Fragen und Antworten - Warum die Berliner Friedrichstraße vielleicht doch noch autofrei werden kann

Mi 26.10.22 | 18:58 Uhr | Von Franziska Hoppen
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Der für den Autoverkehr gesperrte Teil der Friedrichstraße in Berlin am 21.09.2022 (Quelle: dpa/Paul Zinken)
Audio: rbb24 Inforadio | 26.10.2022 | Franziska Hoppen | Bild: dpa/Paul Zinken

Die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts, die autofreie Friedrichstraße für rechtswidrig zu erklären, sorgt für Uneinigkeit zwischen Berlins Regierender Bürgermeisterin und der Verkehrssenatorin. Wer hat aber nun recht? Von Franziska Hoppen

Der Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts zur autofreien Friedrichstraße hat einen Streit im Berliner Senat ausgelöst. Das Gericht hatte die Teil-Sperrung der Straße am Montag als rechtswidrig eingestuft.

Daraufhin forderte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ihre Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) auf, die Straße sofort wieder für Autos freizugeben. Die hatte sich aber quer gestellt: Die Straße bleibe autofrei. Sie sei sich nicht sicher, ob Giffey das Urteil richtig verstanden habe. Laut der Grünen-Politikerin geht es nur um die Zeitspanne zwischen dem Ende des Verkehrsversuchs und dem Ende des Verfahrens, mit dem die Friedrichstraße Fußgängerzone werden soll.

Was ist die rechtliche Grundlage?

Was auf Straßen passiert, regelt das Straßenverkehrsrecht. Dies legt fest, das Autos von einer Straße nur verbannt werden können, wenn es dort für Menschen zu gefährlich ist, zum Beispiel durch zu viel Lärm, zu viel Feinstaub oder durch ein großes Schlagloch in der Straße. Diese Gefahren müssen nachgewiesen werden, wie das Gesetz deutschlandweit regelt.

Wie sieht die rechtliche Lage im Fall der Friedrichstraße aus?

In Berlin hat sich die Senatsverwaltung für Verkehr über das Straßenverkehrsrecht - grob gesagt - hinweggesetzt. Mitte 2020 ordnete sie einen Verkehrsversuch in der Friedrichstraße an. Von der Französischen Straße bis zur Leipziger Straße wurden 500 Meter für Autos gesperrt. Um eine Gefahr ging es dabei aber nie. Die Friedrichstraße sollte attraktiver werden und auch nach Ende des Versuchs im Oktober 2021, blieb die Straße für Autos gesperrt, ohne dass eine Gefahr als Grund angegeben wurde.

Worauf basiert der Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts?

Genau diese Sachlage hat das Verwaltungsgericht nun als Grundlage für seinen Beschluss genommen. Vermutlich wären die Richter auch 2020 schon zu diesem Ergebnis gekommen, hätte sich schon damals jemand beschwert. Es hatte hat aber niemand ein Beschwerde eingebracht.

Die Autos müssen nun also - rein rechtlich - wieder die Straße befahren können. In diesem Punkt hat Berlins Regierende Franziska Giffey (SPD) also recht. Die Senatsverwaltung für Verkehr kann allerdings Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einreichen. Für die Dauer der Bearbeitung bliebe die Straße dann weiterhin für Autos gesperrt. Damit könnte die Verkehrsverwaltung Zeit gewinnen.

Kann die Friedrichstraße trotzdem noch autofrei werden?

Die Verkehrsverwaltung hat bereits eine sogenannte Teileinziehung des aktuell gesperrten Abschnitts der Friedrichstraße beantragt. Dies bedeutet, dass dieser Abschnitt als öffentliche Straße entwidmet werden soll. Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsprozess. In diesem Fall entscheidet die Berliner Verwaltung und nicht ein Gericht. Ist dies geschehen, kann die Straße problemlos autofrei werden. Das wäre auch mit dem Straßenrecht vereinbar.

Kann dagegen Widerspruch eingelegt werden?

Es kann Widerspruch eingelegt werden. Die Händler haben bereits signalisiert, dass sie genau das tun werden. Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) hat also Unrecht, wenn sie sagt, die Friedrichstraße wird definitiv autofrei bleiben. Sie könnte demnächst wieder autofrei werden, je nachdem, wie das Verwaltungsverfahren zur Umwidmung ausgeht. Wann die Entscheidung kommt, ist noch unklar. Und bis dahin gilt, was das Gericht sagt, das Straßenverkehrsrecht hat Recht

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.10.2022, 16:10 Uhr

Beitrag von Franziska Hoppen

82 Kommentare

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  1. 82.

