Pilotprojekt in Berlin-Lichtenrade - Grundschule sperrt Zufahrtsstraße wegen "Elterntaxis" zeitweise ab

Mo 24.04.23 | 16:42 Uhr | Von Anna Bordel
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Absperrungen zum Pilotprojekt "Schulstraße". Bruno-H.-Bürgel-Grundschule in Lichtenrade. (Quelle: rbb)
rbb
Video: rbb|24 | 24.04.2023 | Material: Stefan Oberwalleney | Bild: rbb

In der zweiten Reihe oder auf dem Bürgersteig parken, ein wildes Wendemanöver fahren - dazu kommt es, wenn viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto vor der Schule absetzen. Eine Grundschule sperrt die Zufahrtsstraße deshalb ab - vier Wochen lang. Von Anna Bordel

Ein Sechstklässler fährt mit dem Fahrrad zu Schule, ist fast da. Auf der Straße wird er von einem Postauto zur Seite gedrängt, stürzt und schlägt mit dem Kopf auf der Bordsteinkante auf, sein Helm zerbricht. "Der Junge lag schreiend zwischen den Autos und niemand hat ihm geholfen", das sei im Sommer 2021 passiert, so erzählt es Jens Otte und so etwas möchte er nicht noch einmal erleben.

Seit zehn Jahren ist er Schulleiter der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule in Berlin-Lichtenrade. Seitdem beobachtet er, dass vor seiner Schule zu Bring- und Abholzeiten immer mehr Autos stehen, wenden und parken. Jetzt ist er froh, dass etwas passiert. Dafür packt er auch selbst mit an.

Fünf Eltern und er haben sich an diesem Morgen um kurz vor sieben Uhr vor dem Haupteingang der Schule versammelt, einige haben Schilder dabei, alle tragen Warnwesten. Jeweils zu dritt sperren sie die Straße für Autos mit weiß-roten Zäunen ab und bewachen die Absperrung eine halbe Stunde lang, dann bauen sie sie wieder ab.

Eltern können Kinder weiterhin vor dem Hintereingang absetzen

Seit einer Woche machen sie das so. Grund für die Absperrung sind vor allem die zahlreichen Eltern, die ihre Kinder zur Schule bringen und dabei vor dem Eingang in zweiter oder dritter Reihe halten - sogenannte Elterntaxis. "Vielen ist vor allem wichtig, dass ihr eigenes Kind sicher zu Schule komme", so Otte, dabei würden sie aber andere gefährden.

Seit drei Jahren versuchen Eltern der Schule beim Bezirk Tempelhof-Schöneberg Maßnahmen durchzusetzen, um den Verkehr um die Schule zu reduzieren. Der Unfall mit dem Jungen im Sommer 2021 beschleunigte das Verfahren, meint Otte. Das Pilotprojekt "Schulstraße" wird es nun für vier Wochen geben, einzigartig in Berlin, danach ist erstmal wieder alles beim Alten.

Eltern können ihre Kinder während des Projekts trotzdem mit dem Auto zur Schule bringen, sie am Hintereingang der Schule, oder einfach in einer der zahlreichen Nebenstraßen absetzen. So macht es auch ein Vater mit seinen zwei Söhnen an diesem Morgen. Er parkt einfach vor der Absperrung und es lässt die Kinder hinaus. "Ich wohne einfach zu weit weg und muss sie daher mit dem Auto bringen. Gut finde ich das Projekt trotzdem", sagt er.

, BU: Schulleiter Jens Otte mit Elternvertreter:innen vor der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule in Lichtenrade am 24.04.2023. (Quelle: rbb24/Anna Bordel)

Insgesamt sei das Projekt in der ersten Woche sehr gut angelaufen und von den meisten Eltern gut angenommen worden, so Otte. Während es in den ersten Tagen noch etwas Verkehrschaos vor den Absperrungen gegeben hätte, habe sich die Situation mittlerweile beruhigt.

Ohnehin würden die meisten Eltern in der nahen Umgebung der Schule wohnen, sagt Otte. Die Schule liegt in einem verkehrsberuhigten Viertel mit vielen Reihen- und Einfamilienhäusern. Ob sich der Verkehr nun in den Nebenstraßen abspiele, soll Otte zufolge eine Auswertung des Bezirks nach Abschluss der Projektphase zeigen.

Bezirk kann wenig "alleine" regeln

Auch der Bezirk freut sich. "Der Erfolg und die Resonanz bestärkt mich, dass diese Aktion ein Modellcharakter für viele Schulen haben könnte", sagt Verkehrsstadträtin Saskia Ellenbeck (Bündnis 90/ Die Grünen) aus dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg. In fast allen Grundschulen dürfte es ein Thema sein, wie die Kinder den Schulweg möglichst sicher bewältigen können. Alleine könne der Bezirk derartige Projekte allerdings nicht langfristig voranbringen, meint Ellenbeck.

