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Audio: Antenne Brandenburg | 26.09.22 | Karsten Zummack | Quelle: dpa/Marius Becker

Hennigsdorfer Lebensmittelretterin

Zu gut für die Mülltonne

Durchschnittlich 78 Kilo Lebensmittel wirft jeder von uns jährlich weg. Bundesweit summiert sich das auf elf Millionen Tonnen. Der Verein "Foodsharing" hat dieser Ex-und-hopp-Mentalität den Kampf angesagt. Von Karsten Zummack

Wenn Tina Witte-Debeljevic mit ihrem Kleinbus den Supermarkt ansteuert, nimmt sie meist die Lieferanten-Einfahrt. Dort stehen auch dieses Mal übereinandergestapelte grüne Paletten für sie schon parat – voll mit ausrangierten Lebensmitteln. Die 40-jährige, das blonde Haar zu einem Zopf gebunden, streift sich Handschuhe über und macht sich an die Arbeit.

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Jede Paprika-Dreierpackung reißt sie auf, jedes Zitronennetz. Was ist verdorben, was noch essbar? Mit geschultem Blick sortiert die Hennigsdorferin die Lebensmittel in zwei verschiedene Kisten. "Zum einen werden Lebensmittel aussortiert, wenn sie das Mindesthaltbarkeits-Datum überschritten haben. Dann sind sie in der Regel noch verzehrbar", erklärt Witte-Debeljevic.

Allerdings gebe der Hersteller dann eben keine Garantie mehr dafür. Auch Backwaren werden oft aussortiert, weil sie am nächsten Tag nicht mehr gut weiterverkauft werden können. Dasselbe gilt für Obst und Gemüse mit Stoßecken.

Alles, was noch verzehrbar ist, wird später an Gleichgesinnte verteilt – nicht an Bedürftige. Ihr Verein "Foodsharing" will nicht mit der Tafel konkurrieren. Unverkäufliche Lebensmittel sind laut Witte-Debeljevic ohnehin reichlich vorhanden. Deshalb kommen, wie sie sagt, mitunter sogar Supermärkte, Bäckereien, Kantinen oder Betriebe auf sie zu, um die Waren nicht wegwerfen zu müssen.

Verteilung per WhatsApp-Gruppe

"Um Lebensmittel zu produzieren, gibt es ja einen großen Aufwand", betont die 40-Jährige mit Blick auf bestellte Äcker, Tierhaltung, Benzinkosten und Produktion. Sich vorzustellen, dass die Erzeugnisse ungenutzt bleiben, sei "schmerzhaft".

Durch ihre Mutter ist die umtriebige Frau auf die Intitiative gestoßen, wie sie erzählt. Nach ihrer Elternzeit sei sie mit eingestigen.

Nachdem sie die Kisten mit den essbaren Lebensmitteln in ihren Transporter gehievt hat, zückt Tina Witte-Debeljevic ihr Smartphone. Über eine spezielle Whatsapp-Gruppe informiert sie ihre 150 Mitstreiter über eine öffentliche Verteilung am Mittag auf einem Hennigsdorfer Parkplatz. Zunächst aber steuert sie das Gemeinschaftszentrum "Conradsberg" an. Hier gibt es einen öffentlichen "Fairteiler" mit Kühlschrank und Regalen.

Ehrenamt trotz Vollzeit- und Mutterjob

Gemeinsam mit Jugendkoordinator Johannes Otto räumt sie Bananen, Basilikumtöpfe und Tomaten ein. "Ich finde es enorm, wie man mit Familie, mit kleinen Kindern und einer Vollzeitstelle so etwas mit auf die Beine stellen kann. Davor ziehe ich den Hut", lobt Otto die Lebensmittelretterin. Denn trotz großer Familie und Job als Sozialarbeiterin in einer Justizvollzugsanstalt engagiert sich Witte-Debeljevic ehrenamtlich.

Dafür wurde sie von der Stadt im vergangenen Herbst als eine der "Superheldinnen des Alltags" ausgewählt. So prangte ihr Konterfei wochenlang auf Plakaten in Hennigsdorf. "Mein Tag hat auch nur 24 Stunden", räumt die 40-Jährige ein. "Man plant manchmal auch Abholungen, wenn die Kinder schon schlafen. Es kostet manchmal Überwindung, sich dann noch mal aufzumachen."

Einkaufen mal anders

12:15 Uhr: Jetzt macht Witte-Debeljevic Halt auf einem öffentlichen Parkplatz. Aus ihrem Kleintransporter holt sie mehrere Kisten, bunt mit Obst und Gemüse vollgestopft. An der Bordsteinkante baut sie einen kleinen Stand auf. Immerhin sind drei Frauen zur Abholung gekommen. Sie schauen, riechen, packen ein – alles gratis. Nicht nur deshalb schätzen sie das ehrenamtliche Engagement der Lebensmittelretterin.

"Ich glaube, sie lebt dafür", sagt Mitstreiterin Nicole. Und während sie mit vollem Stoffbeutel davonzieht, strahlt Witte-Debeljevic über das ganze Gesicht. "Es macht mich glücklich", sagt die Ehrenamtlerin. Schließlich hat sie auch heute wieder einige Kilo Lebensmittel vor der Mülltonne bewahrt.

Elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll

Etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen bundesweit jährlich im Müll. Umgerechnet wirft nach neuesten Statistiken jeder hierzulande 78 Kilo pro Jahr weg. Diesem Problem widmet sich auch die "Aktionswoche gegen Lebensmittelverschwendung" [bmel.de], die diesmal vom 29. September bis 6. Oktober stattfindet.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.09.2022, 12:00 Uhr

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