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Audio: rbb24 Inforadio | 14.07.2022 | Hans-Joachim Viehweger | Quelle: dpa

Katastrophenschutz-Experte zur Gas-Versorgung

"Es wird niemand in seiner Wohnung erfrieren"

Klirrende Kälte und zu wenig Gas zum Heizen - auf dieses Szenario bereitet sich die Politik angesichts möglicher Gaslieferstopps aus Russland vor. Ist die Einrichtung von Wärmehallen sinnvoll? Fragen an den Katastrophenschutz-Experten Andreas Kling.

rbb|24: Herr Kling, steht uns ein harter Winter bevor?

Andreas Kling: Bei den Temperaturen, die wir meist im Winter haben und so wie die Häuser gedämmt sind, würde keiner zu Hause erfrieren - auch nicht, wenn großflächig nicht mehr geheizt werden könnte. Und das ist ja auch noch nicht gesagt. Vielleicht müssen wir die Heizungen nur herunterdrehen.

Trotzdem werden in Berlin jetzt sogenannte Wärmeräume für Bedürftige diskutiert.

Die Kommunen und Landkreise sind ja auch dazu verpflichtet, Katastrophenschutz zu betreiben. Von daher würde ich das als ganz normalen Vorgang sehen, wenn es zu einem Gasmangel kommen würde. Es wird gerade ein Szenario wahrscheinlicher, das in den letzten Jahren eher unwahrscheinlich war.

Zur Person

Denken Sie denn, dass wir im Winter wirklich auf diese Wärmehallen angewiesen sind?

Es ist das Mittel der Wahl, wenn nichts anderes mehr greift. Aber da muss schon sehr viel passieren. Es müsste schon zu einer Gasmangellage kommen. Steigenden Preisen müsste man aus meiner Sicht anders begegnen. Wir sind ja eine sehr reiche Gesellschaft. Es muss uns ja als Gesellschaft möglich sein, Preise sozial abzufedern. Das kann man anders lösen als über Wärmehallen - sprich über eine sozialverträgliche Preisgestaltung. Dieses andere Szenario, wenn wirklich nicht genug Gas da ist oder stunden- oder tageweise das Gas abgeschaltet werden sollte, würde ich sagen: Vielleicht sollte man sich erst mal bei seinen Nachbarn oder Teilen der Familie einladen, wenn zum Beispiel nicht mit Gas geheizt wird, sondern zum Beispiel mit Heizöl. Da plädiere ich für Nachbarschaftshilfe. Aber wenn das nicht geht, oder sie auch ganze Stadtviertel haben, die nur durch Gas beheizt werden, und dann kommt noch ein sehr kalter Winter dazu, dann könnten diese Wärmehallen ein Plan B sein.

Wie kann ich mir solche Wärmehallen vorstellen?

Wärmehallen sind kein komplett neues Konzept. Es muss für den Katastrophenschutz bestimmte Betreuungskapazitäten geben. Klassisches Beispiel für solche Betreuungskapazitäten sind, wenn wieder eine Weltkriegsbombe gefunden wird, dann wird im Umkreis alles evakuiert und die Leute, die nicht zu Freunden und Verwandten gehen können, werden in Turnhallen etc. untergebracht. Das ist genau das gleiche in der Betreuung: Da werden Tische und Feldbetten aufgebaut, da werden Tee und Kaffee gekocht. Anderes Beispiel, wenn ein ICE strandet, kann es schon mal vorkommen, dass in Schulen oder Turnhallen solche Notquartiere aufgeschlagen werden.

Reichen diese Kapazitäten denn im Falle eines Gasmangels?

Man spricht von dem Ziel, ein oder zwei Prozent der Bevölkerung so unterbringen zu können. Das erreicht man aktuell nicht. Aber bestimmte Kapazitäten sind schon da. Und was wir bedenken müssen: Ein Blackout [Anm. d. Red.: ein flächendeckender Stromausfall] kommt ja relativ unerwartet, aber eine Gasmangellage kündigt sich über mehrere Tage an. Da kann man schon noch einiges improvisieren und vorbereiten.

Machen wir genug, um uns auf den Ernstfall vorzubereiten?

Auf der Ebene der Bürger würde ich sagen, wir könnten noch konsequenter Energie sparen. Das sehe ich noch nicht in jedem Bereich. Da ist noch Luft nach oben. Aber man muss sagen, unsere Optionen auf bundespolitischer Ebene sind sehr eingeschränkt, weil man in zwei bis drei Monaten nicht das beheben kann, was in den letzten zehn Jahren versäumt wurde.

Wirtschaftsminister Habeck wurde in den letzten Tagen von der Opposition "Panikmache" vorgeworfen. Sehen Sie das auch so?

Der ganze Diskurs um die sogenannte Panikmache ist Unsinn. Das ist ein rhetorisches Mittel, um Argumente ins Leere laufen zu lassen. Das ist doch zutiefst menschlich und auch ökonomisch und ökologisch sinnvoll, Vorkehrungen für schlechte Zeiten zu treffen. Man kann auch sagen: "Wenn ihr euch anschallt, ist das auch Panikmache, weil man zu 99 Prozent keinen schweren Unfall erleben wird - dann muss man sich nicht anschnallen." Nur dieses Prozent, das den Unfall erleidet, hat natürlich deutlich bessere Überlebenschancen, wenn es angeschnallt ist. Vorkehrungen für den Winter als "Panikmache" zu beschreiben, halte ich für einen Fehler.

Wie sind wir als Gesellschaft auf einen möglichen Gasmangel vorbereitet?

In Deutschland leben wir seit 1947 auf einer Insel der Glückseligen. Wir sind nie von größeren Naturkatastrophen betroffen gewesen, es gab keine Kriege. Wir leben in stabilen Verhältnissen. Es geht uns wirtschaftlich als Gesellschaft sehr gut. Aber das ist nicht die Realität. Die Realität ist: Es können Naturkatastrophen passieren, es können sich Pandemien ereignen, das haben wir jetzt in den letzten beiden Jahren gelernt. Aber viele Menschen hängen wahrcheinlich noch dieser Wunschvorstellung oder dieser Vorstellung nach: "So was gibt es ja in Deutschland nicht." Also "es kann nicht sein, dass es in Deutschland kein Gas mehr gibt, weil es die letzten 70 Jahre Gas gegeben hat." Aber so ist die Welt nicht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Andreas Kling sprach Laura Kingston, rbb|24

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