    "Ich kann es aber erkennen. " ... " Fragen und Antworten Warum die Berliner Friedrichstraße vielleicht doch noch autofrei werden kann " Ich kann da nichts tendenziöses erkennen. Also liegt es an ihnen.

    Eventuell sollten sie sich mal den Abschnitt "Kann die Friedrichstraße trotzdem noch autofrei werden?" durchlesen?

    "Außerdem stört mich, dass so getan wird, als ob eine Mehrheit in Berlin den Kurs der Verkehrssenatorin unterstützt. Ich bezweifle genau das. " Wie gesagt, das liegt an ihnen.

    Sie behaupten ja auch dass das "Gefährdungspotenzial für Fußgänger deutlich höher geworden " wäre obwohl dem nachweislich nicht so ist.

    "Außerdem stört mich, dass so getan wird, als ob eine Mehrheit in Berlin den Kurs der Verkehrssenatorin unterstützt."

    Auch da irren sie sich. Wer sonst hat die Grünen mit 18,1 % gewählt? Die neuesten Umfragewerte sagen 19 % und damit zweitstärkste Partei. Offensichtlich sind sie nicht objektiv.

  2. 81.

    Ich kann es aber erkennen.
    Die Artikelüberschrift ist tendenziös. Der Senat sollte zuerst mal vor allem Respekt vor den Entscheidungen des Gerichts haben.
    Immerhin haben wir in Deutschland eine Gewaltenteilung.
    Wenn der rbb heute schreibt, dass diese Entscheidung unter bestimmten Bedingungen ausgehebelt werden kann, zeugt das meiner Meinung nach von einer unangenehmen Nähe zu den Regierenden und von einem Mangel an Neutralität.
    Außerdem stört mich, dass so getan wird, als ob eine Mehrheit in Berlin den Kurs der Verkehrssenatorin unterstützt. Ich bezweifle genau das.

  3. 80.

    "Aber ich empfinde es genau so, dass das Gefährdungspotenzial für Fußgänger deutlich höher geworden ist, seit dem kein Autoverkehr mehr stattfindet. "

    Das ist halt der Unterschied zwischen subjektiven Empfinden und Realität. Wäre dem so müßte sich das ja in der Verkehrsunfallstatistik widerspiegeln.

    "Fußgänger haben 17% Ihrer Verkehrsunfälle mit Radfahrern (1 von 5) und 76% ihrer Verkehrsunfälle mit Kraftfahrern (4 von 5).

    Die Unfälle zwischen Kraftfahrern und Fußgängern sind zu etwa 50% durch Fußgänger verursacht (jeder 2.). Auch Unfälle zwischen Radfahrern und Fußgängern sind zu etwa 50% von Fußgängern verursacht (ebenfalls jeder 2.).

    Radfahrer auf Gehwegen verursachen 3% der Fußgängerunfälle (jeder 33.) und für 1% der Fußgängerunfälle sind Radfahrer im Bereich von Haltestellen des ÖPNV verantwortlich (jeder 100.)."

  4. 79.

    "Die Artikelüberschrift des rbb suggeriert, dass sich mindestens halb Berlin nichts sehnlicher wünscht, als eine weitere Sperrung der Friedrichstraße für den Autoverkehr. "

    Ich kann nichts derartiges erkennen obwohl die Mehrheit der Berliner kein eigenes Auto besitzt.

  5. 78.

    "Ohne Autos wenig Kunden. Sollen die Geschäfte dort platt gemacht werden damit die Radfahrer dort Rasen können?"

    Zweimal Unsinn. Radfahrer geben mehr Geld aus als gehetzte Autofahrer, wissenschaftlich erwiesen.

    "In der Studie der University College London's Bartlett School of Planning wurde erkenntlich: Radfahrer und Fußgänger geben monatlich 40% mehr Geld in Nachbarschaftsläden aus als Autofahrer. Durchgeführt wurde die Studie in jenen Londoner Vierteln, die in den letzten 10 Jahren von Straßenausbesserungen bei Fahrrad- und Fußwegen profitieren konnten, durch Maßnahmen wie durchgängige Radwege, großzügige Fußgängerzonen mit Sitzmöglichkeiten und Fahrradabstellanlagen.