"Ich würde mir wünschen, dass wir als Kommune viel mehr Freiheiten bekommen, schnell und unbürokratisch im Umfeld von Schulen Maßnahmen wie Zebrastreifen, verkehrsberuhigte oder autofreie Bereiche oder andere Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit einzurichten", das verhindere leider noch an vielen Stellen die Straßenverkehrsordnung und das Bundesverkehrsrecht, so Ellenbeck. Den Zebrastreifen oder eine Erhöhung der Straße, die sich Eltern der Bruno-H.-Bürgelstraße wünschten, wird es daher erstmal nicht geben. Die Straße sei dafür zu schmal, so Schulleiter Otte.

Eine Dauerlösung durch ihn und Eltern ist die Sperrung nicht, das weiß auch Otte. "Die Eltern können hier nicht 365 Tage im Jahr stehen", sagt er. Eine dauerhafte Lösung könnten seiner Meinung nach Schilder sein, die den Autoverkehr zeitlich einschränken.

Dass das eine Veränderung bringt, bezweifeln einige. "Schilder werden nichts bringen", meint eine Anwohnerin. "Muttis, die ihre Kinder zu spät zu Schule bringen" werden hier doch weiter mit 50, 60 Sachen die Straße entlang brettern", sagt sie. Eine Mutter, die ihr Kind stets zu Fuß zur Schule bringt, denkt ähnlich. Die nächsten drei Wochen können sie dies allerdings nicht - dafür sorgen Otte und die anderen Eltern. Wie es nach dem Pilotprojekt weitergeht ist bisher noch unklar.

Sendung: rbb 88.8, 19.04.2023, 08:57 Uhr

Beitrag von Anna Bordel

76 Kommentare

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  1. 76.

    Also lesen und das Gelesene verstehen sollte man schon können. Ich hab niemanden diskreditiert sondern hinterfragt und kritisch gegenübergestellt. Was Sie machen ist diskreditiersnd. Und Peanuts schon garnicht.
    Bleiben Sie gesund, Tschüß

  2. 75.

    Dann feiern Sie gerne, ich meine es mit dem Luxusproblem durchaus ernst, denn es entspricht der Realität.

  3. 74.

    Indem sie die Aussagen anderer diskreditieren, wird ihre eigene nicht richtiger. Wir sprechen hier vom Autofahren, was bekannterweise schädlich fürs allgemeinwohl ist und trotzdem nicht eingeschränkt wird. So wird oft mit Ideologien verfahren, die Macht generieren. Die Vergleiche die sie heranziehen sind Peanuts.

  4. 73.

    Ich bin immer wieder begeistert, wie einige hier sich über duüie Schwere eines SUVs ergeifern, vergessend, dass die batteriebetrieben Fahrzeuge gleich, wenn nicht noch schwerer sind. Und natürlich sind alle "Elterntaxis" ausnahmslos SUVs, mit denenen die Kinder zur Schule gebracht werden. Wenn nicht mit dem SUV, dann mit dem Lastenfahrrad - nur nicht laufen.
    Warum? Weil den Kinder Angst eingeredet wird. Angst der Eltern vor dem Verkehr. Mit dem Resultat, dass die Gören immer fetter werden, ungelenk und um Erfahrungen beraubt. Dann werden es Kinder, wie dieser Max, der nur noch im Umgang mit Anderen pöbeln kann und zu einem ungeliebten Besser"wisser" wird.

  5. 72.

    Meinen Sie den Vergleich tatsächlich ernst und nutzen ihn als Argument? Echt? Das wär jetzt ein bisschen der Knaller des Tages :-)))

  6. 71.

    In anderen Ländern müssen Kinder allein kilometerweit durch Savannen, Schluchten, Täler laufen, brauchen mehr als 2h zu Fuß - und Sie jammern? Welch Luxusproblem hier doch als goldenes Kalb als Vorwand dient. Klasse.

  7. 70.

    Was ein Unsinn; dann ist ja alles, wie man es auslegt und meist für sich selbst, wo wie Sie es machen, zu einer Ideologie zu verkehren. Wie zu Fuß gehen, Wandern, Radfahren (mit welcher Art von Rad auch immer), Fliegen, Segeln, Surfen usw. Dann darf ich also auch, da ich gerade eben bei der Gassirunde mit meinen Hunden von einem Radler vom Gehweg geklingelt werden sollte, was ich natürlich NICHT tat, diesen Radler als ideologisch verbrämt, wenn nicht sogar verkommen, ansehen?

  8. 69.

    "die nächste Schule in 3km ist angesagt, sondern die Beste in 9km, zu der kein Bus fährt."

    Sowas gibt es nicht. Vor jeder Schule hält ein Bus. Oder ist wenigstens ein anderes öffentliches Verkehrsmittel in unmittelbarer Nähe Pflicht.

  9. 68.

    Garnichts wird hier erklärt.
    Es ist eine Grundschule. Die meisten Kinder wohnen demnach fußläufig. Es kann nicht sein, dass die gesamte Gegend inklusive der Schulkinder unter dem Zeitmanagement von Autonutzern zu leiden hat.
    Meine Tochter fährt mit schwerem Ranzen und Turnbeutel via Rad zur Schule. Das sind immerhin 2 km pro Strecke und sie ist in der 1. Klasse. Fast alle der über 500 Kinder kommen mit dem Rad. Und nix da mit Ökoschule. Das ist ne große Grundschule im Randbezirk.

