rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Quelle: dpa/blickwinkel

Artenvielfalt | Rote Liste der gefährdeten Arten

Auskenner für Muscheln, Pilze und Schmetterlinge gesucht

Roten Listen geben eine Übersicht, wo welche Tier- und Pflanzenarten leben - und wie viele. Auch in Brandenburg und Berlin werden diese Daten oft von Ehrenamtlichen zusammengetragen. Das stößt auch auf Kritik. Von Wolfgang Albus

Alle Jahre wieder gibt es eine große Inventur in der Natur in Brandenburg: 16 Rote Listen gibt es für unterschiedliche Artengruppen. Mal werden Armleuchteralgen gezählt, dann Libellen oder Brutvögel. Meistens bringen die neuen Erhebungen schlechte Nachrichten - aber auch an der Methode selbst gibt es Kritik.

Quelle: dpa/Arterra

Am Anfang steht meist die Arbeit von Ehrenamtlern wie Jörg Gelbrecht. Der Ökologe hat unter Naturschützern als Schmetterlingsexperte einen legendären Ruf. Er kann Falter auf große Distanzen zweifelsfrei bestimmen und Tiere auseinanderhalten, die für Laien völlig gleich aussehen.

In diesen Tagen arbeitet Gelbrecht mit anderen Wissenschaftlern an einer Neuauflage der Roten Liste für Schmetterlinge. Die Untersuchung von 1.200 Großschmetterlingen und Zünslern ist noch in der Feinabstimmung und nicht veröffentlicht. Soviel aber kann Gelbrecht schon sagen: "Die Zahlen sind außerordentlich negativ." Fast alle Arten seien von einem Rückgang betroffen, sogar beim früher häufigen Schwalbenschwanz. Nur bei weniger als zehn Prozent der Schmetterlingsarten zeichne sich eine Verbesserung ab.

Rückkehr einer heimischen Art

Kommt ein Elch nach Brandenburg

Bert ist in Brandenburg bereits eine kleine Berühmtheit. Seit vier Jahren lässt sich der Elchbulle immer wieder im Naturpark Nuthe-Nieplitz blicken – dort hat er sich mit einer Kuhherde angefreundet. Doch Bert ist längst nicht mehr alleine. Von Jana Herrmann

Wenige Fachleute, veraltete Listen

Dass es bei Schmetterlingen verlässliche Daten gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn unter Naturschützern vollzieht sich schon seit Jahren ein Generationswechsel. Nur wenige jüngere Menschen haben ein so breites Wissen über Tier- und Pflanzenarten, dass sie die Inventur eines Biotops mit der nötigen Expertise durchführen können. Selbst Hochschulabsolventen aus einschlägigen Fächern verfügen nicht immer über die notwendige Artenkunde - vor allem bei "unbeliebteren Arten" wie Muscheln ist die Zahl der Freizeitexperten überschaubar.

Dass für die Kartierungen überhaupt so stark auf Freiwillige gebaut wird, sieht man vonseiten des Nabu kritisch. "Das ist eindeutig eine staatliche Aufgabe, die völlig unzureichend wahrgenommen wird", sagt der Landesvorsitzende des Nabu Brandenburg, Björn Ellner, dem rbb. "Ohne dieses ehrenamtliche Engagement passiert wenig bis gar nichts." Den Landesbehörden fehle zwar nicht das Engagement, aber eindeutig das Personal. Viele Roten Listen in Brandenburg [lfu.brandenburg.de] seien daher hoffnungsvoll veraltet und kaum noch aussagekräftig.

Die Libellenart Speer-Azurjungfer ist immer seltener in der Region Berlin-Brandenburg zu sehen | Quelle: dpa/Michael Post

Trotzdem sind die Roten Listen auch für Behörden immer noch wichtige Orientierungs- und Entscheidungshilfen.

Die "Rote Liste der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands" enthält nicht nur Gefährdungseinstufungen, sondern bildet die gesamte Natur ab. Sie gilt als vollständiges Inventar der aktuellen Artenvielfalt bundesweit und ist auch international vergleichbar. Die Roten Listen werden in einem Turnus von rund zehn Jahren neu aufgelegt und vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) fachlich geprüft und herausgegeben [bfn.de].

