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Audio: rbb24 Inforadio | 19.09.2022 | Isabel Schönfelder | Quelle: dpa

Interview | Netzbetreiber 50 Hertz

"Es gibt gute Gründe zu hoffen, dass die Bürger bewusster beim Stromverbrauch sind"

Vor dem Hintergrund der Energiekrise werden immer wieder Warnungen vor einem großflächigen Stromausfall im kommenden Winter laut. Der Chef des Netzbetreibers 50 Hertz, Stefan Kapferer, hält diese Gefahr jedoch für gering.

rbb: Herr Kapferer, müssen wir uns jetzt alle noch mehr Wolldecken und Kurbel-Radios kaufen, weil der Blackout im Winter vor der Tür steht?

Stefan Kapferer: Richtig ist, dass wir in diesem Winter eine angespannte Situation auf allen Energiemärkten haben werden. Das gilt, wie wir alle wissen, für die Wärmeversorgung, weil sie häufig gasbasiert ist. Das gilt aber auch für die Stromversorgung. Wir Netzbetreiber werden jedoch alles dafür tun, dass zu jeder Stunde auch in diesem Winter die Stromversorgung gesichert ist.

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Sie haben bereits verschiedene Szenarien für den Winter durchgespielt, wie es um die Belastbarkeit der deutschen Netze bestellt ist. Auf was müssen wir uns einrichten?

Es ist wichtig, dass man noch mal klarmacht, dass wir über keinen normalen Winter reden, weil wir europaweit eine Sondersituation sehen. Wir haben in Frankreich bekanntermaßen Probleme mit den Kernkraftwerken. Wir hatten einen sehr trockenen Sommer, der zum Beispiel in Skandinavien die Stauseen hat trockenfallen lassen. Wir haben Probleme mit dem Transport von Kohle auf dem Rhein. Deswegen hatten wir in einem Stressszenario geprüft, wie sich je nach Verfügung von Kohle-, Gas- und Kernkraftwerken im Winter 2022/23 die Situation darstellt. Also: Können wir zu jeder Stunde des kommenden Winters sicherstellen, dass die Nachfrage nach Strom in Deutschland insgesamt gedeckt ist?

Die zweite Frage ist, ob es dabei auch möglich ist, die Netze stabil zu halten. Es kann natürlich sein, dass wir im Norden – weil der Wind gut weht - viel Strom haben, aber durch Engpässe im Stromnetz die Energie nicht in den Süden bringen können. In diesem Fall hätten wir ein Problem mit der Netzstabilität.

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Wird es in allen Situationen genug Strom geben? Haben Sie beispielsweise die 650.000 Heizlüfter in ihrem Stresstest mit in Bedacht gezogen?

Natürlich haben wir auch Heizlüfter einbezogen. Als Grundlage haben wir das Wetterjahr 2012 als Grundlage angenommen. So ein Stresstest ist ein sehr aufwendiger Rechenprozess. Wir simulieren jede Stunde eines Winters und damit auch sehr kalte Phasen, wie es im Februar 2012 der Fall war.

Das Ergebnis ist, dass wir nach jetzigem Stand ein, zwei Stunden möglicherweise hätten, wo wir die Stromlast-Nachfrage nicht decken können. Das ist nach wie vor ein exzellenter Wert. Allerdings haben wir ein Problem bei der Netzstabilität und das im Süden Deutschlands.

Dazu muss man wissen, dass es derzeit Netzengpässe gibt, das heißt, wir haben viel Stromerzeugung im Norden Deutschlands. Wir haben hier Windparks auf hoher See. Insgesamt gibt es im Norden deutlich mehr Windräder. Die Solar-Stromerzeugung im Winter fällt natürlich geringer aus und sie ist im Süden deutlich stärker vertreten.

Wenn es uns nicht gelingt, den Strom, der im Norden erzeugt wird, nach Süden zu transportieren, dann muss auf Kraftwerkskapazitäten im Ausland zugegriffen werden. Dies wird sich in diesem Winter schwieriger darstellen lassen. Deswegen bedarf es hinsichtlich der Netzstabilität entschlossener Gegenmaßnahmen.

Im Süden Deutschlands ist die Stromnachfrage aufgrund vieler Industriebetriebe sehr hoch. Jedoch ist der Netzausbau in den letzten Jahren nicht so gut vorangekommen. Das fällt uns jetzt auf die Füße. Der Gesetzgeber hat erfreulicherweise in diesem Frühjahr eine Reihe von gesetzlichen Erleichterungsmaßnahmen beschlossen, die die Verfahren beschleunigen sollen. Aber noch immer kämpfen wir auch damit, dass sich Bürgerinnen und Bürger dagegen wehren, dass Leitungen in ihrer Region gebaut werden.

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Warum sind Netzschwankungen gefährlich und welche Folgen können diese haben?

