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Video: rbb24 | 25.08.2022 | Sebastian Meyer | Quelle: imago images/Matthias Koch

Mehr Geld für die Teams

Wie Viktoria und Union den regionalen Frauen-Fußball verändern wollen

Im vom Männerfußball dominierten Deutschland wird gerade das Potenzial des Frauenfußballs erkannt. Die Frage ist, ob die neue Professionalisierung den Traditionsteams wie Turbine Potsdam über den Kopf wächst. Von Shea Westhoff

Auftaktrunde im DFB-Pokal der Frauen, der Gegner: ein Landesligist, die BSG Stahl Brandenburg. Regionalligist Viktoria Berlin siegt souverän mit 7:0. "Wir waren gut, aber wir waren nicht am Leistungslimit", sagt Felicia Mutterer, die das Spiel am Wochenende live im Stadion am Quenz verfolgt hat. "Ich sag' mal, es war eine schnöde Pflichtaufgabe", fügt die Viktoria-Gesellschafterin an, ohne dabei überheblich zu klingen.

Der hohe Sieg, die selbstbewusste Haltung, sie passen zum neuen Verständnis des Regionalligisten. Der Klub mit seinen sechs neuen Investorinnen aus Wirtschaft und Medien will hoch hinaus, innerhalb der nächsten fünf Jahre in die Bundesliga. Und dann? Wer weiß.

Zwei potenzielle Big Player aus Berlin

In der Region Berlin-Brandenburg geraten die alten Kraftverhältnisse im Fußball der Frauen derzeit ins Rutschen: Turbine Potsdam, der große traditionsreiche Name im Frauenfußball, verfehlte in der Vorsaison knapp die Qualifikation für die Champions League. Im Sommer folgte ein beispielloser personeller Aderlass.

Gleichzeitig stehen mit Viktoria Berlin und der aufgerüsteten Frauen-Abteilung von Männer-Bundesligist 1. FC Union Berlin zwei potenzielle Big Player in den Startlöchern. Eine Entwicklung, die für die neuen Mechanismen im Fußball der Frauen steht.

Viktorias gut vernetzter Kaderplaner

Vor zwei Jahren hatte Felicia Mutterer begonnen, Mitstreiterinnen zu gewinnen, die bereit sind, in einen Frauenfußball-Verein zu investieren. Die Journalistin hatte den Aufstieg des Angel City FC aus Kalifornien verfolgt, einem Mammut-Investitionsprojekt, an dem unter anderem Tennisstar Serena Williams, die ehemalige Weltfußballerin Mia Hamm oder die Hollywood-Schauspielerinnen Natalie Portman und Eva Longoria beteiligt sind. Der Klub aus Los Angeles, das erklärte Vorbild von Viktoria Berlin.

Nach Europameisterschaft der Frauen

Was sich ändern muss, damit der EM-Hype im Berliner Amateurfußball ankommt

Die Frauen-Europameisterschaft war medial ein großer Erfolg. Nach der großen Party stellt sich nun aber die Frage, was getan werden muss, damit der kurzzeitige Hype auch langfristig im Amateurfußball ankommt - und was bereits getan wird. Von Simon Wenzel

Der aus der Männerabteilung ausgegliederte Verein wolle "die deutsche Sportwelt nachhaltig verändern", hieß es in einer Pressemitteilung, als die insgesamt sechs Gesellschafterinnen um Mutterer sich vorstellten. Es soll dabei auch um mehr Sichtbarkeit für Frauen im Profisport gehen, um gerechtere Bezahlung.

Damit Viktoria hoch hinaus kann, muss zunächst Basisarbeit geleistet werden. Genügend Trainingsklamotten, Massagebänke, einen festangestellten Trainer. Und: "Wir bezahlen allen Spielerinnen ein Grundgehalt", nicht viel, 251 Euro genau genommen. Aber: "Damit sind sie zumindest versichert, das ist ein Novum in dieser Spielklasse", sagt Mutterer.

Außerdem beschäftigt der Klub mit Henner Janzen einen Kaderplaner, der in der Szene als extrem gut vernetzt gilt: Der Rechtsanwalt berät seit 20 Jahren Fußballerinnen, derzeit unter anderem mit Melanie Leupolz eine langjährige Nationalspielerin, die seit zwei Jahren bei Chelsea London unter Vertrag steht. "Wir müssen eine professionelle Struktur schaffen, das ist die Basis für sportlichen Erfolg", sagt Mutterer.