Die Aussagekraft hängt von allerdings von der Qualität der erhobenen Daten ab. Die Erhebung ist im dünn besiedelten Brandenburg naturgemäß schwierig. Auch hapert es an der Ausstattung. "Aufwändig erhobene Informationen liegen zudem manchmal nur in Papierform vor, weil für die Digitalisierung Ressourcen fehlen", beklagt Björn Ellner vom Nabu.

Viel beachtet, aber nicht rechtsverbindlich

"Rote Listen haben vor allem eine politische Bedeutung", erklärt der Schmetterlingsexperte Jörg Gelbrecht. "Sie zeigen auf, wo gehandelt werden muss, um Lebensräume zu schützen." Die Naturschutzverbände beklagen, dass Gefährdungskategorien nicht unmittelbar rechtswirksam sind, die Politik muss also auf Warnungen nicht reagieren. Das wiederum führe im Ehrenamt zu Frustrationen, heißt es.

Dabei zeigen Tier- und Pflanzenzählungen, dass Not am Mann ist. Ein Beispiel sind die Amphibien: Fachleute im Brandenburger Landesamt für Umwelt sprechen von einem regelrechten Zusammenbruch zahlreicher Populationen. Ein wichtiger Grund sind nach bisherigem Wissen die zurückliegenden Jahre mit langen Dürreperioden. Überlebenswichtige Gewässer trocknen aufgrund gefallener Grundwasserstände zu früh aus. Krötenauffangzäune entlang von Straßen bleiben immer häufiger leer - ein weiterer Indikator für den sinkenden Bestand. Aber auch Überpopulationen von Wildschweinen, Waschbären oder Marderhunden können den geschützten Arten den Garaus machen.

 

Quelle: dpa/Kurt Möbus

Wachsende Populationen von Fischottern und Greifvögeln

Rote Listen werden aber auch als Basis für Erfolgsmeldungen herangezogen. Fischotter und Biber, die in der ersten Roten Liste von 1992 noch als ausgestorben galten, sind mittlerweile wieder im ganzen Land anzutreffen. Beim Biber sogar in einer Anzahl, die teils als lästig empfunden wird. Ebenso der Wolf. Sogar Greifvögel sind in großer Zahl zurück. Gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern liegt Brandenburg bundesweit an der Spitze. Dass dürfte vor allem daran liegen, dass Brandenburg über vergleichsweise viele Schutzgebiete und eine geringe Bevölkerungsdichte verfügt.

Das LfU zieht trotzdem ein ernüchterndes Fazit: Trotz aller Programme und Anstrengungen gelten sämtliche Ziele als verfehlt, die man sich in Europa, Deutschland und eben auch Brandenburg gesteckt habe. Vor allem bei Amphibien und Insekten seien die Rückgänge immens und wenig deute auf eine Veränderung zum Positiven. "Eines haben alle Roten Listen der vergangenen Jahre gemeinsam", bilanziert Frank Zimmermann vom LfU Brandenburg: "Sie werden stetig länger."

Kommentar | Gescheiterter Insektenschutz

Den Schuss nicht gehört

Der Insektenschwund in Deutschland nimmt seit Jahren dramatische Formen an. Forscher warnen. Und in Brandenburg: Fährt die Regierungs-Koalition ein landeseigenes Insektenschutz-Verfahren gegen die Wand. Ein Kommentar von Hanno Christ

Fast insektenfreie Agrarlandschaften

Bei den farbenprächtigen Tagfaltern, die dem Experten Jörg Gelbrecht besonders am Herzen liegen, gilt die Landwirtschaft als wesentlicher Verursacher des Rückgangs. Zwar habe Biolandbau eine Entlastung gebracht, dafür werden aber andere Flächen umso intensiver bewirtschaftet. Immer effektivere Pflanzenschutzmittel und ein Verlust von Blühstreifen am Ackerrand tun ihr Übriges. Artenreiche Wiesen seien eher Ausnahme als die Regel, sagt Gelbrecht.

Er rechnet daher damit, dass der Artenrückgang nicht zu stoppen ist, da die Ursachen weiterhin bestehen. "Wir erleben Agrarlandschaften in Brandenburg, die fast insektenfrei sind." Trotz der pessimistischen Perspektive hält er es für wichtig, dass diese Entwicklung gegenüber der Öffentlichkeit möglichst genau dokumentiert wird. Das rechtfertige auch das enorme Engagement, das Ehrenamtler in dieses Projekt investieren.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 22.05.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Wolfgang Albus

Artikel im mobilen Angebot lesen