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Audio: rbb24 Inforadio | 18.10.2022 | Franziska Hoppen | Quelle: dpa/B. Pedersen

rbb-Skandal

Ausnahmen von der Regel

Wenn es um Geld geht, herrschen seit Jahren strenge Regeln für die Mitarbeiter des rbb. Die ARD-Anstalt gilt als chronisch klamm. Die Auswertung von Abrechnungen durch das rbb-Rechercheteam zeigt aber: In der Ära Schlesinger galt Bescheidenheit nicht für alle. Weder beim Champagner noch bei Gummibärchen.

8. September 2021, ein sonniger Spätsommertag, die Reporterinnen und Reporter des rbb haben mit der heißen Phase des Wahlkampfs und steigenden Corona-Zahlen viel zu tun. Und auch die rbb-Geschäftsleitung (GL) ist bis in den Abend aktiv. In den rbb-Bewirtungsunterlagen findet sich eine Abrechnung, die zu einer "Strategischen Beratung im Kreise der GL" gehört.

Für das Treffen, heißt es später von Teilnehmern, wird das Restaurant "Louis Laurent" in der Charlottenburger Giesebrechtstraße gewählt, wo laut Webseite "French Cuisine" serviert wird. Mit dabei sind neben Intendantin Patricia Schlesinger Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus, Verwaltungsdirektor Hagen Brandstäter, Technik-Direktor Christoph Augenstein, die Juristische Direktorin Susann Lange, ein rbb-Pressesprecher und die damalige Leiterin der Intendanz Verena Formen-Mohr.

Auch der neue Chefredakteur David Biesinger kommt kurz vorbei, verabschiedet sich nach eigener Aussage aber schon nach einem Aperitif, da er noch einen privaten Termin hat. Außerdem sitzt Ex-Chefredakteur Christoph Singelnstein am Tisch, der Ende März 2021 in den Ruhestand gegangen ist.

Krise in rbb-Spitze

Intendantin Vernau kündigt Aus für rbb-Verwaltungsdirektor an

Die Interims-Intendantin des rbb, Katrin Vernau, hat am Montag im Medienausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses Auskunft zur rbb-Krise gegeben. Sie kündigte auch an, wer aus der Führungsriege gehen muss.

Neben "herzhaften Köstlichkeiten" wie Flammkuchen findet sich auf der Karte des "Louis Laurent" allerlei Erlesenes aus der französischen Küche: Linguine avec truffes fraiches (28,50 Euro), Gambas flambées au Permod (49,90 Euro) oder das 500 Gramm schwere Doppellendensteak Chateaubriand für 95 Euro. Dazu werden Weine aus den französischen Anbaugebieten der Bourgogne, der Loire und aus Korsika gereicht. Zum Nachtisch empfiehlt der Küchenchef Crêpe Suzette mit Eis (14,50 Euro) oder Zitronensorbet Napoleon (15,50 Euro).

Abrechnung erst ein halbes Jahr später

Wer was an diesem Abend gegessen und getrunken hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Fest steht: Am Ende des Abends stehen exakt 900 Euro auf der Rechnung, die die Intendantin mit ihrer rbb-Kreditkarte begleicht. Allerdings wird das Essen erst im April 2022 - also über ein halbes Jahr später - mit der Buchhaltung des rbb abgerechnet. Das ist eigentlich nicht zulässig, denn Bewirtungsabrechnungen müssen im rbb spätestens acht Wochen nach dem Ereignis eingereicht werden.

Es stellt sich aber auch die Frage: War es überhaupt zulässig, dass die Intendantin und die Spitzenkräfte des rbb auf Kosten der Beitragszahler tafelten?

Nach Analyse von Schwachstellen

rbb ändert Regeln für interne Revision

Der rbb ist zurzeit dabei, sich neu aufzustellen. In diesem Zuge soll auch die interne Revision des Senders grundlegend reformiert werden. Die bisherigen Regeln enthielten "gravierende Mängel", begründet Intendantin Vernau die Maßnahme.