Und das Geld dafür? Über Zahlen möchte Mutterer nicht sprechen, noch nicht. Was sie allerdings bestätigen kann, ist, dass "Sponsoren vermehrt aufs Team zukommen", sagt sie. "Wir sehen schon, dass das Momentum zugunsten des Fußballs mit Frauen gerade da ist." Sicherlich halle auch die "EM der Rekorde" bei Viktoria nach: Die Europameisterschaft im Sommer entzündete ein riesiges Interesse am Frauenfußball, teils sahen um die 20 Millionen TV-Zuschauer in Deutschland zu. Das Turnier zeigte das Potenzial des Frauenfußballs. Unklar ist noch, ob sich der Hype, wie schon manche Male zuvor, letztlich als Rohrkrepierer entpuppt.

Was auch im Klubfußball an Aufmerksamkeit möglich ist, zeigt etwa der Blick nach Spanien. Dort spielten die Frauen des VfL Wolfsburg ihr Halbfinal-Hinspiel in der Königsklasse beim FC Barcelona in der Vorsaison vor 91.000 Fans.

Uefa geht von fünffachem Wachstum aus

Fakt ist: Der europäische Fußballverband Uefa hat unlängst eine Frauenfußball-Strategie veröffentlicht, die "das unglaubliche Potenzial des Klub- und Ligaspiels der Frauen in Europa" unterstreicht, wie der Verband in einer Mitteilung tönt [uefa.com]. Zu lesen ist darin unter anderem, dass sich der Wert des Klub- und Liga-Fußballs bis 2033 mehr als verfünffachen könnte, auf über 680 Millionen Euro. Welcher andere Wirtschaftszweig verspricht schon solche Renditen?

Es sind Zahlen, die auch im Bezug auf den Frauenfußball trotz zahlreicher Erfolge immer noch etwas verschlafenen Deutschland - wo viele noch immer von Sommermärchen der Männer bei der WM 2006 träumen - so langsam die Investorinnen und Investoren wachrütteln dürften. "Wenn man sich den Männerfußball anschaut, der ist irgendwie durch. Da hat man doch den Eindruck, da ist schon vieles ausgeschöpft, auserzählt", sagt Mutterer. Beim Frauenfußball, der "bislang immer benachteiligt wurde", scheint hingegen noch massiv Luft nach oben.

Auf der Strecke zu bleiben droht da der verdienstvolle Vorreiter und Traditionsklub Turbine Potsdam. Gemeinsam mit dem SC Sand und der SGS Essen gehört der Verein aus Brandenburg zu den wenigen verbliebenen reinen Frauenklubs in der 1. Bundesliga. Die restlichen befinden sich unter dem Dach von Männerklubs.

In der Turbine-Geschäftsstelle niemand erreichbar

Im Sommer hat ein gewaltiges Transfer-Beben den Klub eingeholt, von dem nicht ganz klar ist, wie er sich davon erholen wird. Nahezu eine gesamte Startelf zog es fort aus Brandenburg, hin zu namhafteren Klubs in Europa wie AC Mailand, Atletico Madrid und FC Everton oder den deutschen Klubs VfL Wolfsburg, Bayern München und 1. FC Köln.

In der Geschäftsstelle ist bis Redaktionsschluss am Dienstagabend niemand für ein Interview erreichbar. Geschäftsführer Stephan Schmidt, der unter anderem für die Transfers verantwortlich ist, lehnte eine Interviewanfrage ab - "erst im September wieder". Gerade sei man "am Anschlag".

Wen man telefonisch erreicht, ist eine ehemalige Welt- und Europameisterin mit Potsdamer Vergangenheit: Ariane Hingst, langjährige Defensivspielerin auch bei Turbine, ist heute im Trainerstab der U19- und U20-Nationalmannschaften aktiv - und außerdem Viktoria-Gesellschafterin. Natürlich habe Hingst den Verlust mehrerer Schlüsselspielerinnen, wie Stürmerin Selina Cerci (Köln) und Kapitänin Sara Agrez (Wolfsburg) verfolgt, sagt sie. "Ich finde es insofern traurig, dass es Turbine in der obersten Vereinsführung nicht geschafft hat, andere Strukturen aufzubauen und Spielerinnen frühzeitig langfristig an sich zu binden, da wurde eine Chance vertan", so ihre Sicht. Ins Detail gehen will Hingst nicht, das stehe ihr von außen auch nicht zu, wie sie sagt.

