Aktuelle Studie - Benachteiligte Familien ergattern seltener einen Kitaplatz

Fr 10.03.23 | 17:23 Uhr | Von Anna Bordel
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Symbolbild: Eine Frau geht mit einem Kind an der Hand in Berlin durch die Stadt (Bild: dpa/Christin Klose)
Audio: rbb24 Inforadio | 10.03.2023 | Lisa Splanemann | Bild: dpa/Christin Klose

Familien, die von Armut bedroht sind oder in denen kein Deutsch gesprochen wird, haben es schwerer, Kitaplätze zu bekommen. Sprachbarrieren und zu viel Papierkram, sind einige der Gründe. Manche bekommen zum Glück Hilfe. Von Anna Bordel

Eine bulgarische Mutter kam zufällig in die Kita Pückler in Berlin-Kreuzberg. Es war eine von vielen Einrichtungen, in denen sie nach einem Kitaplatz für ihren vierjährigen Sohn fragte. Allein die Frage nach dem Platz zu stellen, war für sie schon schwierig, denn Deutsch sprach sie nicht.

Dass sie ausgerechnet diese Kita betreten habe, sei ein großes Glück, sagt Nurhayat Skrotzki. Skrotzki ist Stadtteilmutter und arbeitet unter anderem in der Kita Pückler. Ihr Job ist es, Menschen wie dieser bulgarischen Mutter zu helfen, sich im Berliner Kita-Irrsinn zurecht zu finden und einen Platz für ihre Kinder zu ergattern.

Es ist schwer einen Kitaplatz in Berlin zu finden, vor allem für Familien, die von Armut bedroht sind, in denen kein Deutsch gesprochen wird oder die bildungsfern sind. Das geht aus einer Studie hervor, die das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) [bib.bund.de] am Freitag veröffentlicht hat.

Benachteiligte Familien bekommen weniger Kitaplätze

Demzufolge ist 2020 nur etwa jedes vierte armutsgefährdete Kind (23 Prozent) unter drei Jahren in eine Kita gegangen. Es waren doppelt so viele Kinder aus nicht prekären Verhältnissen (46 Prozent). Etwa 17 Prozent der benachteiligten Familien hätten gern einen Platz für ihre Kinder gehabt, bei nicht benachteiligten Familien waren es hingegen nur zehn Prozent, die keinen Platz erhalten haben, obwohl sie einen wünschten.

Auch für Familien, in denen kein Deutsch gesprochen wird, ist es schwieriger. Etwas mehr als 50 Prozent der Eltern, die zu Hause kein Deutsch mit ihren Kindern sprechen, meldeteten 2020 Betreuungsbedarf für ihre Kinder unter drei Jahren an. Nur 24 Prozent bekamen tatsächlich einen.

Eine von ihnen war die bulgarische Mutter, die durch Zufall zu den Stadtteilmüttern in Kreuzberg kam. "Der Junge sprach kein Wort Deutsch und er sollte ja bald zur Schule gehen", sagt Skrotzki. Die Mutter konnte in der Umgebung keinen Platz für ihn finden. Skrotzki konnte helfen. "Ich suche zum Beispiel über den Kitanavigator, das Jugendamt, oder schreibe selber Mails an Kitas, die wir kennen". Und sie fand in der näheren Umgebung einen Platz für den Jungen. Wie wichtig es ist, sich früh zu integrieren und Deutsch zu lernen, weiß Skrotzki von sich selbst. Sie ist Gastarbeiterin der zweiten Generation.

Die Bedeutung von Kita ist nicht in allen Kulturen gleich. Es gibt viele Länder, da ist Kita eher etwas für reichere Menschen, die das privat bezahlen.

Maria Lingens, Awo-Landesverband Berlin e. V.

Manche Eltern rufen 20 Kitas an

Das sei etwas, woran sich unbedingt etwas ändern sollte - und zwar müssten Kitaplätze gesamtstädtisch geplant werden, sagt Andrea Asch, Vorständin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz. "Es bringt nichts, wenn da mehr Kitaplätze geschaffen werden, wo die Menschen den Bedarf am besten artikulieren können, zum Beispiel in Pankow. Das bringt den benachteiligten Standorten nichts, wo die Menschen vielleicht weniger auf sich aufmerksam machen", sagt sie.

Auf sich aufmerksam machen, dranbleiben – das ist bei der Kitaplatz häufig ausschlaggebend. "Eltern, die die Sprache gut beherrschen, rufen dann manchmal 20 Kitas an und stellen sich da vor. Das schaffen Familien, die nicht so gut Deutsch sprechen nicht", erzählt Maria Lingens vom Berliner Landeverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo).

