rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Video: rbb|24 explainer | 28.01.2022 | Quelle: dpa/Bernd von Jutrczenka

Studieren in der Corona-Pandemie

"Bis jetzt ist es eigentlich die schlimmste Zeit meines Lebens"

Einen Hörsaal haben viele Studierende bisher kaum von innen gesehen – Studieren bedeutet während der Pandemie oft nur das Starren auf den Laptopbildschirm. Die Isolation macht es für viele fast unmöglich in einem normalen Studentenleben anzukommen. Von Mara Nolte

Ein normaler Tag geht für Lena erst gar nicht richtig los. "Wenn ich nachmittags Uni habe, komme ich morgens nicht so richtig aus dem Bett", sagt die 22-Jährige. "Ich bleibe immer so ein bisschen im Gammelmodus". Sie studiert seit anderthalb Jahren Philologie und Publizistik an der Freien Universität Berlin – nur sechs Wochen davon haben an der Universität in Präsenz stattgefunden.

Für ihre Vorlesungen bleibt Lena dann auch oft direkt im Bett liegen, strickt nebenbei und streichelt Kater Weasley, der es sich auf ihrem Schoß bequem macht. "Vor dem Laptop bin ich vielleicht eine Viertelstunde konzentriert und dann schalte ich ab. Wenn du in der Uni sitzt und vor Ort bist, hast du nicht die Möglichkeit, dich anders zu beschäftigen. Das heißt, du bist die ganze Zeit auf die Inhalte eingestellt", sagt Lena. "Ich glaube, dass ich dadurch ein sehr viel schlechteres Studium habe."

Im Laufe ihres Studiums ist Lena in eine WG gezogen, um mehr Gesellschaft zu haben. | Quelle: rbb/Marcus Heep

Ein Studium im zermürbenden Rhythmus der Pandemie

Davor haben auch viele andere Studierende Angst. Laut einer Umfrage an der Humboldt-Universität, fand jede:r Zweite die Qualität des Studiums im Sommersemester 2020 schlechter als vor der Pandemie. In diesem Wintersemester klagten fast 70 Prozent über Konzentrationsprobleme.

#Wiegehtesuns? | Der Student

"Meine Hoffnung ist wirklich, dass eine Impfpflicht kommt"

Tim studiert im dritten Semester an der HU. Von innen hat er die aber noch nicht oft gesehen. Er befürchtet nun, dass sich dieser Zustand nicht so bald ändern wird. Und hat Sorge, dass die Jungen bald das Handtuch werfen in Sachen Solidarität. Ein Gesprächsprotokoll

Wer im Sommersemester 2020 angefangen hat zu studieren, hat sein ganzes Studium im zermürbenden Pandemie-Rhythmus verbracht. Hangelte sich von Lockdowns über Lockerungen bis zu diesem Wintersemester. Das sollte an den Berliner Unis eigentlich "zum überwiegenden Teil in Präsenz stattfinden". So steht es in der aktuellen Corona-Verordnung des Landes.

In der Realität sieht das aber oft anders aus: An der Technischen Universität findet im Moment nur jede fünfte Veranstaltung auf dem Campus statt. An der Humboldt-Uni ist es in den meisten Fächern nur jede vierte Vorlesung oder Seminar. Schuld daran ist auch die Omikron-Welle: "Seit Mitte Dezember setzt die Freie Universität verstärkt auf digitale und hybride Formate, um einen Beitrag zur Viruseindämmung zu leisten", teilt die Uni auf Anfrage mit. Das digitale Angebot finden auch nicht alle Studierenden nur schlecht. Gut sei beispielsweise mehr Flexibilität und dass Stoff nachgearbeitet werden könne.

Fast alle Unis bauen psychologische Beratung aus

Die Entscheidung ob eine Veranstaltung digital angeboten werden soll, können die Lehrenden selbst treffen – auch in Abstimmung mit den Studierenden. Es gibt das Dilemma zwischen dem Bedürfnis nach Schutz vor dem Virus und dem Verlangen nach Nähe. "Sicher muss es sicher sein, dennoch können wir nicht ewig so weitermachen und ausschließlich nur online anbieten – das ist nach wie vor unsere Haltung, wir nehmen das einfach wahr, die depressiven Verstimmungen nehmen massiv zu und das hat auch etwas damit zu tun, dass die Leute isoliert sind.", sagt Jana Judisch, die Sprecherin des Berliner Studierendenwerks.

Es habe einen starken Anstieg von Nachfragen an die psychologische Beratungsstelle des Studierendenwerks gegeben. So viel, dass sie das Angebot ausweiten mussten. Es gebe viele Studierende, die eigentlich nie wirklich im Studium angekommen seien, die ihre Kommiliton:innen kaum kannten und kein soziales Netzwerk hätten, sagt Judisch.

