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Audio: rbb24 Inforadio | 20.09.2023 | Wolf Siebert | Quelle: dpa/B.Pedersen

Weltkindertag

Kinder haben Rechte – und wollen mitbestimmen

Ein fehlender Spielplatz oder Freizeitangebote, die nicht barrierefrei sind - zwei von vielen Themen, bei denen Kinder und Jugendliche mitreden wollen und müssen. Denn das "Recht auf Beteiligung" ist Teil der "Kinderrechte". Von Wolf Siebert

Mit dem Lastenrad fährt Max Adam zum Rathaus Spandau. Vorne auf dem Kasten steht "Demoscape Game – mobiles Escape Game für Mitbestimmung". Als Requisite mitgebracht hat er einen kleinen Apparat mit Buzzer, drei durchsichtige Röhren, einen weißen Koffer mit Zahlenschloss, Spielkugeln und ein Tablet und einen Laptop. "Bei dem Spiel geht es um den Bau des größten Spaßbades der Welt, die Aquamegaworld", sagt Max Adam.

Max Adam von "Spielehrei e.V.". | Quelle: rbb/W.Siebert

"Die Kinder sollen sich während des Spiels ihre eigene Meinung dazu bilden. Und dadurch wichtige demokratische Kompetenzen aneignen." Adam arbeitet für den Verein Spielehrei. Das Demoscape Game bietet eigenen Angaben zufolge 8- bis 13-Jährigen die Möglichkeit, sich dem Thema "Mitmachen und Mitbestimmen" spielerisch zu nähern.

Mitmachen und Mitbestimmen

Heute spielen Max Adam und eine Kollegin mit einer Klasse der Linden-Grundschule aus Staaken. Klassenlehrerin Davina Moron ist genauso gespannt wie die neunjährigen Schülerinnen und Schüler. "Das Prinzip des Escape Games ist den Kindern bekannt, aber auch ich weiß nicht, was uns heute erwartet." Max Adam zieht die Kinder sofort in das Spiel hinein: "In einer Stunde ist Baustart. Ihr habt jetzt noch die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen".

Das Demoscape Game on tour. | Quelle: rbb/W.Siebert

Die Kinder wünschen sich eine Wasserrutsche mit Looping und eine extrem schnelle Fall-Rutsche. Im Verlauf des Spiels schlägt dann aber die Projekt-Mitarbeiterin Melanie Alarm: Für das Spaßbad müssen Wohnhäuser gesprengt werden; es wird viel teurer als geplant; die Profitgier ist größer als der Nutzen für alle. Die Kinder haben nun 60 Minuten Zeit, die Sprengung zu verhindern – wenn sie die Hinweise, die Melanie hinterlassen hat, richtig entschlüsseln.

Beteiligung gesetzlich verankert

Das "Recht auf Beteiligung" ist im Artikel 12 der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) festgelegt. Brandenburg hat die Verpflichtung, Kinder und Jugendliche zu beteiligen, in seiner Kommunalverfassung verankert. Im Land gibt es inzwischen über 40 Kinder- und Jugend-Beiräte oder -Parlamente.

In Berlin wird das unter anderem im "Jugend-Förder- und Beteiligungs-Gesetz" geregelt. Der Jugend-Demokratie-Fonds unter dem Motto "Stark gemacht. Jugend nimmt Einfluss" fördert entsprechende Projekte, in denen Kinder Selbstwirksamkeit erleben können. Kinder- und Jugend-Jurys entscheiden in einem Diskussionsprozess selbst, welche Projektideen einen Zuschuss bekommen. Ein ähnliches Prinzip gilt auch beim Kinder- und Jugend-Haushalt der Bezirke. Hier entscheiden Kinder und Jugendliche bei einer Online-Abstimmung.

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Online-Abstimmung für Matschküche und Paletten-Lounge

Im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf gibt es seit 2003 das Kinder- und Jugendbüro (Kijubsz). Im Auftrag des Bezirksamts unterstützen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter junge Menschen dabei, ihre Lebensräume aktiv mitzugestalten. "Es wäre toll, wenn Kinder und Jugendliche bei allem, was sie betrifft, mitbestimmen und entscheiden könnten", sagt Kijubsz-Leiterin Julia Kumbier. Die ausgebildete Sozial- und Demokratiepädagogin erlebt immer wieder, dass Kinder schon sehr früh bereit sind, für ihre Interessen einzustehen. "Sie wissen, was sie brauchen. Oft fehlt ihnen aber, dass sie gefragt werden oder dass ihre Wünsche umgesetzt werden." Auch deswegen gibt es für den Kinder- und Jugend-Haushalt 5.000 Euro jährlich.

