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Quelle: dpa/lev dolgachov

Ansteckung mit Coronavirus

"Die Ära des Hygiene-Theaters um Oberflächen ist zu Ende"

Wie groß ist das Risiko, sich durch Kontakt mit Oberflächen mit dem SARS CoV-2-Virus anzustecken? Geringer als bis jetzt gedacht, sagt die US-amerikanische Seuchenbehörde in einer aktuellen Veröffentlichung. Von Ursula Stamm

Über ein Jahr lang desinfizieren wir nun schon die Griffe von Einkaufswagen, nutzen lieber EC-Karten als Bargeld und vermeiden den Griff zum Kugelschreiber des Nachbarn. Diese Vorsichtsmaßnahmen stammen noch aus der Anfangszeit der Corona-Pandemie. Damals hatten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen untersucht, wie lange das neuartige SARS CoV-2 Virus auf glatten Oberflächen überleben kann. Bis zu 28 Tage, ergab eine Studie der australischen Wissenschaftsbehörde Csiro [www.csiro.au].

Solche und ähnliche Studien führten dazu, dass die Reinigung und Desinfektion von Oberflächen zunächst als wichtigste Maßnahme im Kampf gegen die Übertragung des Coronavirus angesehen wurde. Damit könnte jetzt Schluss sein, liest man die aktuelle Einschätzung des US-amerikanischen Center for Disease Control an Prevention (C.D.C). Die Behörde, die Studien auswertet und auf deren Basis Empfehlungen ausspricht, schätzt das Risiko, sich über verunreinigte Oberflächen mit dem SARS-CoV-2-Virus anzustecken als "low", also niedrig ein. Das Risiko liege bei 1:10.000, so das C.D.C [www.cdc.gov].

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In einem Artikel in der "New York Times" [www.nytimes.com] folgert Joseph Allen, Experte für Gebäudesicherheit an der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston, "dies sollte das Ende des Hygiene-Theaters sein."

Das Robert-Koch-Institut in Berlin teilt auf Anfrage von rbb|24 mit, dass im Epidemiologischen Steckbrief zur SARS CoV-2 und COVID-19 [www.rki.de], das Risiko, sich über Kontaktflächen zu infizieren, nicht quantifiziert wird. Es werde nur gesagt, dass es "insbesondere in der unmittelbaren Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen sei". Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin [www.bfr.bund.de] Die meisten Ansteckungen finden über Tröpfchen und Aerosole in der Atemluft statt – das ist inzwischen unbestritten.

AHA-L Regeln gelten immer noch

Auch wenn das Risiko, sich durch den Kontakt mit Oberflächen anzustecken, als gering eingestuft wird, ist es dennoch nicht völlig ausgeschlossen. Denn prinzipiell kann es passieren, dass ein mit dem SARS CoV-2 Infizierter auf eine Fläche hustet, eine andere Person dorthin fasst und dann Schleimhäute an Augen, Nase oder Mund berührt. Ob darüber dann tatsächlich eine Infektion stattfindet, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Unter anderem von der Virusmenge, die auf die Oberfläche gelangt, von Temperatur und Luftbewegung im Raum sowie dem Zeitraum, indem eine andere Person mit diesen Viren in Berührung kommt. Deshalb seien die AHA-L Regeln, also Abstand halten, Händehygiene beachten, im Alltag Maske tragen und regelmäßig Lüften, immer noch gültig – darin sind sich Expertinnen und Experten einig.

Strengere Regeln im Gesundheitssektor

Im normalen Alltag reicht es, Hände und möglicherweise verunreinigte Oberflächen mit Seife oder Waschmitteln zu reinigen, die Tenside enthalten. Diese haben eine fettlösende Wirkung, die die aus Lipiden bestehende Hülle des SARS CoV-2 Virus aufbrechen und damit das Virus inaktivieren. SARS-Viren sind durch diese Eigenschaft sehr viel labilere und damit besser zu inaktivierende Viren, als zum Beispiel Noroviren, die Durchfallerkrankungen auslösen. Vom Gebrauch von Desinfektionsmitteln im Alltag wird eher abgeraten, da diese auf Dauer die Haut schädigen können. Anders sieht es in Kliniken oder Pflegeheimen aus, wo das Risiko, mit infizierten Personen in Kontakt zu kommen, viel höher ist. Das gilt auch im privaten Bereich, wenn Menschen wegen Covid-19 in Quarantäne sind oder Kontakt zu infizierten Personen hatten. Dann sollten Oberflächen desinfiziert werden, zum Beispiel mit einem Alkohol-Wassergemisch, das zu 75 Prozent aus Ethanol besteht.

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Eike Steinmann, Professor an der Abteilung Molekulare und Medizinische Virologie an der Ruhr-Universität Bochum, hat mit seiner Arbeitsgruppe untersucht, ob die britische (B.1.1.7) und die südafrikanische (B.1.351) Variante des Coronavirus eventuell länger auf Oberflächen überleben als das Ursprungsvirus. "Dabei hat sich gezeigt, dass alle Viren, auch die zwei Varianten, die wir getestet haben, sich genau gleich verhalten haben. Sie sind durch Seife inaktivierbar gewesen, durch Ethanol und durch Hitze", so Steinmann. Ob das auch für die anderen Virusmutationen, etwa aus Brasilien und Indien auch gilt, können die Forscher und Forscherinnen derzeit noch nicht sagen.

Labor ist nicht gleich Umwelt

Das Team um Eike Steinmann arbeitet derzeit an Versuchsanordnungen, die stärker die Alltagsbedingungen bei der Übertragung von SARS-CoV-2 berücksichtigen. "Wir haben jetzt einen so genannten Touch-Transfer-Test entwickelt, wo wir mit Hilfe eines Fingers aus künstlicher Haut schauen, wie groß die Menge an SARS-CoV-2 Viren ist, die tatsächlich anhaftet", sagt Eike Steinmann.

In einem nächsten Schritt wollen die Forscherinnen und Forscher untersuchen, wieviel Virus bei Berührung von Mund und Nase tatsächlich übertragen wird. Versuchsanordnungen, die unter reinen Laborbedingungen stattfinden, kommen meist zu Ergebnissen, die von einer höheren Übertragungsrate ausgehen. "Diese Laborbedingungen sind oft 'worst case'-Szenarien, unter Bedingungen, die so gestaltet sind, dass vom schlimmsten Fall ausgegangen wird", sagt Eike Steinmann. So sei es auch zu erklären, dass zu Beginn der Pandemie das Risiko für eine Übertragung durch Oberflächen eher überschätzt worden ist.

Der Weg über die Luft hat die größte Bedeutung

Der Hauptübertragungsweg von SARS CoV-2-Viren findet über die Luft statt, also über Aerosole und Tröpfchen. Da diese aber letztlich durch Husten oder Niesen auch auf Oberflächen gelangen können, ist die regelmäßige Händehygiene und das Tragen einer Mund-Nasen-Maske auch ein guter Schutz vor einer Infektion über Oberflächenkontakte.

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Beitrag von Ursula Stamm

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