  10. 67.

    Hier werden Eltern zu Kriminellen erklärt, statt die Frage zu stellen warum sie die Kinder zur Schule fahren. Vielleicht, weil Erstklässler heute auch mal 7 Kg Schulranzen durch die Gegend schleppen? Und Einzugsgebiete der Schulen scheinbar zum Teil gewürfelt werden und der 2 km Schulweg über dicht befahrene Straßen mit kurzen Grünphasen für Fußgänger führt? In anderen Ländern gibt es vor Schulen Parkplätze und Durchfahrtzonen nur für Eltern - und die Kinder kommen mit fast nichts zur Schule.

  11. 66.

    Das ist überhaupt keine Verallgemeinerung, Autofahren ist einfach mitunter eine Ideologie die zum Missbrauch verleitet. Elterntaxis sind eben ein Teil davon.

  12. 65.

    Im Bericht geht es um Berlin.
    Das es auf dem Land ohne Schulbus o.ä. nicht geht leuchtet mir auch ein.

  13. 64.

    Dann bringen sie sie vermutlich jetzt auf dem Lastenrad zur Schule.Natuerlich auf dem Bürgersteig,da sie ja meinen sie sind im Recht.,Kind dabei,.
    Also wenn ich im Auto Kind dabei habe auch ...,oder was?

  14. 63.

    Das ist großer Teil des Problems, einfach ein Teufelskreis. Ich nehme an, viele Eltern würden ihre Kinder gerne allein zur Schule lassen. Aber es gibt eben jene, die auf die Kinder der anderen überhaupt keine Rücksicht nehmen und sie mit ihrem Verhalten sogar massiv gefährden. Also bringen viele Eltern ihre Kinder wiederum doch lieber hin, damit die Kids sicher ankommen. Und das vielfach verbunden mit dem eigenen Arbeitsweg - also mit dem Auto. Die Aktion der Schule ist daher absolut super. Sie schafft einen sicheren Raum für alle Kinder. Wenn ich bei uns im Ort morgens an der Grundschule entlangfahre, spielen sich Szenen ab, dass ich den Eltern gar nicht verübeln kann, dass sie ihre Kinder dem nicht aussetzen wollen. Jedenfalls nicht die kleinen. Und damit verschärfen sie das Problem weiter. Wie gesagt, es ist ein Teufelskreis.

  15. 62.

    Jaja früher..., bin ich auch gelaufen.
    Heute ist jeder Tag minutengenau verplant und nicht nicht die nächste Schule in 3km ist angesagt, sondern die Beste in 9km, zu der kein Bus fährt.
    Ist -heute- nunmal so, dass sich die Gymnasien die Schüler mit 1,0 aussuchen können und in der Berufswelt gibt es nur studierte Fachkräfte und den Rest.

  16. 61.

    Das schönste an der Schule war der Hin und Rückweg (zu Fuß oder Fahrrad).

  17. 60.

    Auch wieder so eine unqualifizierte Verallgemeinerung. Könnte man aber dann auch auf Kinderlasten-SUV-Räder beziehen - oder?
    Übrigens: mir gehen Elterntaxcis mit vier UND zwei Rädern gewaltig auf den Zeiger - aber deshalb verurteile ich nicht ALLE Auto- oder Lsstenradfahrende.
    Ich finde die Aktion des Schulleiters prima, gerne mehr davon. Fehlt nur noch, dass gewisse Eltern eine Vorfahrt direkt zum Eingang haben wollen, damit ihre angeblichen "VIP"-Kinder auch am Besten noch durch eine Schleuse, ohne mit dem Mob in Kontakt zu kommen, auf Laufbändern in die Klassen verteilt werden.
    Was eine bescheuerte Elterngeneration das geworden ist. Das kann mit ANgst nicht begründet werden.

  18. 59.

    Meine Eltern hatten, in den siebziger und achtziger Jahren, keine Zeit, mich zur Schule zu bringen und auch noch abzuholen. Sie mussten arbeiten. Und hatten nicht mal ein Auto. Selbständig zur Schule zu gehen, war schon für Erstklässler normal. Wie sind wir groß geworden?

    (Und ja, auch damals ist "viel passiert".)

  19. 58.

    Ich lebe heute, Schon mal etwas von Bussen und Bahnen gehört, fahrrad ist ihnen auch ein Begriff? Es soll auch noch Leute geben die können mehr als 100 m zu Fuß gehen. Wo leben sie eigentlich?

  20. 57.

    Autofahren an sich verleitet zu absurdem Verhalten. In meinem Potsdamer Wohnblock gibt es zwei Erzieherinnen die täglich mit dem Auto zu ihrer Arbeit fahren, welche fußläufig in wenigen Minuten zu erreichen wäre. Die eine Arbeitsstelle liegt genau neben unserem Block.

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