Dienstanweisung für Bewirtungskosten

Im rbb-Intranet können alle Mitarbeitenden mit wenigen Mausklicks die entsprechende "Dienstanweisung über die Abrechnung von Bewirtungskosten und sonstigen Ausgaben“ vom 16. Mai 2015 finden, erlassen von der damaligen Intendantin Dagmar Reim und Verwaltungsdirektor Hagen Brandstäter. Hier ist im Detail geregelt, wer wen zu welchem Anlass einladen und Bewirtungskosten abrechnen darf. Dabei gilt prinzipiell: Sitzen nur rbb-Angehörige am Tisch hat jeder und jede selbst zu bezahlen. Ausgenommen sind Imbisse und Getränke bei langen Sitzungen, Klausurtagungen oder Versammlungen.

Abendessen im Restaurant werden nicht erwähnt. Aber: Keine Regel ohne Ausnahme, das gilt auch für die rbb-Bewirtungskostenregelung - und für Ausnahmen ist die Intendantin zuständig.

Fast alle ARD-Sender erklären auf Anfrage des rbb-Rechercheteams*: Gemeinsame Essen von Mitarbeitenden des jeweiligen Senders sind nicht abrechnungsfähig. Der Südwestrundfunk (SWR) antwortet etwa: "Eine Bewirtung nur unter SWR-Mitarbeitern(innen) bzw. Mitarbeitern(innen) der Tochtergesellschaften ist grundsätzlich ausgeschlossen."

Auch der Höhe der Ausgaben für Bewirtungen sind in vielen ARD-Häusern enge Grenzen gesetzt. Beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) gilt beispielsweise: "Bei erwarteten Kosten von mehr als 60 Euro je Teilnehmerin und Teilnehmer ist die Abteilung Finanzwesen beratend einzubeziehen." Beim Saarländischen Rundfunk (SR) liegt die Grenze bei 35 Euro.

Treffen der Geschäftsleitung - oder Verabschiedung in Ruhestand?

Auf Anfrage des rbb-Rechercheteams bei den Teilnehmern des Dinners, über welche Themen sie denn an jenem Abend strategisch beraten hätten, lautete die fast einstimmige Antwort: Die Intendantin habe zu dem gemeinsamen Essen eingeladen und es sei nicht um strategische Beratungen, sondern um die wegen Corona mehrmals verschobene Verabschiedung von Chefredakteur Christoph Singelnstein gegangen. Auch seien sie davon ausgegangen, so die meisten Teilnehmer, dass Patricia Schlesinger die Rechnung persönlich beglichen habe. Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus etwa sagt auf Nachfrage: "Ich bin fest davon ausgegangen, dass sie das Essen privat bezahlt."

Patricia Schlesinger hat sich auf rbb-Anfrage nicht zu dem Vorgang geäußert. Geprüft wurde er bislang nicht. Die Revision des rbb war mit 1,5 Planstellen im ARD-Vergleich deutlich unterbesetzt.

Für die Verabschiedung eines Mitarbeiters in den Ruhestand, so sieht es die Spesenordnung des rbb vor, dürfen übrigens höchstens 150 EUR auf Senderkosten aufgewendet werden. Und das ausdrücklich nur nach Genehmigung des Hauptabteilungsleiters oder der Hauptabteilungsleiterin bzw. des Direktors oder der Direktorin. Die rbb-Pressestelle, wollte sich zu dem Vorgang mit Verweis auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht äußern.

rbb-Krise

Direktorin lebenslang abgesichert

Weil gegen sie ermittelt wird, ist die Juristische Direktorin des rbb derzeit freigestellt. Würde ihr Vertrag beendet, stünden ihr offenbar üppige Versorgungsansprüche zu. Die neue Intendantin findet dies "erstaunlich". Von Gabi Probst

Essen mit Ministerpräsident Woidke

Auch ein weiteres Abendessen der rbb-Spitze - dieses Mal mit externen Gästen - wirft Fragen auf.