    Die Auswertung zeigt: In fußgänger- und fahrradfreundlichen Straßen halten sich Menschen häufiger auf, mit einem Anstieg von 216% bei Aktivitäten wie Spazieren, Essen gehen oder dem Tätigen von Einkäufen."

    "Für Fußgänger ist es oft gefährlich." Ein weiteres Märchen.

  6. 77.

    Die Artikelüberschrift des rbb suggeriert, dass sich mindestens halb Berlin nichts sehnlicher wünscht, als eine weitere Sperrung der Friedrichstraße für den Autoverkehr.
    Wie kommt man beim rbb darauf?

  7. 76.

    Ich bin genau so oft in der Friedrichstraße unterwegs, nicht mit dem Rad, sondern zu Fuß. Aber ich empfinde es genau so, dass das Gefährdungspotenzial für Fußgänger deutlich höher geworden ist, seit dem kein Autoverkehr mehr stattfindet. Schlimm sind auch die Nebenstraßen, wenn sie von Lieferfahrzeugen dicht zugeparkt sind und Radfahrer sich ihren Weg zwischen diesen parkenden Fahrzeugen suchen, die kann man in dieser Situation kaum sehen. Bleibt abzuwarten, wie es weitergeht, ich befürchte aber nach evtl. Freigabe für den Autoverkehr oder auch der Einrichtung der Charlottenstraße als Fahrradstraße, wieder deutlich mehr Radfahrer auf den Gehwegen in der Friedrichstraße , dies nun wiederum hatte sich nach anfänglichen Problemen gelegt, zumindest tagsüber. Nachts ist die Friedrichstraße eine Geisterstraße, in der man nicht allein unterwegs sein sollte. Im Sommer auch gern mal Partymeile, so mit allen Hinterlassenschaften, die man sich vorstellen kann.

  8. 75.

    Das Urteil macht zugleich auch deutlich, wie die StVO immer noch nahezu ausschließlich eine Autoverkehrsordnung geblieben ist, währenddessen alle anderen Verkehrsarten, die es erkenntlich und sichtbar ja auch noch gibt, eher im Nebensächlichen erwähnt werden - v. a. bei den Sicherheitsaspekten, bspw., dass Vorfahrt nicht erzwungen werden darf.

    Die StVO restlich angewandt, müsste jedenfalls das Zuparken innerh. der Kreuzungsbereiche schon vor Jz. sein Ende gefunden haben. § 12(3)1 StVO legt fest, dass in einem 5 Meter-Bereich von den Schnittkanten weg nicht geparkt werden darf - dies aus Gründen der Übersicht, aber auch, dass über Einmündungen hinweg faktisch ein unsichtbarer Gehweg verläuft. Die Praxis innerhalb des S-Bahn-Ringes sieht vollkommen aus. Dergleichen die faktische Rechtswidrigkeit, dass in Zwei-Richtungs-Straßen beidseitiges Abstellen erlaubt wird, obwohl ein Begegnungsverkehr genau dadurch erschwert, ggf. sogar verunmöglicht wird.

    Wer das Fass aufmacht ...

  9. 74.

    @ Blackphönix, stimmt doch aber. Im Urteil geht es nunmal nur(!) Um die derzeitige Situation zwischen Versuchszeit und eventueller Umwidmung.

  10. 73.

    Was hat der Brenner Nordzulauf mit Deutscland und deren Autobahnplanung zu tun?
    Rein gar nichts, da dieses Projekt nur Italien und Österreich betrifft, außerdem geht es hierbei um 64km langen Eisenbahntunnel, der 2030 fertiggestellt werden soll, und deren Fertigstellung sich wohl verzögert, nachvollziehbar bei den Gegebenheiten der Natur vor Ort.

  11. 72.

    Meine Aussage bezog sich darauf, dass Anfang der 90er Jahre die Friedrichstraße als östliches Pendant zum Kurfürstendamm gehandelt wurde. Dass sich das nicht bewahrheitet hat, weiß ich auch. Die einfallslose Architektur hat sicher ihren Anteil am Abstieg der Friedrichstraße.
    Das Autofahrverbot hat diese Entwicklung aber definitiv verstärkt. Schlimm auch, dass der Senat wieder einmal juristisch nicht abgesichert agiert. Wie schon beim Mietendeckel.

  12. 71.

    Ich stimme Ihnen sehr wohl zu:
    Prachtvoll ist an der Friedrichstraße so gut wie nichts. Vor allem die Neubauarchitektur - Quartier 205 - zehrt zu Unrecht vom vorherigen Ruf hochwertiger Gestaltung. Die Fußgängerzone incl. eines geschwindigkeitseingehegten Radweges wäre ein zaghafter Versuch, aus einer Allerwelts-Architektur zumindest in Ansätzen eine urbane Straße zu machen.