"Die rufen, dann ein bis zwei Kitas an, wenn da dann nicht sofort etwas frei ist, geben sie auf. Nicht alle natürlich, aber die Tendenz ist da", so Lingens. Manchen Familien fehle auch schlicht die Information, dass Kita in Deutschland für alle ist. "Die Bedeutung von Kita ist nicht in allen Kulturen gleich. Es gibt viele Länder, da ist Kita eher etwas für reichere Menschen, die das privat bezahlen. Da ist Kita nicht ein Grundstein der Bildungskette so wie das hier der Fall ist". Gerade für Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, sei es wichtig, von Anfang an in die Kita zu gehen.

Automatischer Kitagutschein für alle als Lösungsidee

Wer sein Kind in die Kita schicken will, muss vorher viel Papierkram erledigen. Das ist nicht nur für Familien mit Sprachbarrieren schwierig. Um die Hürden der Bürokratie auszuräumen, gab es mit der alten Berliner Koalition bereits eine Lösungsidee. Jedes Kind sollte mit Vollendung des ersten Lebensjahres automatisch einen Kitagutschein bekommen, ohne dass ihn die Eltern beantragen müssen, so Asch von der Diakonie. Umgesetzt worden sei das aber noch nicht - und wie die neue Koalition damit umgehen wird, weiß man bis jetzt noch nicht.

Solange der Weg nicht einfacher ist, hat Skotzki von den Stadtteilmüttern noch viele Kitaplätze für Familien zu finden. Ihr gefällt das, wie sei sagt. "Ich habe vor 15 Jahren damit angefangen", erzählt sie. "Ich wollte raus aus meinem Alltag zu Hause. Meine Schwester und ich haben uns beworben. Sie ist nicht mehr dabei, aber ich bin geblieben". Bis jetzt habe sie noch für jede Familie einen Platz gefunden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.03.2023, 16:17 Uhr

Beitrag von Anna Bordel

14 Kommentare

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  1. 14.

    Vielleicht könnte man den Wegzug dieser Familien finanziell fördern. In eine dünner besiedelte Region Deutschlands. Davon hätten dann alle etwas und Wohnungen werden auch noch frei.

  2. 13.

    Es ist wie mit dem kostenlosen Schulessen. Was nichts kostet wird nicht wertgeschätzt. Zudem stellt der kostenlose Kitaplatz eine Privilegierung der Besserverdienenden Eltern dar. Früher wurden die Zuzahlungen nach der Höhe des Einkommens berechnet. Das Geld das hier für den kostenlosen Kitaplatz verwendet wird sollte nach dem Guten-Kitagesetz in ein qualitativ bessere Ausstattung der Kitas investiert und ein breiteres Angebot. Das ist ein typisches Beispiel für Klientelpolitik von R2G

  3. 12.

    Kennen wir eigentlich den Normalzustand, dass man sein Kind weitgehend problemlos in einer Kita anmelden kann? Es ist richtig, dass einfach zu wenig Plätze u. zu wenig Personal vorhanden ist. Ich habe mich als Päd.m. HS-Abschluss(Uni)m. ausgew. Methodikerfahrung jahrelang erfolglos beworben, bevor ich anderweitig "unterkam". Nein, Berlin hatte kein Herz f. Päd., seit 20 Jahren mind. kein Konzept, keine Vision, wie es gehen soll. Dann artet das in quasi Bewerbungsmappen aus, was ja auch schon für die Wohnungssuche empfohlen wird. Unmöglich, aber wahr! Bei derart Ausuferung müssen ja der Amtssprache nicht Mächtige passen. Dennoch müssen sich die Personen aus dem Ausland vermutlich mehr Gedanken machen, als immer nur Anträge auf Mittel zu stellen. Zahlreiche toughe Personen beweisen es immer wieder, dass man mit Kleinkindern, aber großem Willen Deutsch auch allein bzw. so weit lernen kann, dass eine Verständigung gut möglich ist. Und eine Hilfe dann auch prompt umgesetzt wird! Aktive Pers

  4. 11.

    Auch in Prenzlauer Berg, wo durch den Zuzug der reichen Mittelschlicht und Bildungsbürgertum, dem zu schützenden Klientel der Grünen, auch Gentrifizierung genannt, die Bevölkerungsstrucktur wandelte, gibt es neben Fahrradstraßen, auch genügend Kindergärten. Man kann es morgens sehen, wenn die Eltern ihre lauffaulen behelmen Bilder, mit ihren Lastenfahrrädern über den Bürgersteig in die Verwahrstadionen bringen.

  5. 10.

    Das ist in Brandenburg besser. Vielleicht sollte man fürs Kindstod aus Berlin wegziehen. Schließlich kann das Kind nichts für die Situation, sondern die Eltern.

  6. 9.