Es ist das Ziel eines Netzbetreibers, in seinen Leitungen immer eine Frequenz von rund 50 Hertz zu haben. Das darf jeweils ein bisschen nach oben und ein ganz kleines bisschen nach unten schwanken. Wenn die Abweichungen zu groß werden, dann muss man zum Beispiel Last vom Netz abwerfen, einfach um die Frequenz und das Netz wieder zu stabilisieren. Das kann dann ein großes Industrieunternehmen betreffen. Es ist auch möglich, dass es ein einzelnes Stadtviertel betrifft.

Hierbei geht es um einen geordneten Lastabwurf - ohne natürlich, dass wir vorher denjenigen, den wir abwerfen, noch mal um Erlaubnis zu fragen. Da entsteht dann gegebenenfalls eine Entschädigungspflicht. Zusätzlich kann der Stromabfluss ins Ausland reguliert werden. Das sind beides Ultima-Ratio-Maßnahmen, bevor die Frequenz möglicherweise dazu führt, dass wir das System nicht mehr steuern können. Insofern haben wir da immer noch Reserven in den Handlungsmöglichkeiten.

Welche Forderungen haben Sie, damit es ein stabiles Angebot, ein stabiles Netz gibt? Was muss in den kommenden Wochen und Monaten passieren?

Wir haben der Politik ein Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen, die helfen können, diese Lücke im Süden für das sogenannte Re-Dispatch - also die Netzstabilität - zu reduzieren. Das fängt an bei der Frage: Wie stellen wir sicher, dass an den Kohlekraftwerk-Standorten, die jetzt zurückkommen ins System, auch immer ausreichend Kohle zur Verfügung steht?

Unlängst hat der Brandenburger Ministerpräsident erklärt, dass er davon ausgeht, dass die beiden Kohlekraftwerke in Jänschwalde wieder zurück ans Netz können. Da gab es wasserrechtliche und emissionsrechtliche Genehmigungsfragen. Ich habe aus dem Brandenburger Wirtschaftsministerium gehört, dass diese gelöst sind. Insofern gehe ich davon aus, Jänschwalde kehrt im Winter zurück ins System mit beiden Blöcken. Aber im Sommer gab es im Rhein wenig Wasser. Deswegen ist jetzt abzuwarten, ob genügend Steinkohle an den Standorten sein kann.

Weiter haben wir vorgeschlagen, die Netze auch höher auszulasten. Zudem haben wir genannt, auch mit großen Industrieunternehmen Vereinbarungen zu treffen, dass man gegebenenfalls bei hoher Last auch gezielt Last vom Netz nehmen kann. Und eine Möglichkeit ist natürlich auch der Weiterbetrieb der drei derzeit noch im Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke.

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Weil es im Winter kälter ist, kann mehr Strom durch das Netz transportiert werden. Was ist dafür erforderlich, um dies bewerkstelligen zu können?

Es stimmt, wir können Netze höher auslasten, wenn die Temperatur niedriger ist. Es ist für jeden nachvollziehbar: Netze werden beim Stromtransport warm, hängen dann auch stärker durch. Je kälter die Umgebungsluft ist, desto weniger erhitzt sich das Material und desto weniger hängt es dann auch durch. Deswegen ist es im Winter auch möglich, mehr Strom als im Sommer durch Leitungen zu schicken. Aber dafür braucht es Genehmigungen von Behörden. Hierfür wird der Gesetzgeber jetzt entsprechende Sonderregelungen für den Winter vornehmen, damit wir das vereinfacht tun können.

Nochmal zusammengefasst: Der Strom kann wenige Stunden lang knapp sein. Es gibt aber Reserven, die aufgerufen werden können. Wenn das alles nicht reicht, dann kann gezielt abgeschaltet werden. Richtig?

Wir haben ein Monitoring mit dem Bundeswirtschaftsministerium, der Bundesnetzagentur und den vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber verabredet. Jetzt gucken wir uns in den nächsten Wochen an: Was passiert in Frankreich mit den Kernkraftwerken? Wie läuft es mit der Kohleversorgung? Kommen alle Kohlekraftwerke zurück?

Wichtig ist auch zu beobachten, wie sich die Stromnachfrage entwickelt. Es gibt gute Gründe zu hoffen, dass auch Bürger bewusster beim Stromverbrauch sind. Zum einen, weil es hohe Preise sind, die derzeit aufgerufen werden und natürlich auch, weil die Bürger wissen, dass wir eine angespannte Lage haben. Insofern bin ich sehr optimistisch, dass wir die ganz schwierigen Szenarien nicht sehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Andrea Everwien.

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.09.2022, 09:30 Uhr

Korrektur: In einer ersten Fassung dieses transkribierten Interviews hatten wir die Überschrift gewählt: "Wir können zu jeder Stunde sicherstellen, dass die Stromnachfrage gedeckt ist". Diese Überschrift basierte auf einem Satz, der im Wortlaut jedoch nicht als Ausssage, sondern als Frage formuliert war. Wir haben die Überschrift daher ausgetauscht und die entsprechende Textstelle entsprechend korrigiert.

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