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Audio: rbb24 Inforadio | 08.02.2024 | Corinne Orlowski | Quelle: dpa/Christoph Soeder

Lesung aus Mirna Funks Buch "Von Juden lernen"

"Dass Jüdinnen und Juden nicht immer in dieser Triangle of Sadness gesehen werden"

Die Berliner Autorin Mirna Funk schreibt in ihrem neuen Buch gewohnt streitbar darüber, was man "von Juden lernen" kann. Bei der Buchpremiere mit Michel Friedman will davon aber nicht so viel hängen bleiben. Von Corinne Orlowski

Um in die Urania zu kommen, muss man erst mal durch strenge Sicherheitskontrollen, so wie bei vielen jüdischen Veranstaltungen in den vergangenen Monaten. Leider. Mirna Funk wird angekündigt als "Blockbuster" und als sie dann auf die Bühne tritt, von rund 900 Menschen gefeiert wie ein Star. Doch an diesem Abend will eigentlich nichts recht zusammenpassen.

Mirna Funk hatte ihr Buch "Von Juden lernen" schon fast fertig. Dann kam der 7. Oktober, der Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel, der über alle Juden weltweit hereinbrach und Funk musste den Text überarbeiten. Nun ist das Interesse an dem Buch so groß, dass der Verlag "dtv" den Erscheinungstermin nach vorne gezogen hat, es ist nun genau vier Monate nach Kriegsbeginn veröffentlicht worden.

Dabei hatte Funk eigentlich etwas anderes vor, wie sie sagt: "Als ich auf die Idee kam, das Buch zu schreiben, habe ich eigentlich nur an eine Sache gedacht, nämlich an die jüdische Community in Deutschland und deswegen ist dieses Buch auch dieser Community gewidmet, weil mir eins ganz wichtig war, nämlich dass Jüdinnen und Juden nicht immer mit dieser Triangle of Sadness gesehen werden." Also dem Dreieck der Traurigkeit: Antisemitismus, die Shoah und der arabisch-israelische Konflikt. Doch all das wird natürlich thematisiert – gleich zu Beginn vom Bundestagsabgeordneten Michael Roth von der SPD in seinem Geleitwort.

Das Buch «Von Juden lernen» von M. Funk liegt bei dessen Vorstellung in der Urania Berlin aus. | Quelle: dpa/Christoph Soeder

kein "Smash the Patriarchy"

Auch wenn Roths Worte, wie kalt Deutschland für ihn geworden sei und wie heiß der Hass, bewegen, zu Funks Agenda passen sie nicht. Denn: "Eigentlich geht es in dem Buch darum, was Jüdinnen und Juden so können." Und darum, was sie in der über 5.000 Jahre alten jüdischen Kultur so gedacht haben. Funk stellt in ihrem Buch "Von Juden lernen" acht Denkkonzepte vor: wie "tikkun olam" (von der Verbesserung der Welt), "eshet chayil" (das Lob der Frau) oder "machloket" (richtig streiten lernen) – und verwebt sie mit aktuellen Kontexten. Also wird erst mal gelesen, zwei ganze Kapitel lang, während Funk und Michel Friedman auf der Bühne Platz nehmen und das Publikum geduldig den Schauspielern Esther Schweins und Jonathan Berlin zuhört.

((Zitate aus dem Buch))

"Es braucht keine Zerstörung, kein "Smash the Patriarchy". Es braucht einen liebevollen Blick auf Maskulinität und Feminität. [...] Es geht um den gelebten Widerspruch."

"Mein Verständnis von Wahrheit bedeutet, dass zwei gegensätzliche Positionen nebeneinander existieren, und die einzige Chance auf Wahrheit ist, sich in einer ständigen und niemals endenden Bewegung zwischen diesen beiden Polen zu bewegen."

Funk stellt in ihrem Buch immer wieder die Bedeutung des Dialogs heraus und die Tugend, sich zu hinterfragen. Dafür macht sie klare Ansagen. Teilweise hört sich das an wie eine Streitschrift der FDP. Funk feiert Freiheit und Selbstbestimmung, in dem Sinne: "Du bist deines eigenen Glückes Schmied, du musst es nur unbedingt wollen." Funk sieht sich als lebenden Beweis, dass das funktioniert.

Und tatsächlich: Als Ostdeutsche, Jüdin und Alleinerziehende kann man sie eine Aufsteigerin nennen, eine "die nicht twittert, sondern Scheine macht", die selbstbewusst auftritt und radikal formuliert, was gerne mal für Missverständnisse sorgt. Was man "von Juden lernen" kann, beschreibt sie in der Form des persönlichen Essays. Dass an diesem Premierenabend nun zwei Schauspieler ihren Sachtext lesen, leuchtet nicht ein. Der persönliche und zuweilen ungewöhnlich zarte Ton des Textes verfliegt.

Bloß nicht jammern

Ja, und wo bleibt eigentlich der Dialog, den Funk so beschwört? Michel Friedman schaut während der Lesung schon auf die Uhr. "Geht's noch, Mirna? Mitten unter der AfD und den sonstigen Judenhassern 'Von Juden lernen'?" Friedman plaudert, Funk kichert, zusammen kommen sie nicht recht zum Punkt. Dabei stellt Friedman interessante, wenn auch allgemeine Fragen. Was kann man von Mirna lernen? Warum schreibst du Bücher? Hat Gott eine Bedeutung in deinem Leben? Ja, sie glaube an Gott und spreche mit Hashem, so die hebräische Bezeichnung für Gott, unter der Dusche. Die beiden kennen sich gut. Sie werden persönlich, was unterhaltsam ist, doch so ganz wollen sie einfach nicht hineinfinden in ein Gespräch, gehen nicht weiter aufs Gelesene ein.

Dabei hätte Funk viel zu sagen über Resilienz und Streitkultur, und man könnte in der Tat einiges aus diesem Buch lernen: wie stark Frauen sein können, wie Streit ohne Eskalation gelingen kann, wie man miteinander statt übereinander redet, wie man andere Meinungen aushält. Bloß nicht jammern. Auch wenn ihre Thesen streitbar sind, dafür, dass sie in dieser schlagkräftigen Form an jüdische Philosophie erinnert und jüdische Denkkonzepte zusammenbringt, die im Leben und Miteinander aller hilfreich sein können, allein dafür dankt ihr letztlich der ausverkaufte Humboldtsaal in der Urania. "Wer sich selbst auf der richtigen Seite verortet und das Schlechte fingerzeigend im Außen ausmacht, braucht jetzt die Erkenntnisse des Judentums. Mehr denn je", schreibt Funk in ihrem Buch. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.02.2024, 10:00 Uhr

Beitrag von Corinne Orlowski

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