen und erwürgen die Prostituierte und legen ihre Leiche neben einer Mülltonne ab. Der Haupttäter wird zu lebenslanger Haft verurteilt, die Mittäter zu hohen Jugendstrafen. Der Richter sagt in der Urteilsbegründung, die Neonazis "haben nach ihrer Wolfsmoral Sex als die Bühne ihrer Macht benutzt".

26. Juli

Jan W. (45)

Der polnische Bauarbeiter ertrinkt, nachdem er in die Spree getrieben und nicht wieder aus dem Wasser gelassen wurde. Zeugen hören Rufe wie: "Polacken verpisst Euch", und: "lasst den Polen nicht raus". Vier Täter zwischen 17 und 25 (zwei Mädchen) werden wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren verurteilt.

1997

23. Februar

Stefan Grage (34)

Der Polizist wird in Schleswig-Holstein bei einer Kontrolle vom bekennendem Berliner Neonazi Kai Diesner erschossen. Diesner ist zu dem Zeitpunkt auf der Flucht. Er hatte zuvor in Marzahn den Buchhändler Klaus Baltruschat mit einer Pumpgun  angeschossen und schwer verletzt, weil er annahm, in ihm ein PDS-Mitglied zu treffen. 

offiziell anerkannt

1999

6. Oktober

Kurt Schneider (38)

Der Sozialhilfeempfänger wird in Lichtenberg von vier Skinheads zu Tode gequält. Die Täter werden zu hohen Jugendstrafen verurteilt.

2000

13. März

Slovo Ignjatovic (51)

Der gebürtige Jugoslawe wird in seinem Imbiss im Berliner Wedding erschossen. Nichts wird geraubt, keine Spur vom Täter, keine Ahnung über das Motiv. Die Polizei hat auch Untersuchungen angestellt, ob das NSU- "Trio" für die Tat verantwortlich sein könnte. Belege dafür liegen bisher nicht vor.

Verdachtsfall

2001

5. November

Ingo B. (36)

Drei Rechtsextremisten wollen von ihrem Opfer 40 D-Mark Schulden eintreiben. Sie misshandeln ihn über längere Zeit. Der schwer herzkranke Mann stirbt am folgenden Tag an einem Infarkt. Die Täter werden wg. Körperverletzung mit Todesfolge zu Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und sechseinhalb Jahren verurteilt.

2011

12. März

Slobodan J. (28), Danijela J. (26) und David J. (10 Tage)

Unbekannte benutzen Brandbeschleuniger, um in einem Haus in der Neuköllner Sonnenallee, Ecke Hobrechtstr Feuer zu legen. 17 Menschen werden verletzt, Slobodan J., seine Schwester und ihr Baby können nicht mehr gerettet werden. Das Haus war überwiegend von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt. In der Zeit vor und nach dem Brand in der Sonnenallee gibt es mehrere Fälle von Brandstiftung.

Verdachtsfall

2012

5. April

Burak Bektas (22)

Ein Unbekannter schießt nachts in Neukölln auf fünf junge Männer - ohne erkennbaren Anlass. Zwei werden schwer verletzt, Burak stirbt an einem Bauchschuss. Alle Opfer haben einen Migrationshintergrund. 

Verdachtsfall

Fer Fall wird nicht von den Berliner Behörden an das BKA gemeldet, weil er außerhalb der Zeitspanne 1990 bis 2011 liegt und die Ermittlungen noch laufen.

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