#Wiegehtesuns? | Der Student - "Meine Hoffnung ist wirklich, dass eine Impfpflicht kommt"

So 02.01.22 | 09:40 Uhr
Ein junger Mann sitzt an seinem Esstisch in der Küche und nimmt an einer Online-Vorlesung seiner Hochschule teil (Quelle: dpa/Kira Hofmann)
Bild: dpa/Kira Hofmann

Tim studiert im dritten Semester an der HU. Von innen hat er die aber noch nicht oft gesehen. Er befürchtet nun, dass sich dieser Zustand nicht so bald ändern wird. Und hat Sorge, dass die Jungen bald das Handtuch werfen in Sachen Solidarität. Ein Gesprächsprotokoll

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Tim ist Student. Er studiert im dritten Semester Biologie an der Humboldt-Universität. Er wohnt mit zwei weiteren Studenten in einer WG. Seine Uni hat er bisher kaum von innen gesehen. So geht es Tim:

Ich habe während Corona angefangen zu studieren. Wie oft ich seit Studienbeginn in der Uni war, kann man an einer Hand abzählen. Ich habe daher auch im ersten und zweiten Semester so gut wie niemanden kennengelernt. Ein oder zwei Leute flüchtig – aber niemanden, mit dem ich mich mal getroffen hätte.

Die Situation ist relativ bedrückend für mich. Auch, weil das jetzt laufende dritte Semester recht hoffnungsvoll gestartet ist, und nach zwei Wochen die wenigen Präsenzveranstaltungen, die wir hatten, wieder abgesagt wurden. Das heißt, das Studieren macht nicht nur nicht besonders viel Spaß - es ist eher eine Qual. Obwohl mir mein Fach grundsätzlich Spaß macht. Doch es fehlt einfach die soziale Komponente

Mein Leben findet in meinem WG-Zimmer an meinem Schreibtisch statt. In den ersten beiden Semestern war ich ja wirklich nur zuhause, weil auch die Bibliotheken geschlossen waren. Außerdem kannte ich niemanden, mit ich zusammen hätte lernen können. Mittlerweile sind die Bibliotheken ja immerhin auf und ich treffe mich ab und zu mit den drei oder vier Leuten, die ich im Herbst kennengelernt habe.

Das Studium selbst läuft zum größten Teil als Selbststudium. Es gibt, meist voraufgenommene, Videos – und manche Professoren laden auch einfach nur Skripte hoch. Das arbeitet man dann in seinem eigenen Tempo so durch.

Gott sei Dank bin ich nicht weggezogen für mein Studium. Ich hatte erst überlegt, in Hamburg zu studieren. Ich bin im Nachhinein sehr glücklich darüber, dass ich das nicht gemacht habe. Denn ohne meine Freunde von früher wäre ich sicher im ersten Jahr total vereinsamt. Ich bin allerdings froh, dass die Pandemie nicht kam, als ich Abi gemacht habe. Wenn ich sehe, was die Abiturienten alles verpasst haben, was ich nicht missen wollen würde in meinen Erinnerungen, dann tut mir das echt leid. Ich studiere ja immerhin. Ich kann in anderthalb Jahren fertig sein. Aber wirklich schön wars dann nicht.

Die meisten Menschen, die studiert haben, erinnern sich gern an die Zeit. Ich erinnere mich im Moment an noch gar nichts.

Wir dürfen also als Studenten in Kneipen gehen, aber uns nicht in die Uni setzen.

Tim, Student aus Berlin

Das Hauptproblem ist für mich wirklich, dass mein Studium, bei dem ich mit Elan dahinter sein wollte, mich frustriert. Denn so komplett allein und isoliert zu studieren, lässt einen mit seinen ganzen Problemen alleine dastehen. Bei Verständnisfragen beispielsweise bekommt man nie mit, ob es anderen ähnlich geht. Mir fehlt oft die Motivation.

 

Ich habe daher auch in den ersten beiden Semestern viel weniger gemacht, als ich hätte machen sollen. Ich hätte gern mehr hinbekommen, aber mir hat einfach die Struktur gefehlt. Und das, obwohl ich oft dagesessen und versucht habe, zu arbeiten. Aber wenn man eine Vorlesung immer wieder stoppen und was anderes machen kann, dann dauert eine Vorlesung oder ein Seminar, was normalerweise eine Stunde geht, vielleicht drei oder vier Stunden. Das heißt, die Tage waren super ineffizient.

 

Wenn 2G-Kneipen, 2G+-Clubs und Fußballstadien offen sind und die Uni trotzdem nicht in Präsenz stattfindet, und man es nicht mal versucht, frustriert mich das schon. Wir dürfen also als Studenten in Kneipen gehen, aber uns nicht in die Uni setzen. Das ist unverständlich. Wir würden ja mit Masken und Abstand sitzen. Oder uns auch testen können. Da verstehe ich die Priorisierung nicht. Es haben sich aber für mein Gefühl auch die Unis selbst nicht besonders darum bemüht. Denn es ist sehr viel gemütlicher und erleichtert die Planung, wenn man als Lehrender weiß, worauf man sich einstellen muss. Aber ich finde, nach fast zwei Jahren muss man doch irgendwann anfangen, auch wieder an die Studierenden zu denken.

 

Ich weiß nicht, wie viele Leute ihr Studium überhaupt durchziehen, wenn es jetzt noch ein Jahr so weitergeht. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, das Studium abzubrechen. Aber das Fach interessiert mich wirklich und es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir vorstellen kann, mich mit einem Thema lange zu beschäftigen. Und ich sehe auch keine Alternative.

Ich befürchte aber, gerade durch die Omikron-Variante, dass gar kein Ende in Sicht ist. Die Impfquote steigt ja auch nicht wesentlich. Und deshalb müssen wir jetzt wieder alle solidarisch sein. Meine Hoffnung ist wirklich, dass eine Impfpflicht kommt. Damit die Leute gezwungen werden, sich zu schützen.

Ich sehe uns junge Leute nicht mehr lange andere Menschen schützen. Aber davor habe ich auch Angst. Wenn die Jungen sagen, wir haben jetzt keine Lust mehr, haben wir ein richtiges Problem. Denn vieles hängt ja an dieser Solidarität, die wir alle immer noch leisten. Aber ich weiß nicht, wie oft sich dieser Zyklus wiederholen soll. Das macht mich wütend und enttäuscht mich. Es enttäuschen mich diejenigen, die sich nicht impfen lassen, aber auch die Politik. Wenn Leute sich schwertun, an gute Informationen über Impfungen zu kommen, ist das doch der Punkt, wo die Politik eingreifen muss. Und wenn es mit Angeboten nicht klappt, muss eben irgendwann der Zwang kommen. Zurzeit werden die Menschen, die solidarisch waren, weiter darum angehalten. Das finde ich nicht mehr fair.

Gesprächsprotokoll: Sabine Priess

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