Stimmungsbarometer nach dem Hertha-Abstieg - Endlich geschlossen

Sa 20.05.23 | 20:32 Uhr
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Hertha-Spieler nach dem Abstieg vor der Ostkurve (Quelle: IMAGO / Matthias Koch)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.05.2023 | O-Töne Hertha-Fans | Bild: IMAGO / Matthias Koch

Nach dem Abstieg von Hertha BSC entlud sich in der Fankurve eine gehörige Portion Wut. Die Spieler hatten Verständnis. Und mindestens einen Blick über den Tellerrand hinaus. Von Ilja Behnisch

Nachdem der siebte Abstieg in der Geschichte von Hertha BSC besiegelt war, zeigten die Spieler das, was ihnen über weite Strecken der Saison oft abgesprochen wurde: Geschlossenheit. Man sei nicht heute abgestiegen, sagten etwa Kevin-Prince Boateng und Oliver Christensen unisono.

"Wilde Jahre in Westend"

Wilde Jahre in Westend: Der Abstieg von Hertha BSC
IMAGO | Collage rbb

Am Sonntagabend (20:15 Uhr) läuft im rbb Fernsehen der Film 'Wilde Jahre in Westend: Der Abstieg von Hertha BSC'. Er zeichnet Herthas komplizierte letzte Jahre und den Weg zum Abstieg nach - inklusive der Winhorst-Saga, dem Klinsmann-Wirbel sowie Interviews mit Präsident Kay Bernstein und Ex-Manager Michael Preetz.

Und auch ihr Trainer, Pal Dardai, wollte da nicht widersprechen. "Wenn wir immer so gearbeitet hätten, hätten wir zehn, zwölf Punkte mehr und wir reden über Urlaub und nicht über den Abstieg", schob der Ungar am rbb-Mikrofon hinterher. Und auch Boateng, in seinem letzten Heimspiel für Hertha BSC mal wieder in der Startelf, befand, man könne der "Mannschaft keinen Vorwurf machen. Wir haben gut gespielt."

Christensen verhindert frühere Entscheidung

Man mag sich trefflich darüber streiten, was genau "gut gespielt" denn eigentlich meint, aber wohl kaum darüber, dass Herthas Bester an diesem Tag wie zuletzt häufiger der Torhüter war. Ohne Christensens Paraden hätte sich diese Partie schon weitaus früher als Genickbruch für jede letzte Hoffnung erweisen können, Bochum mehrfach treffen können.

So dauerte es bis zur vierten Minuten der Nachspielzeit. Für Christensen ein Ding der Unmöglichkeit: "Ich weiß nicht wie, aber Bochum bekommt einen Umschalt-Moment, drei gegen drei in der 94. Minute. Das darf nicht passieren. Dann töten wir uns selbst am Ende. Das tut unfassbar weh im Herz. Schwer."

Entschuldigung an die Mitarbeiter, die Fans. Die uns die ganze Saison unterstützt haben. Ich kann nur Entschuldigung sagen.

Hertha-Keeper Oliver Christensen

Sagte es und blickte mit einer bemitleidenswerten Leere in den frühen Berliner Abend. Ehe er, der 24-Jährige aus der dänischen Kleinstadt Kerteminde, der seit zwei Jahren Geld dafür bekommt, in Berlin Fußball zu spielen, sichtbar niedergeschlagen anfügte: "Entschuldigung an die Mitarbeiter, die Fans. Die uns die ganze Saison unterstützt haben. Ich kann nur Entschuldigung sagen."

Tränen bei Kevin-Prince Boateng

Davon wollten die Anhänger in der Ostkurve des Berliner Olympiastadions für den Moment wenig wissen. Sie empfingen die Mannschaft, die sich, Achtung, geschlossen, aufmachte, den Puls der Fankurve zu spüren, vornehmlich mit Wut. Erzürnte Gesichter und aufgerissene Münder waren zu sehen, Mittelfinger flogen durch die Luft.

Die Fans sind sauer und enttäuscht. Ist normal. Was die abgerissen haben die Saison ist unglaublich. Bin selbst Hertha-Fan. Gebrochen.

Kevin-Prince Boateng

Verständlich, so Torhüter Christensen: "Natürlich nicht schön, aber ich verstehe, warum sie so frustriert sind." Und auch Boateng sagte am Sky-Mikrofon: "Die Fans sind sauer und enttäuscht. Ist normal. Was die abgerissen haben die Saison ist unglaublich. Bin selbst Hertha-Fan. Gebrochen." Sprach es, die Augen füllten sich mit Tränen, dann verschwand er. Zurück auf den Rasen. Dort saß er dann, der Prince, noch minutenlang und allein.

Spieler brauchen einen Moment für sich

Viele Spieler schienen einen Moment für sich zu brauchen nach Schlusspfiff. Der abermals stark aufspielende Flügelstürmer Dodi Lukebakio nahm auf dem Ball Platz an der Seitenlinie, kratzte sich unaufhörlich am Kopf. Als müsse er ihn nur lösen, diesen einen Gedanken, der ihm das alles verständlich macht.

Torschütze Lucas Tousart saß wenige Meter entfernt auf der Auswechselbank der Hertha, den Kopf in den Nacken geworfen, die Augen geschlossen. Fast schien es dabei, als hätten die Hertha-Profis für den Moment mehr an diesem Spiel denn am Abstieg zu knabbern. Denn es war doch alles angerichtet. Der eigene Sieg. Immerhin ein Unentschieden bei Schalke, die so auch noch einzufangen gewesen wären am letzten Spieltag.

