"Hamas-Tunnel" am Bebelplatz - "Wir versuchen ein Gefühl zu erzeugen, die Situation ans Licht zu bringen."

Fr 17.05.24 | 17:49 Uhr
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Kunstinstallation eines Hamas Tunnels.(Quelle:rbb)
Bild: rbb

Auf dem Bebelplatz, direkt neben dem Denkmal für die Bücherverbrennung 1933 in Deutschland, steht gerade ein 20 Meter langes röhrenförmiges Konstrukt aus dünnen Betonplatten und Stahlgittern. Die Konstrukteure nennen es den “Hamas-Tunnel”.

132 leere weiße Plastikstühle. Auf jeder Lehne klebt ein Blatt mit Foto, Name, Alter und Nationalität einer Geisel: Eine drei Meter hohe, flache Sanduhr aus schwarzem Metall und zwei Glasscheiben zwischen denen roter Sand fließt. Eine kleine Bühne und eine graue, 20 Meter lange Röhre. Stehend passt man gerade so rein.

Ein 25 Meter langer Nachbau eines Hamas-Tunnel, errichtet auf dem Bebelplatz in Berlin Mitte. Zusammen mit einer Sanduhr ist er ein Gedenken an die israelischen Geiseln und ihre Familien.(Quelle:rbb)
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Direkt an der Straße unter den Linden nimmt all das Aufgebaute etwa ein Zehntel der Fläche des berühmten Bebelplatzes ein. Aus einem Tunnel kommt ein Mann mit dunklen Haaren und Akkuschrauber in der Hand. Er ist für dessen Aufbau verantwortlich. "Ich will es ganz dunkel dahinten haben", sagt er und schraubt die dicke schwarze Plastikplane noch dichter mit Schrauben an den Ausgang des Tunnels.

Ein unterirdisches Netzwerk

Dieser soll an das Tunnelnetz erinnern, das die Hamas in die Erde Gazas gegraben hat. Es ist dort ein entscheidender Teil ihrer Infrastruktur. Freigelassene israelische Geiseln berichten, direkt nach ihrer Entführung am 7. Oktober 2023, drei Stunden barfuß durch diese Tunnel gegangen zu sein [tagesschau.de]. Den Großteil der Gefangenschaft verbrachten diese Menschen zwar in Wohnungen. Es gibt aber auch Berichte von unterirdischen, schlecht belüfteten Orten der Gefangenschaft. Eine Zeugin beschreibt in den Tunneln fünf bis sechs Käfige mit Schlössern gesehen zu haben - mit einer Gefangenschaft dort sei ihr gedroht worden [businessinsider.de].

Innerhalb eines Monats umgesetzt

Initiiert wurde die Aktion von der israelischen Politik-Beraterin Melody Sucharewicz und der "For Yarden"-Stiftung. Zusammen mit mehreren gut vernetzten Partnerorganisationen wurde das Projekt innerhalb eines Monats umgesetzt. Die Menschen, die hier zusammen arbeiten, kennen sich bereits. Das Bezirksamt Mitte hat bei der Umsetzung beraten. Eine Sondergenehmigung half, das Vorhaben umzusetzen.

Ein 25 Meter langer Nachbau eines Hamas-Tunnel, errichtet auf dem Bebelplatz in Berlin Mitte. Zusammen mit einer Sanduhr ist er ein Gedenken an die israelischen Geiseln und ihre Familien.(Quelle:rbb)
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Es geht um Zeit

Auch eine Sanduhr steht auf dem Bebelplatz. In dicken Buchstaben steht auf ihr: "Die Zeit läuft ab." Eine solche Uhr stand auch schon in New York auf dem Times Square. Und auch schon an anderen Orten in Berlin, wie ein Mitarbeiter der verantwortlichen Eventfirma gegenüber rbb|24 sagt - zum Beispiel am 7. April auf dem Sderotplatz in Zehlendorf. Aber auch vor, und später im Paul-Löbe-Haus. Hier sitzen die Ausschüsse des Bundestages. Mehrere Bundestagsabgeordnete hatten sich dafür eingesetzt.