Die Heranwachsenden formulieren einen Wunsch, und bei einer Online-Abstimmung können theoretisch alle Heranwachsenden im Bezirk darüber abstimmen, welche Anschaffungen gefördert werden. In diesem Jahr sind das eine Schmökerbank aus Holz auf dem Schulhof einer Grundschule und eine Matschküche für den Hort einer Gemeinschaftsschule. Weitere Projekte, die Geld bekommen, sind eine Palettenlounge und Hochbeete zum Selberbauen sowie die Entwicklung eines Rätsel- und Bewegungs-Spiels, das mithilfe einer App und einem Handy gespielt werden kann. Damit soll es für viele Kinder verfügbar sein.

Julia Kumbier (li.), "Kinder- und Jugendbüro Steglitz-Zehlendorf" und Lucia Maceroni. | Quelle: rbb/W.Siebert

Kinder und Jugendliche in der Verantwortung

Bei der Kinder- und Jugend-Jury hingegen geht es um Projektideen, die Jugendliche einreichen und dann auch umsetzen: 18.000 Euro stehen pro Jahr zur Verfügung, zum Beispiel für die Entwicklung eines Podcasts, eine Umweltschutz-Aktion oder ein Nachbarschaftsfest – es hängt von den Kindern ab, und die sitzen dann selber in der Jury.

Lucia Maceroni hat schon mehrere Jury-Sitzungen moderiert. "Ich finde es großartig, wie Kinder in diesem Prozess dazulernen. Sie setzen sich nicht nur für ihr eigenes Projekt ein, sondern schauen auch darauf, was allen zugutekommt", sagt die 18-jährige Schülerin, die sich schon lange engagiert. Erst als Klassensprecherin, dann als Schülervertreterin. Aktuell ist sie Vorsitzende des Bezirksschülerausschusses.

Mehr kindgerechte Beteiligung gefordert

Gemeinsam mit anderen hat Lucia Maceroni ein neues Gesprächsformat gegründet: "Jugend spricht mit". Mit Expertinnen und Politikern haben dabei 6- bis 21-Jährige über "Corona & Wut", über die "Beeinflussung durch Social Media" und über "Das Klima retten – aber wie?" diskutiert. "Wir können laut sein, und wenn wir am Thema dranbleiben, können wir vielleicht auch was bewirken, wenn auch nicht sofort. Aber unsere Ideen gehen zumindest nicht verloren. Und dabei unterstützt uns das Kinder- und Jugendbüro, und das ist einfach großartig."

Die Grenzen ihres Engagements erlebt die Schülerin dabei regelmäßig. So darf sie zwar an Sitzungen des Jugendhilfeausschusses der Bezirksverordnetenversammlung teilnehmen, aber nur beratend, eine Stimme hat sie nicht. Das müsse sich ändern, sagt Maceroni. Und es müsse auch mehr kindgerechte Formen der Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen geben. Demokratiepädagogin Julia Kumbier nickt und ergänzt: "Wenn Kinder und Jugendliche erleben, dass sie ihren Kiez und ihre Umwelt mitgestalten können, dann bleibt Demokratie nicht nur eine Floskel, sondern hat auch etwas mit der Realität zu tun."

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Das größte Spaßbad der Welt wird von den Kindern gestoppt

Die 13 Kinder der Linden-Grundschule sind derweil beim Demoscape Game gut vorangekommen. Wie in einem Detektivspiel haben sie die Hinweise der Whistleblowerin Melanie zusammengesetzt und unterschiedliche Ideen lebhaft besprochen. Auch wenn es phasenweise wie ein turbulenter Kindergeburtstag gewirkt hat: Die Kinder haben spielerisch erlebt, dass es im Leben immer eine Alternative gibt und dass es sich lohnt, sich zu engagieren; und dass man sich entweder für Ja oder für Nein entscheiden muss, weil sich durch die Haltung "ist mir egal" nichts ändert. Das Spiel wird wohl auch deshalb von der Landeszentrale für politische Bildung und der Hertie-Stiftung unterstützt.

Zehn Minuten vor Beginn der Häusersprengung drückt jedenfalls eines der Kinder auf den Buzzer, die Sprengung ist gestoppt. Spielleiter Max Adam sammelt von den Kindern Vorschläge ein, was man denn mit dem öffentlichen Geld stattdessen machen könnte. "An die Berliner verteilen" und "Burger für alle" sind die ersten Vorschläge. Dann kommen "Häuser und Kleiderspenden für Obdachlose", "Geld für Krankenhäuser", "Orte, an denen kaputte Sachen repariert werden" und ganz zum Schluss "bessere Schultoiletten".

Klassenlehrerin Davina Moron ist begeistert und will das Spielerlebnis im Unterricht nacharbeiten: "Meine Schülerinnen und Schüler wissen ja, was Mitbestimmung bedeutet: Wir haben einen Klassenrat, einen Schülersprecher und ein Schulparlament. Und ich überlege, ob ich bald mal jemand von der Kinder- und Jugend-Jury an unsere Schule einlade."

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.09.2023, 7:36 Uhr

Beitrag von Wolf Siebert

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