Anfang 2020 übernimmt das Land Brandenburg - turnusgemäß nach Berlin - die Rechtsaufsicht über den rbb. Am 17. Februar 2020 lädt die damalige Intendantin Patricia Schlesinger die Spitze der Potsdamer Staatskanzlei zu einem Abendessen ein. Mit dabei: Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), sein Staatssekretär Benjamin Grimm und zwei weitere führende Mitarbeiter. Auf rbb-Seite nehmen teil: die gesamte Geschäftsleitung um Intendantin Schlesinger, die Leiterin der Intendanz Verena Formen-Mohr sowie ein rbb-Pressesprecher.

Geladen wird in das Restaurant "Die Waage" in der Potsdamer Innenstadt. "Italienisch mediterrane Küche am schönsten Platz von Potsdam" wirbt das Restaurant auf seiner Internetseite. Das Angebot der Küche ist vielfältig, die Preise moderat.

Nach Auskunft der Staatskanzlei handelte es sich um eine "ausschließlich dienstliche Zusammenkunft", bei der die "Erörterung aktueller rundfunkpolitischer Themen, insbesondere den rbb betreffend" auf der Tagesordnung stand. Solche Treffen sind für beide Seiten - den rbb und die Staatskanzlei - wichtig. Staatssekretär Benjamin Grimm teilt auf Anfrage zunächst mit, dass er die Einladung angenommen habe, um die Brandenburger Perspektive auf den Sender deutlich zu machen. "Da besteht aus meiner Sicht nämlich ein Defizit, und es muss sich hier dringend etwas tun, wenn wir die Akzeptanz für den rbb auch in Brandenburg erhalten wollen", ergänzt Grimm später.

Essen im Februar 2021

Zweifelhafte Bewirtungsabrechnungen: Neue Vorwürfe gegen Ex-Intendantin Schlesinger

Neue Vorwürfe belasten die zurückgetretene rbb-Intendantin Patricia Schlesinger. Ein hauseigenes Rechercheteam hat Informationen, die einen Betrugsverdacht für ein als "dienstlich" abgerechnetes Essen nahelegen.

Sind 100 Euro pro Person angemessen?

Fraglich aber ist: Sind Kosten in Höhe von 1.074,10 Euro für ein derartiges Treffen angemessen? Knapp 100 Euro pro Person, die der Beitragszahler finanziert. Und dürfen die Vertreter der "Rechtsaufsicht" das überhaupt annehmen?

Beim rbb gibt es keine Regel für die Einladung von Mitgliedern einer Landesregierung. Doch für die Mitarbeiter der Staatskanzlei gilt die "Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Ministerpräsidenten und der Ministerien über das Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen durch Beschäftigte des Landes Brandenburg (VVVAnBGV)" vom 5. September 2012. Allen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes bis hin zum Ministerpräsidenten werden dort sehr enge Regeln für die Annahme von "Belohnungen, Geschenke oder sonstige Vorteile" gesetzt. Es soll jeder Anschein vermieden werden, dass durch Zuwendungen jeglicher Art "das Ansehen des gesamten öffentlichen Dienstes" Schaden nehmen könnte. Geringfügige Aufmerksamkeiten wie Kalender, Kugelschreiber oder Schreibblöcke dürfen den Wert von 15 Euro nicht überschreiten.

Bei der Annahme von "Bewirtungen bei Gelegenheit dienstlicher Handlungen" muss dagegen jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin des öffentlichen Dienstes selbst entscheiden, was er oder sie für eine "angemessene Bewirtung" hält. Dabei gilt das Prinzip der sogenannten "stillschweigenden Zustimmung" durch die Behördenleitung. Im Klartext: Erst wenn ein leitender Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes eine Bewirtung für unangemessen hält und damit seine Unabhängigkeit in Gefahr sieht, muss er die Einladung melden und prüfen lassen - eine Vorschrift, die in der Welt enger Verwaltungsvorschriften seltsam lebensfremd wirkt.

Fakt ist: Die Mitarbeiter der Staatskanzlei, zuständig für die Rechtsaufsicht über den rbb, hielten die Einladung und die Kosten für angemessen. Kein Wunder also, dass man sich auf rbb-Seite beim Geldausgeben auch nur wenige Schranken auferlegte.

