100 Jahre Loriot - "Es ging bei ihm um das Menschliche, nicht um Ost oder West"
Loriot kommt 1985 zurück nach Brandenburg und veranstaltet eine Ausstellung vorbei an der DDR-Staatsführung. Die wird nun rekonstruiert und heißt "Heile Welt". Max Burk hat mit den Kuratoren Undine Damus-Holtmann und Wulf Holtmann gesprochen.
rbb: Wie sind Sie Loriot zum ersten Mal begegnet?
Undine Damus-Holtmann: Loriot gehörte bei mir immer dazu. Im Wortschatz der Familie gab es immer seine Sprüche. Also "Ach was!" kam ständig. Ich war 1985 selbst dabei, als Loriot zum ersten Mal nach Brandenburg zurückkam. Als junge Mutter mit Kinderwagen saß ich ganz hinten rechts im Dom, immer auf dem Sprung, falls ich wieder raus muss. Es war brechend voll mit Menschen. Und dann kam Loriot und hat geredet. Und er hat toll geredet - das waren wir in der DDR nicht gewöhnt. Eine freie Rede, in die jeder etwas hineininterpretieren konnte, die alles sagte und nichts.
Wulf Holtmann: Ich komme aus dem Westen und bei uns in der Familie war Loriot an sich nichts Besonderes. Er war natürlich im Fernsehen und wir haben sicherlich auch den einen oder anderen Film gesehen. Einzelne Begriffe von ihm waren so verinnerlicht, dass wir das kaum noch gemerkt haben, dass sie von Loriot kamen. Aber eine intensive Begegnung mit ihm habe ich eigentlich erst gehabt, als ich nach Brandenburg kam und meine Frau kennenlernte. Da habe ich ihn als Mensch, als Künstler wirklich kennengelernt.
rbb: Worin liegt Ihre Begeisterung für Loriot?
Undine Holtmann: Es ging bei ihm einfach um das Menschliche. Es ging nicht um Ost oder West. Die Mechanismen haben ja überall gleich funktioniert. Die zwischenmenschlichen Missverständnisse sind ja hier wie da genau die gleichen. Und dass jemand das mit so viel Aufmerksamkeit, so viel Sensibilität so auf den Punkt bringen konnte, das hat uns schon sehr fasziniert.
Wulf Holtmann: Wenn man sich anguckt, wie heute die Diskussionen laufen zwischen Ost und West und immer wieder die Unterschiede hervorgehoben werden und jeder über den anderen meckert – dann ist das alles Müll. Loriot hat mehrfach, wenn er hier war und Reden hielt, abgeschlossen mit: Lasst uns zusammenbleiben. Und das ist mir auch wichtig. Dieses Credo, daran sollten sich die Leute heute auch einfach mal wieder erinnern.
rbb: Ihre Ausstellung heißt "Heile Welt". Was hat es mit diesem Titel auf sich?
Undine Holtmann: Als Loriot 1985 hierherkam, kam er in eine heile Welt zurück. Für ihn war Brandenburg seine Kindheit, seine ersten drei Jahre, die er mit seiner Mutter hatte. Als seine Mutter starb, hinterließ sie ihm ihre Tagebücher. Und in diesen Tagebüchern hat er immer wieder gelesen und hatte ein Bild von Brandenburg.
Und dann kamen Alfred und Gerda Arndt, die Kuratoren der Ausstellung von 1985, und luden ihn ein, hier auszustellen. Und er kommt und findet nach seinem Gefühl diese heile Welt, die er jahrzehntelang in diesen Tagebüchern gelesen hat. Er fährt hier rum durch die Landschaft und findet ganz viel, was nach seinem Gefühl im Westen nicht mehr vorhanden ist. Es war alles verfallen, die Straßen waren nicht gemacht, es fehlte an allem. Aber er hat noch ganz viel gefunden, eben weil es nicht glatt gemacht war. Und das hat er aufgesogen wie ein Schwamm.
rbb: Loriot kam zwar ursprünglich aus Brandenburg, aber er hat den Großteil seines Lebens im Westen gelebt. Welche Rolle spielte er überhaupt in der DDR?
Undine Holtmann: Die Leute kannten ihn. Aber die Politik nahm ihn gar nicht so wahr. Und deshalb war diese Grenzunterlaufung auch so gut möglich. Er berührte eigentlich nicht die Interessen, er war kein Feindbild in dem Sinne. Und insofern konnte er diese Grenze unterlaufen, einfach so passieren, was vielleicht vorher keiner geglaubt hatte.
Wulf Holtmann: Diese erste Ausstellung 1985 hat eine lebenslange Freundschaft eröffnet. Und für Brandenburg bedeutete es, dass Loriot von dem Moment an immer wiedergekommen ist, und zwar schon vor der Wende. Als herauskam, dass die Ausstellung damals unter dem Radar gelaufen war, da waren die SED-Führung und Stasi natürlich stinksauer und sie haben böse Berichte geschrieben. Aber das Büro Honecker hat anders entschieden. Sie haben sich wohl gesagt: Wir kommen aus der Nummer nicht wieder raus. Wir müssen uns jetzt was Eigenes überlegen und haben ihn immer wieder eingeladen. Sie haben wohl gedacht: Es ist egal, der tut uns nichts, das müssen wir jetzt machen. Und dadurch sind eben diese Türen geöffnet worden, und Loriot konnte durchmarschieren. Und das war ihm auch ein Anliegen, denn er war ja stolz, ein Brandenburger zu sein.
Das Leben und Werk des Vicco von Bülow
rbb: Warum haben Sie sich dazu entschieden, die Ausstellung von 1985 zu rekonstruieren?
Undine Holtmann: Für mich ist wichtig, unter welchen Bedingungen diese Ausstellung 1985 stattgefunden hat. Dieses Prinzip ‘einfach mal machen’ - und nicht die Angst vor der Angst. Es geht nicht darum zu sagen: Das könnte nicht gehen, hier könnte es nicht klappen. Oder: Das wird die SED-Führung verbieten. Sondern einfach zu sagen: Wir machen erst mal! Und Loriot hat mitgezogen und dann ist etwas ganz Tolles entstanden. Und wir hatten jetzt einfach Lust, das genauso noch einmal zu zeigen.
Wir wussten nicht, welche Bilder damals gehangen haben. Es stand nirgendwo ein Titel. Wir haben uns dann detektivisch auf die Suche gemacht und gedacht, dass man das doch irgendwie rauskriegen muss. Wir haben dann die Fotos gesucht und vergrößert und haben mit Loriots Tochter Susanne von Bülow zusammengearbeitet und anhand von wenigen Pixeln versucht herauszubekommen, welche Bilder das sind. Und wir haben diese Ausstellung wieder zusammengestellt und wollten dann drumherum halt einfach auch erzählen, wie diese Tage der Ausstellungseröffnung hier waren.
rbb: Welches Erbe hat Loriot hinterlassen?
Undine Holtmann: Fast in jedem Loriot-Sketch gibt es Momente, wo ich sage: Wow! Getroffen. Er war jemand, der im täglichen Leben ständig wahrnimmt. Jemand, der nicht nur sendet, sondern ganz viel empfängt. Und das empfinde ich als etwas sehr Beeindruckendes und eigentlich auch was, was wir auch heute immer wieder brauchen.
Wulf Holtmann: Er fehlt uns. Deutlich.
Danke für das Gespräch!
Sendung: rbb Kultur, 04.11.2023, 18:30 Uhr