Dardai lässt seine Zukunft offen

Trainer Pal Dardai hingegen schien auch jetzt noch ganz klar und bei sich. Bestimmt seien die Spieler traurig, so der Ungar, weil, "das gleiche Geld kriegen sie nicht". Er und sein Trainer-Team würden aber auf guten Schlaf hoffen dürfen, weil "wir haben alles getan." Die Kader-Mischung habe nicht gestimmt. Auch deshalb die Mentalität in der Mannschaft nicht. "Der größte Fehler war, den Jungs zu erzählen, dass im Fußball nur die Offensive zählt."

Er sagte das so nüchtern, wie es eben geht. Und blieb dabei, als er auf seine Zukunft angesprochen wurde. Er werde seine Einschätzung abgegeben, auch "schriftlich, damit der Verein das hat". Ansonsten arbeite er bei Hertha BSC. "In welcher Position, das müssen wir abwarten."

Trotz und Treueschwüre

Immerhin hatte er zuvor doch noch so etwas wie Freude verbreitet an diesem für Hertha so traurigen Tag. "Fußball ist ein schönes Geschäft", so der Ungar, "es zählt immer der nächste Pass. Was war, das musst Du abhaken." Nicht schlecht, so circa fünf Minuten nach Abpfiff. Und auch Kevin-Prince Boateng hatte noch gesagt: "Man muss die Fragezeichen beseitigen und dann wieder angreifen. Und dann muss das Ziel sein, in zwei Jahren wieder erste Liga zu spielen."

Man muss die Fragezeichen beseitigen und dann wieder angreifen. Und dann muss das Ziel sein, in zwei Jahren wieder erste Liga zu spielen.

Kevin-Prince Boateng

Eine Angriffslust, die im Vereinsblut zu liegen scheint. Schaute man sich nur eine halbe Stunde nach dem besiegelten Abstieg beim Kurznachrichtendienst Twitter um, waren Wut und Trauer zumeist schon Trotz und Treueschwüren gewichen. Liebe kenne Liga, war da zu lesen. Oder von der Erleichterung darüber, nun endlich Klarheit zu haben. Und dann war doch einer, der wissen wollte, wann denn der Dauerkarten-Verkauf für die neue Saison beginnen würde. Wenn es nach den Fans geht, geht Hertha die Mission Wiederaufstieg vor allem eines an: geschlossen.

Sendung: rbb24, 20.05.2023, 21:45 Uhr

13 Kommentare

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  1. 13.

    In den letzten Tagen über 14 Berichte über den BCC777, dazu zwei Sondersendungen im RBB!
    In den Berichten abstruse Behauptungen, von wegen "Strahlende Stadt, verliert eines ihrer Lichter" und von weinenden Prinzessinnen.
    Stellt sich die Frage: Was machen die lobpreisenden Schriftsteller jetzt? Kommen jetzt Sondersendungen über Spiele gegen Rostock oder Magdeburg?

  2. 12.

    Die Hertha kommt wieder!
    Davor habe ich Angst.

  3. 10.

    Nur nach Hause gehen sie nicht...weil sie haben ja kein Zuhause.

  4. 9.

    Das Problem ist, daß vor ein paar Jahren als Windhorst oder Klinsmann Ihre Zelte in Berlin aufgeschlagen haben, nicht die Alarmglocken bei jeden Hertha-Fans aufgegangen sind. Mit solchen Typen macht man keine gemeinsamen Sachen. Alle Beide Geschichten-Erzähler.

  5. 8.

    Realität und Wunschdenken klaffen bei Hertha weit auseinander.
    Realität: Abstieg
    Wunschdenken: Man braucht ein eigenes Stadion.
    Vielleicht wird der Verein jetzt endlich geerdet.

  6. 7.

    Richtig, Stefan H.!!!!

  7. 6.

    Das ist wohl wahr. Hertha war schon so tief, hat es aber gepackt. Auch diese Phase geht vorüber. Und seinen Verein kann man ja nicht einfach mal wechseln. Die 10 Jahre BL haben viele vergessen lassen, wie Hertha früher ständig ab- und aufgestiegen ist. War schlimmer als die letzten Jahre in der BL.

  8. 5.

    Ich stimme Ihnen zu 100% zu. Wir kommen wieder!!! HaHoHe, für immer Hertha BSC!

  9. 4.

    Für die 2. Liga traue ich den Fans einiges zu, aber wenn es noch tiefer geht wegen Lizenzentzug glaube ich persönlich nicht das da noch mehr als 15 oder 20 Tausend Fans da sind

  10. 3.

    Der Lizenzentzug für diesen großkotzigen, überheblichen und sich immer weiter selbst feiernden Verein wäre das einzig richtige, ich hoffe sehr das es so weit kommt, da darf auch keine Rücksicht darauf genommen werden das es sich hier um den Windhorst/777 BCC handelt !!!

  11. 2.

    Wann wird die Entscheidung über die Erteilung oder Entziehung der Lizenz getroffen?
    Da könnte es noch viel mehr aufgerissene Münder, Mittelfinger und Tränen geben.

  12. 1.

    Auch wenn es die üblichen Verdächtigen nicht wahrhaben wollen: Die Fans von Hertha BSC sind nicht abgestiegen, die sind erstklassig. Und die meisten davon gehen jetzt mit in die zweite Liga. Oder tiefer, weil die hochproblematische finanzielle Lage auch zum freien Fall in die dritte oder vierte Liga führen kann. Aber selbst das ist dann nicht das Ende, sondern "nur" der Beginn eines langwierigen Wegs zurück nach oben. Hertha wird ihn überleben, wie auch schon zuvor. 130 Jahre Vereinsgeschichte wirft man nicht einfach weg, auch wenn sich heute viele schon nicht mehr an das erinnern können, was gerade einmal zehn Jahre her ist.

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