Keine einheitlichen ARD-Regeln

Eine Umfrage des Rechercheteams unter ARD-Sendern ergab, dass eine Bewirtung der "Aufseher" nicht unüblich ist. Der Südwestrundfunk (SWR) erklärte allerdings, dass es grundsätzlich untersagt sei, Mitglieder der zuständigen Landesregierungen, die die Rechtsaufsicht über den Sender führen, einzuladen. Wörtlich heißt es: "Das ergibt sich aus den Grundsätzen der Dienstanweisung Korruptionsprävention. Auch über Vertreter:innen der Rechtsaufsicht hinaus ist zu beachten, dass externe Personen selbst Compliance-Regelungen unterliegen und Essenseinladungen nur in einem beschränkten Rahmen annehmen können, so dass sich der Kreis hier oftmals schließt."

Dienstliche Essen der Intendantin für 200 Euro und mehr

Auch diese Vorfälle bestätigen den Eindruck, dass Ex-Intendantin Patricia Schlesinger in den vergangenen Jahren offensichtlich aus den Augen verloren hat, was angemessen ist. Dienstliche Arbeitsessen mit führenden ARD-Mitarbeitern und sogenannten Multiplikatoren der Region Berlin-Brandenburg sind für das Fortkommen des Senders wichtig - ohne Zweifel. Doch müssen bei sogenannten Arbeitsessen, bei denen häufig nur zwei Personen am Tisch sitzen, 200 Euro und mehr ausgegeben werden, wie aus Abrechnungen hervorgeht, die dem rbb-Rechercheteam vorliegen? Ist das angemessen?

Derjenige, der die Rechnung zahlt, der Beitragszahler, wird diese Frage sicher verneinen. Klar definierte Obergrenzen, wie 35 Euro ohne Getränke, die beim Saarländischen Rundfunk als angemessen gelten, oder bis zu 60 Euro beim Mitteldeutschen Rundfunk, scheinen eher die Ausnahme in der ARD. Die meisten Sender verweisen auf das Gebot der Sparsamkeit.

Champagner und Gummibärchen

Sparsamkeit wurde und wird auch im rbb groß geschrieben. Doch die Abrechnungen der Intendanz zeigen, dass man es dort damit wohl nicht so genau nahm. Regelmäßig wurde Champagner bestellt: während der Amtszeit von Patricia Schlesinger für insgesamt rund 2.300 Euro. Auf Nachfrage lässt ihr Anwalt Ralf Höcker ausrichten: "Für besondere Anlässe (Geburtstage, Weihnachten) wurde an bestimmte Menschen in besonderen Fällen Champagner verschenkt."

Gleichzeitig tauchen selbst Kleinigkeiten in Rechnungsposten auf: beispielweise Haribo-Fruchtgummis für 12,32 Euro, oder Lakritz, Kekse und Gummibärchen (25,86 Euro) sowie "Sweeties (Nüsse, Schokolade) für die Fahrt nach Hamburg". Ist ein Jahressalär von 303.000 Euro (plus Boni) nicht ausreichend, um persönliche Bedürfnisse nach einem Snack zwischendurch aus der eigenen Geldbörse zu befriedigen? Auch auf diese Frage dürfte der Beitragszahler eine klare Antwort haben.

In einem ersten Schritt zur Durchsetzung des sparsamen und angemessenen Umgangs mit Beitragsgeldern wird jetzt die Revision des rbb aufgestockt. Inwieweit der Sender zu Unrecht ausgegebene Beitragsgelder "zurückholen" kann, wird sich zeigen. Am Donnerstag stellt die Kanzlei Lutz Abel einen Zwischenbericht vor, ob und wie beim rbb Beitragsgelder verschwendet worden sind.

*Zum rbb-Rechercheteam gehören derzeit René Althammer und Jo Goll.

Sendung: Antenne Brandenburg, 18.10.2022, 18 Uhr

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