Jana Judisch, Sprecherin des Studierendenwerks Berlin. Das Werk betreut Studierende von insgesamt 19 Hochschulen. | Quelle: rbb/Marcus Heep

"Sie sind nach Berlin gekommen, ohne den Teil des Studiums machen zu können, der ja eigentlich der spannende ist, nämlich neue Erfahrungen machen, Leute kennenlernen, Freundeskreis aufbauen, all das findet nicht statt. Das beklagen sie und das ist auch oft Gesprächsthema in unserer psychologischen Beratung." sagt Judisch. Mehr Anfragen an die psychologischen Beratungsstellen haben fast alle Universitäten in Berlin und Brandenburg registriert - ein Großteil musste das Beratungsangebot ausbauen.

Ein Gefühl absoluter Überforderung

Für Lena kommt der Zusammenbruch in den Semesterferien. Als sie über Ostern ihre Eltern besucht, will sie die Zeit eigentlich auch noch nutzen, um für eine Klausur zu lernen. Doch ab dem zweiten Tag geht das nicht mehr. "Ich lag' die restliche Woche eigentlich nur im Bett und habe geweint. Ich habe dann die Zeit auch nicht groß mit meiner Familie verbracht, weil ich mich darauf gar nicht konzentrieren konnte." Sie beschreibt es als ein Gefühl absoluter Überforderung. "Das lag auch nicht an den Studieninhalten", beschreibt Lena ihren Zustand. "Die Belastung, dass man sonst nichts unternehmen kann, sich nicht so richtig ablenken kann, Kontakte stark eingeschränkt sind, das war sehr frustrierend."

"Ich kenne niemanden, der mit dem Online-Semester gut klarkommt", sagt Lena. | Quelle: rbb/Marcus Heep

Lena findet aus ihrem Tief nicht mehr richtig hinaus – sich sucht sich eine Psychotherapeutin und findet heraus, dass sie an einer Depression leidet. "Ich hatte die vorher auch schon", sagt Lena. Der Lockdown habe diese nicht hervorgerufen, wohl aber verstärkt.

60 Prozent können das Semester nicht gut absolvieren

"Das eine große Thema, das jetzt dazugekommen ist durch die Pandemie, mein Eindruck, ist der Umgang mit dem Wegfall von Struktur", sagt Jonas Neubert. Er leitet die Studienberatung der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Wenn der Weg am Morgen nicht automatisch aus dem Haus und auf den Campus führt, sehe man bei einem Teil der Studierenden, dass das Aufschieben und dann auch das Wegrutschen des Studiums deutlich zunehme.

In einer aktuellen Umfrage des Vereins "Freier Zusammenschluss von Student*innenschaft (FZS)" sagen 60 Prozent der rund 7.600 befragten Studierenden, dass sie das Semester nicht gut absolvieren könnten. Sie klagten beispielsweise über Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme. Zehn Prozent von ihnen nutzen ein psychologisches Beratungsangebot.

Prüfungstermine verschoben

Brandenburg und Berlin verlängern Regelstudienzeit

Erste Hilfe

Neubert empfiehlt Studierenden, die unter der Situation leiden, sich selbst Routinen zu schaffen und Automatismen zu entwickeln, damit man sich nicht gleich morgens im Bett Gedanken machen müsse: Wenn ich jetzt aufstehe, was kommt dann eigentlich? Das können auch einfache Dinge sein wie: ins Bad gehen, die Zähne putzen und frühstücken. Eine Routine zu haben, was den Arbeitsplatz und die Arbeitszeiten angehe.

Seine Hoffnung sei, dass sich die Situation langsam drehe und "wir in eine Situation kommen, in der die Uni wieder mehr Struktur bieten kann". Er appelliert aber auch an Studierende, die in schwierigen Situationen stecken, sich Hilfe zu suchen.

Präsenz-Angebot soll nicht weiter eingeschränkt werden

Lena hofft, dass während ihrer restlichen Zeit an der Uni mehr Präsenz- oder Hybrid-Veranstaltungen angeboten werden. "Alleine morgens was zu haben, sich anzuziehen, Kaffee zu trinken, zu frühstücken und dann loszufahren, das bringt einen Tagesrhythmus rein", sagt sie. Auch der Kontakte mit Kommiliton:innen, die über den Freundeskreis hinausgingen, würden für sie viel verändern.

Keine der angefragten großen Universitäten will die Präsenzveranstaltungen im Moment weiter einschränken - mehr Hybrid-Angebote, also Veranstaltungen, die parallel digital und in Präsenz stattfinden, sind aber oft aus technischen und personellen Gründen auch nicht möglich.

Um so viele Präsenzveranstaltungen wie möglich anzubieten, geht die Universität Potsdam derweil noch einen Schritt weiter. In Vorlesungen und Seminaren gilt dort seit Anfang Januar als bisher einzige Universität der Region nun die 2G-Regel.

Hier sehen Sie das ganze Youtube-Video: Studium in der Corona-Pandemie: “Schlimmste Zeit meines Lebens”

Sendung: rbb|24 explainer, 26.01.2022

Die Kommentarfunktion wurde am 29.01.2022 um 13:40 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Mara Nolte

Artikel im mobilen Angebot lesen