Interview | Kollektiv Calaca - "Remigration"-Performance beim Karneval der Kulturen
Das Kollektiv Calaca tritt beim Karneval der Kulturen mit einer "Remigration"-Performance auf: Eine Königin wählt anhand der Hautfarbe aus, wer in Deutschland bleiben darf und wer abgeschoben wird. Ein Interview mit der Künstlerin Cristina Knopf.
Frau Knopf, wie fühlt es sich an, in Zeiten des Krieges eine Riesenparty wie den Karneval der Kulturen vorzubereiten?
Cristina Knopf: Ich denke, Karneval der Kulturen ist etwas anderes als eine Party. Karneval bricht mit dem Alltag, möchte unser Leben in anderer Form zeigen. Wir leben unweigerlich in Zeiten des Krieges. Wir feiern nichts, sondern beim Karneval hinterfragen wir uns selbst in der Situation, in der wir aktuell leben.
Das Kollektiv Calaca setzt beim Karneval der Kulturen bewusst auf provokant politische Themen. 2017 haben Sie für "Trump will eine Mauer – er soll sie haben" einen Preis für das beste Thema bekommen. Wie entstehen Ihre Ideen?
Calaca ist auch ein politischer Verein. Unsere Kunst hat immer auch einen politischen Bezug. Wir setzen uns zusammen und brainstormen. Meistens kommen Ideen bereits im Vorfeld über unseren Nachrichtenchat zustande, in dem wir unabhängig vom Karneval das ganze Jahr über Dinge posten, die uns bewegen.
Oft müssen wir nicht lange nachdenken, so wie in diesem Jahr. Als der Potsdamer Plan der "Remigration" an die Öffentlichkeit kam, war das so unglaublich und perfide, dass sofort ein Posting im Chat ankam: Hier ist das Thema für den Karneval der Kulturen.
Der Begriff "Remigration" wird von rechten Gruppierungen genutzt, um über Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund zu sprechen. Dieses Jahr ist genau das Ihr Thema auf dem Umzug – wie setzen Sie das um?
Wir zeigen beim Umzug des Karnevals der Kulturen ein mobiles Reisebüro, "Hui" Traumreise. Unterschiedliche Menschen aus dem Berliner Alltag gehen dort hinein, wie eine Pflergerin, ein Lieferando-Fahrer, eine Babysitterin, ein IT-Spzialist und so weiter. Und sie bekommen einen deutschen Pass. Dann kommt aber die Königin des deutschen Passes und entscheidet, wer wirklich in Deutschland bleiben darf - nämlich die Menschen mit heller Haut. Diejenigen, die ausreisen müssen, besteigen auf unserer Bühne einen Bus, einen Zug oder ein Flugzeug.
Also eine Parodie auf das Konzept, die zeigen soll, wie schrecklich das für Menschen ist. Und dass jeder von uns in so eine Situation kommen kann. Leider ist diese rassistische Entwicklung auch in vielen amerikanischen Ländern ein sehr aktuelles Thema.
Wieso habt ihr euch für eine Parodie entschieden?
Das Thema "Remigration" ist ein sehr ernstes. Als wir darüber nachgedacht haben, dass diese Idee in der Gesellschaft Anklang finden könnte, kam Traurigkeit und Verzweiflung bei vielen von uns hoch. Anhand der Parodie machen wir uns darüber lustig, wie extrem diese Idee eigentlich ist. Die Königin des Deutschen Passes hat eine Farbpalette, mit der sie bestimmt, welche Menschen bleiben dürfen. Sie fordert Menschen mit einer Haut so weiß, wie es sie in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Wer macht bei Calaca eigentlich mit und wie kommt es, dass Sie schon seit dem ersten Umzug 1996 mit dabei sind?
Wir sind Menschen unterschiedlichen Alters, meist mit lateinamerikanischen oder spanischen Wurzeln. Uns gab es bereits, als der Karneval der Kulturen zum ersten Mal stattfand. Damals war die Teilnahme ein Statement gegen den offenen Rassismus, den Migrantinnen und Migranten erlebt haben.
Auch wenn inzwischen andere Mitglieder als damals das Ruder übernommen haben, so ist doch die Motivation der Teilnahme dieselbe geblieben: Wir wollen gegen Ausgrenzung und Rassismus ein Zeichen setzen und uns einmal im Jahr die Straße nehmen, um auf kreative Weise zu zeigen, wie wir auf die aktuellen Themen blicken.
Die Menschen, die beim Karneval der Kulturen mitfeiern, sind häufig ohnehin tolerant. Wie hofften Sie, mit Ihrer Performance jene zu erreichen, die dem Begriff "Remigration" weniger kritisch gegenüberstehen?
Eine Million Menschen nehmen am Karneval der Kulturen teil und genauso viele unterschiedliche Perspektiven haben wir dort auch. Bei unserer Performance haben wir auch einen deutschen Pass dabei, der anstatt eines Fotos einen Spiegel hat und wenn man reinschaut, sieht man über dem eigenen Gesicht das Wort "re-migriert". Dieser Moment könnte Angst auslösen, sich für einen Augenblick in der Rolle des Abgeschobenen zu sehen. Wir wollen mit unserer Performance verdeutlichen, dass es jeden treffen könnte.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anna Bordel, rbb|24.