    Sprechen Sie da aus Erfahrung oder woher kommt Ihre Behauptung. Als Erzieher in Rummelsburg kann ich Ihnen versichern, dass auch wir weit mehr Anfragen bekommen als wir Plätze zur Verfügung haben. Und das geht umliegenden Einrichtungen genauso. Was Das Klientel angeht werden nicht nur gut situierte Familien berücksichtigt. Wir achten auf eine angemessene soziale Mischung. Ich weiß, dassdas auch andere Kitas tun. Das Grundproblem sind einfach zu wenig Plätze und zu wenig Personal.

  7. 8.

    Also ist es unter RGR noch schlechter geworden, wie diskriminierend!

  8. 7.

    Blumenkohl gibts aktuell für 2,49€ bei Netto. Kann sich auch Otto Normalverdiener leisten. Saison ist auch noch nicht dafür, hohe Preise sind dann völlig normal.

    Wo ist jetzt das Drama?

  9. 6.

    "Benachteiligte Familien ergattern seltener einen Kitaplatz"
    Das ist wenig verwunderlich. In Zeiten knapper Kitaplätze müssen die Eltern schon richtig was auffahren, um überhaupt erstmal in die Auswahl für einen Kitaplatz zu kommen. Da sind fast schon Bewerbungsmappen mit Hinweise, was die Eltern für die Kita so leisten können, erforderlich. Solcher Art Aufwand können Eltern aus dem amtlich formulierten "benachteiligten Sozialmilieu" nicht leisten. Dies ist übrigens nicht nur ein Berliner Problem, sondern auch im Speckgürtel um Berlin so. Da es meistenteils private oder andere Träger von Kitas sind, hat Berlin und haben Brandenburger Kommunen nur einen begrenzten Einfluss auf die Vergabe und überhaupt Bereitstellung von Kitaplätzen. Vom knappen Personal insgesamt mal ganz abgesehen.

  10. 5.

    Deutsch lernen und die guten Bildungschancen auch nutzen ist ein schlauer Weg. Das Bauchgefühl kommt auch ohne Studie von ganz alleine darauf. Warum sollte die Solidargemeinschaft dafür aufkommen wenn sie schon die Bildungschancen einräumt und bezahlt?

  11. 4.

    Wer seine Rechte nicht kennt, kann sie nicht einfordern. So ist es seit dem "Ende" des Feudalismus, der sich genau deswegen fortsetzte. Die Idee mit einem Kitagutschein ist grds. richtig, nur gab es auch schon zuvor das Anrecht auf Betreuung. Wenn eine Kommune etc. diese Betreuung nicht leisten kann, gilt die Versorgung per Tagespflege - ungleich teurer und pädagogisch solange nachteilig, insoweit die Betreuungsperson häufig wechselt. Statt überbordender Bürokratie sollten Menschen hinreichend informiert werden, lebensnah und niedrigschwellig, ebenso müssen Kommunen an ihre verbindlichen Pflichten erinnert werden. Ansonsten bleibt es bei rassistischen und klassistischen Ausgrenzungen.

    Abgesehen davon ist Integration keine Bringschuld von Geflüchteten oder Migrant*innen, sondern die Aufgabe des Staates, analog zu Inklusion. Ferner ist ein Kind ehem. Gastarbeiter*innen deswegen nicht selber auch Gastarbeiter*in. Das ist eine rassistische, da biologisierende Einordnung.

  12. 3.

    Nach ihrem Vorschlag der Bezahlung werden Familien benachteiligt, die selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen .
    Ist wie beim Blumenkohl vom Edeka, den sich nur noch Reiche oder Tafelgänger leisten können. Otto Normalverdiener muss immer mehr davon abstand nehmen.

  13. 2.

    Da kann man mal sehen wie sich RRG um die benachteiligten unserer Gesellschaft gekümmert hat.In den schicken Wohngegenden wie z.B. am Rummelsburger See,gibt es sicherlich kein Mangel.Gut gemacht,Klientel versorgt.

  14. 1.

    Die Situation ist wirklich schrecklich, selbst wenn das Kind einen Platz hat, von strukturierter und kontinuierlicher Betreuung kann keine Rede sein.
    Gruppen oder Kitaschließung sind eher normal, als der Regekbetrieb, die Erzieher:innen arbeiten am Anschlag und sind auch leittragende einer völlig an der Realität vorbeigefahren Familienpolitik.
    Jedes Kind sollte einen Betreuungsplatz bekommen, aber nicht auf Teufel komm raus, sondern gut ausgestattet, mit gut bezahltem, gut ausgebildetem Personal, welches nicht nach Irrsinnsschlüsseln berechnet wird, sondern nach tatsächlichen Bedarfen. Und natürlich sollte man Eltern an den Kosten nach ihren Möglichkeiten beteiligen, bzw. nur noch von Armut bedrohte oder betroffene Familien kostenlos unterzubringen.

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