Künstler Tom Love in der Kunstinstallation eines Hamas Tunnels.(Quelle:rbb)
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Aktivismus und Kunst

"Ich würde es nicht Kunst nennen. Wir versuchen ein Gefühl zu erzeugen, die Situation ans Licht zu bringen", sagt der Künstler Tom Love, der in Tel Aviv lebt. "Aber die Werkzeuge der Kunst haben mir ermöglicht, das hier zu tun." Künstler:innen seien inhärent auch Aktivisten, fügt er hinzu. .

Er hat bereits auf dem Hostage Square, ein öffentlicher Platz vor dem Tel Aviv Museum of Art in Israel, eine Installation umgesetzt. 244 Spiegel in einer kreisförmigen Anordnung. Lichtreflektionen als Zeichen für Hoffnung. In dem dortigen Tunnel-Nachbau ist er nie gegangen: "Ich habe ihn gesehen. Ich bin nicht rein. Das war zu heftig für mich."

Das Berliner Projekt sei im Kollektiv nachgebaut worden: "Genau genommen liegt das copyright nicht bei uns", sagt er und lacht sanft. Die Stimmung beim Aufbau ist abgesehen davon aber eher angespannt. Vor allem die jungen Menschen, die hier freiwillig helfen, haben fast alle persönlichen Kontakt zu den ehemaligen Geiseln beziehungsweise den Familien der sich noch in Geiselhaft befindenden Menschen. Sie alle sprechen von dem Wunsch, dass alle von der Hamas inhaftierten israelischen Geiseln freigelassen werden. Sie alle sprechen auch von der Hoffnung auf Frieden.

"Wir brauchen viel Geduld und Verständnis. Dann ist es einfacher, einander zu verstehen. Hoffentlich schaffen wir es dorthin", sagt Tom.

Ein 25 Meter langer Nachbau eines Hamas-Tunnel, errichtet auf dem Bebelplatz in Berlin Mitte. Zusammen mit einer Sanduhr ist er ein Gedenken an die israelischen Geiseln und ihre Familien.(Quelle:rbb)
Hagar, eine der Organisatorinnen, baut einen Schutz für Bücher mit Einschusslöchern. Diese sollen nach der Ausstellung in den Süden von Israel zurück geschickt werden.Bild: rbb

"Wir sehen, dass der Hass mehr wird."

So sieht es auch eine der Hauptorganisatorinnen: "Bisher war ich im Organisations-Modus", sagt Hagar, die seit acht Jahren in Berlin wohnt. Sie koordiniert unter anderem die gut 70 freiwilligen Helfer:innen. "Heute bin ich sehr viel emotionaler. Allein die Bücher zu berühren." Diese sind ebenfalls auf dem Bebelplatz aufgebaut - sie stammen von Angehörigen israelischer Geiseln und weisen Einschusslöcher auf.

Sie ist politisch aktiv und engagiert sich in mehreren Projekten. "Wir sehen, dass der Hass mehr wird." Sie ist unruhig, dreht sich immer wieder zur Seite um, zu Helfenden oder ins Telefon zu sprechen. Sie fängt kurz an, von den Bildern des 7. Oktober zu sprechen und sagt dann: "Das hier ist mein Beitrag."

Künstler Tom Love und Organisatorin Hagar seien nach eigener Aussage offen für neue Kollaborationen: "Wir hoffen, mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten, die nicht unbedingt israelisch sind, sondern für den Frieden", so Hagar. Es hätte bereits hier und da Kontakte gegeben, sagen sie.

Die Aktion läuft bis zum 6. Juni.

Sendung: Abendschau, 16.05.2023., 19:30

1 Kommentar

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  1. 1.

    Ich finde das ein sehr gutes Projekt und jetzt kommt mein aber: ich weiß nicht, ob ich mir das anschauen kann. Mir fehlt mit Sicherheit der Abstand zu solch einer Installation um nicht zu verzweifeln, wenn ich mir das anschaue. Aber ich werde es mir überlegen. Diese Idee umzusetzen, um bei bestimmten Menschen Empathie zu wecken und auf die Dringlichkeit der Situation hinzuweisen, finde ich jedoch hervorragend.

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