Was bekannt ist: Von Einheit war beim Traditionsverein zuletzt wenig zu sehen. Zunächst gab der Verein im Juni die Trennung von Cheftrainer Sofian Chahed bekannt. Wohl schon länger soll es Differenzen zwischen Trainer und Spielerinnen gegeben haben. Tage später verkündete Präsident Rolf Kutzmutz nach sieben Jahren an der Spitze seinen Rücktritt.

Die ehemalige Turbine-Spielerin und einstige Präsidentschaftskandidatin Tabea Kemme kritisierte die Klubführung im rbb, es fehle an Professionalität und an Kernkompetenz. Ariane Hingst betont am Telefon aber auch, dass man den Klub nie abschreiben dürfe, das habe der Verein in der letzten Saison wieder bewiesen, als er ins Pokalfinale einzog.

DFB-Analystin Ailien Poese

Auf dieses Know-how darf sich Union Berlin freuen

Ailien Poese analysiert als Match-Scout die deutschen Gegner bei der Fußballl-EM der Frauen. Vor dem anstehenden Halbfinale kann sie Schwächen der formstarken Französinnen ausmachen. Nach dem Turnier soll sie das Frauenteam von Union Berlin nach oben führen.

Union Berlin legt Fokus auf Frauenabteilung

Worüber sich die gebürtige Berlinerin Hingst freut, ist der neue Fokussierung auch beim 1. FC Union Berlin auf die Frauenabteilung - die etwa bei Hauptstadt-Konkurrent Hertha BSC noch gar nicht exisitert: Bislang sind die Herthaner nur eine Kooperation mit Turbine eingegangen.

"Es ist doch super, dass sich auch Union Berlin jetzt zum Frauenfußball bekannt hat und den Etat deutlich angehoben hat", sagt Hingst. Mit Ailien Poese habe der Klub eine hervorragende Trainerin verpflichtet. "Dadurch haben wir einen attraktiven Konkurrenzkampf in der eigenen Stadt, davon können wir gegenseitig profitieren."

An einem Augustabend auf dem Sportplatz des SV Chemie Berlin-Adlershof sieht man die jungen Union-Spielerinnen bei einer Kurzpass-Trainingseinheit, schwitzend in der tiefstehenden Sonne. Am Spielfeldrand erhalten die beiden Keeperinnen vom Torwarttrainer Anweisungen.

Bei Union bedeute Professionalisierung vor allem mehr Zeitkapazitäten, sagt Trainerin Poese, die für ein Gespräch am Rande des Trainings bereit steht. "Alle Spielerinnen sind Vertragsspielerinnen, wir haben zwei hauptamtliche Trainer mit mir und Sven Gruel, dazu die angestellte Torwarttrainerin Laura Ketzer, ein hauptamtliches Teammanagement", sagt sie. So könnten auch schon vormittags Einheiten absolviert werden.

Erst einmal in der 2. Liga etablieren

Die Verpflichtung der Übungsleiterin unterstreicht die großen Ambitionen von Union im Frauenbereich. Die 37-jährige Poese war bei der EM als Gegnerbeobachterin für den Deutschen Fußball-Bund im Einsatz. Als sogenannter Match-Scout sezierte sie die Einzel-Performance der Spielerinnen, die Taktik und die Form aller gegnerischen Teams.

Profi-Standards, die in der drittklassigen Regionalliga vielleicht noch nicht in dem Maße greifen, aber klar ist, dass Union schon bald im Oberhaus dabei sein möchte - wenn auch nicht mit dem konkreten Fünf-Jahres-Plan wie Viktoria mit seinen Gesellschafterinnen. "Wir wollen uns in diesem Jahr um den Aufstieg in die 2. Liga kümmern", sagt Poese. "Wenn es mit der Relegation klappt, super, aber dann wollen wir uns auch dort erstmal etablieren."

Am kommenden Sonntag geht es los für Union Berlin in der Regionalliga. Die Partie dürfte gleich zur Kraftprobe werden und als Gradmesser dienen für die Saison. Als Gegner wartet dann: Viktoria Berlin.

Sendung: rbb24, 26.08.2022, 18 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

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