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Quelle: dpa/Marijan Murat

Raumnot an den Schulen

Berlin und das fehlende Klassenzimmer

Tausende Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sollen in Berlin unterrichtet werden. Doch die Unterrichtsräume werden knapp. Abenteuerliche Lernorte, alte Kreidetafeln und viel Pragmatismus helfen, die Lücken zu füllen. Von Franziska Hoppen

Torsten Kühne (CDU), Schulstadtrat im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf, ist in diesen Tagen kaum ans Telefon zu kriegen. Ein Meeting jagt das nächste. Und oft geht es dabei um etwas, das nicht einmal real existiert: Schulplätze. Marzahn-Hellersdorf braucht dringend Platz für wahrscheinlich Hunderte Kinder und Jugendliche, die aus der Ukraine nach Berlin geflüchtet und schulpflichtig sind.

263 Schülerinnen und Schüler haben Kühne und sein Bezirk in den vergangenen Wochen in Schulen untergebracht, in Regelklassen und 16 neuen Willkommensklassen. Fünf davon passten schon nicht mehr in die Schulgebäude. Jugendclubs und Stadtteilzentren wurden umfunktioniert. "Wir sind räumlich wirklich ausgeknautscht", sagt Kühne dem rbb.

Zahl weiter gestiegen

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Unklar, wie viele Kinder noch kommen

Das Problem treibt auch in anderen Bezirken den Verantwortlichen die Schweißperlen auf die Stirn: In Pankow stehen 217 Kinder auf der Warteliste, in Charlottenburg-Wilmersdorf sind es 240, Mitte spricht von 700.

Und das ist noch nicht alles: Keiner weiß, wie viel mehr ukrainische Kinder und Jugendliche demnächst dazu kommen könnten. Ende Mai ist das ukrainische Schuljahr zu Ende. Denkbar ist, so Kühne, dass viele Kinder noch online am Schulunterricht in der Heimat teilnehmen und dass sich erst nach den Sommerferien im August zeigt, wie viele dann auf die deutsche Schule wechseln wollen. Denkbar ist auch, dass noch mehr Familien nach Berlin flüchten. Die Zahlen sind völlig unvorhersehbar.

Für die Bezirke heißt diese Ungewissheit: Klassenzimmer auf Vorrat bunkern. Wenn es sie denn gäbe. Heike Schmitt-Schmelz (SPD), Schulstadträtin für Charlottenburg-Wilmersdorf, sucht konkret 22 Räume. Im Gespräch sind Jugendclubs, Kirchen, Kunsteinrichtungen und Musikschulen, sagt sie dem rbb. Aber nicht jeder Raum, der leer ist, kann auch Klassenzimmer sein.

Genaue Vorgabe für Höhe und Länge der Räume

Die Räume müssen bestimmte Längen und Breiten haben, erzählt sie, bestimmte Höhen, ein gewisses Volumen pro Kind und Lehrer, zwei Fluchtwege. Brandschutzsicher sollen sie sein. So sieht es das Gesetz vor. Wurden die vier Wände bislang zu völlig anderen Zwecken genutzt, dürfte auch die Bau-und Wohnungsaufsicht ein Wörtchen mitzureden haben. Und selbst wenn ein Raum dann all diese Kriterien erfüllt, reicht das noch nicht, um dort Kinder zu unterrichten.

Pauken zwischen Klavieren und Flügeln

In der Musikschule Fanny Hensel in Mitte kommen demnächst 50 Kinder in drei Klassen unter. Die Schule also hat irgendwie den Platz, doch das Organisieren gestaltet sich knifflig: Klaviere und Flügel hin und herrücken, Computer-Zugänge und Schlüssel für die Neuen, extra Toiletten-Reinigung. "Die Kurzfristigkeit des Bedarfs ist sehr herausfordernd", räumt Leiterin Katharina Kaschny ein. Aber sie sagt auch: "Wir rücken zusammen." Gemeint ist das nicht nur wörtlich. "Die Situation ist im Fluss. Wir sind gerade alle im Reagieren."

Nicht so verständnisvoll sah das vor einigen Tagen noch Mittes Schulstadträtin Stefanie Remlinger (Grüne). "Notlösungen seien jetzt gefragt", so wird sie von der Zeitung "Neues Deutschland" zitiert. Liefern müsse diese Notlösungen aber die Senatsbildungsverwaltung, so Remlinger. Die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Katharina Günther-Wünsch, stellt in der Zeitung gar infrage, ob Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) ihrem Job gewachsen sei. Schließlich bräuchte es jetzt schnelle, unbürokratische Hilfe. Und auch Torsten Kühne in Marzahn-Hellersdorf findet: Die Senatsverwaltung übernehme derzeit nur koordinierende Tätigkeiten.

Landeseigene Immobilien sollen her

Kühne hat eine Liste: Er wünscht sich, dass die Bildungsverwaltung stärker landeseigene Immobilien prüft. Sie sollte schauen, ob zentral verwaltete Schulen wie Oberstufenzentren oder Berufsschulen mehr Platz haben. Und sie sollte die schnellere Anmietung von Räumen möglich machen, die nicht dem Bezirk gehören.

Ein Sprecher der Verwaltung betont auf Nachfrage, man unterstütze doch die Bezirke – und verweist auf regelmäßige Runden mit den Bezirksstadträten. Man sei auch durchaus im Austausch mit der Senatsfinanzverwaltung, um finanziell zu helfen. Eine Umnutzung von Landesimmobilien für schulische Zwecke sei in der Überlegung. Und in Berufsschulen seien ohnehin schon Willkommensklassen eingerichtet worden. Zum Stand dieser Gespräche und Überlegungen lässt der Sprecher jedoch wenig durchsickern. Die Berliner Immobilienmanagement GmbH bestätigt: Eine Liegenschaft in Neukölln etwa könnte womöglich Räume für Deutschkurse und Kunstunterricht bieten.

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Und wenn dann Klassenräume da sind, fehlt es an Lehrern

Vor allem betont die Bildungsverwaltung eben: Schulplätze sind Verantwortung der Bezirke – nicht der Berliner Verwaltung. In Anbetracht von deren Sorgen klingt Bildungssenatorin Busse fast beschwichtigend, als sie die Arbeit der Bezirke in der Plenarsitzung am Donnerstag deutlich lobt: Dort würde mit sehr viel Solidarität und Flexibilität nach Räumen gesucht - für mehr als 3.000 Kinder geschah das bislang erfolgreich.

Schulstadträtin Heike Schmitt-Schmelz sieht die Lage pragmatisch. Der Bedarf nach Klassenzimmern ist riesig, das Angebot klein. Dann setze man eben nicht die aller höchsten Standards an. Statt Whiteboards täten es zum Beispiel auch ausrangierte Kreidetafeln, die zahlreich in den Schulkellern ihres Bezirkes stünden. "Man muss da kreativ gucken. Einfach Ärmel hochkrempeln und loslegen."

Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht: 20 freie Klassenräume hätte Schmitt-Schmelzer theoretisch in Charlottenburg-Wilmersdorf. Doch fürs eigentliche Unterrichten fehlen dort auch die Lehrer.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.05.2022, 10:43 Uhr

Beitrag von Franziska Hoppen

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