  13. 70.

    "Ist es für eine repräsentative Umfrage unter den Anrainern schon zu spät?"

    Wurden die Anrainer von TXL gefragt? Nein, man hat ganz Berlin gefragt ob TXL offen bleiben solle und davon waren 10.000 de betroffen. Geklagt hat btw. kein Anrainer, sondern eine Geschäftsfrau. Die logischerweise ein völlig anderes Interesse hat wie jemand der dort wohnt.

  14. 69.

    Ob ein Oberverwaltungsgericht gegen die vom Bezirk Mitte angestrebte Entwidmung der 500m-Teilstrecke der Friedrichstraße urteilen kann, ist zweifelhaft. Wenn der Bezirk sein Entwidmungsverfahren durchzieht, könnte diese Teilstrecke schon im kommenden Januar auf legale Weise „autofrei“ sein. Die Chance, die von dem Verfahren betroffenen Anrainer per Umfrage zu Beteiligten des Verfahrens zu machen, wäre vertan.

    Ist es für eine repräsentative Umfrage unter den Anrainern schon zu spät?

  15. 68.

    Danke dem RBB.

    Im Prinzip ist das mit anderen Worten dasselbe, was bisher auch schon von Einzelnen (u. a. auch von mir) geschrieben wurde: Selbstverständlich ist es Teil der politischen Gestaltung, Straßen umzuwidmen. Keine einzige der ausgewiesenen Fußgängerzonen in Deutschland oder anderswo sind aus verkehrstechnischen Gründen umgewidmet worden, vielmehr aus stadtgestalterischen Gründen.

    Davon war auch der Versuch in der Friedrichstraße geprägt. Jetzt geht es darum, die Zeit zwischen dem Auslaufen des Versuchs und eben dieser neuen künftigen Straßengestaltung zu überbrücken, wobei das Nachvollziehbare gerade darin liegt, den bisherigen Zustand beizuhalten, anstatt durch eine rein formale Beseitigung der Autoverkehrssperrung ein Hin und Her zu provozieren.

    Das Hin & Her hätte allein die Klägerin verursacht - ansonsten eben schon im Vorgriff eine Umwidmung passieren muss, um dem zu entgehen.

  16. 67.

    Die Friedrichstraße ist breit genug für Autoverkehr, Radfahrer und Fußgänger. Ohne Autoverkehr wirkt es dort aber nun leider ganz schön langweilig. Sowohl Berliner als auch Touristen möchten eine lebhafte Stadt genießen, sonst kann man auch gleich nach Pusemuckel ziehen.

  17. 66.

    Nennen Sie die Friedrichstraße tatsächlich "Prachtboulevard"? Du liebe Güte ... XD
    Die Karl-Marx-Allee ist tatsächlich einer, aber doch nicht dieses schmale Ungetüm mit den überwiegend austauschbaren 1990er Glas-und-Stahl-Fassaden. Übrigens ein Wunder, daß Fußgängerzonen wie die Wilmersdorfer Straße sich so erfolgreich als Geschäftsstraße halten können - glaubt man einigen Kommentatoren hier, müßte dort alles ausgestorben und pleite sein. Sollten Fußgänger etwa doch auch Käufer sein können? Und gar in der Lage, viel Geld auszugeben?

  18. 65.

    Die Grünen lieben doch so Volksentscheide. Warum wird nicht wieder einer gemacht : Autos gesperrt , Fahrräder ohne beachten der Verkehrsregeln willkommen, Fußgänger geduldet ! Wer ist dafür, wer dagegen ?

  19. 64.

    Der Artikel enthält Fehler. Für einen Verkehrsversuch muss keine Gefahrvorliegen, es reicht, "die Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen." (§ 45 StVO, Abs. 1 Satz 2 Nr. 6). Damit hat sich Berlin nicht über das Straßenverkehrsrecht hinweggesetzt, sondern es angewendet. Zum Problem wurde es, dass nach dem Ende des Verkehrsversuchs die Flächen noch nicht eingezogen waren bzw. keine Gefahrenlage begründet wurde.

  20. 63.

    Sie unterschätzen die Lobbyarbeit der Autohersteller. Ich rede hier nicht von Werbung, sondern davon wie Geld für Infrastruktur ausgegeben wird. Was meinen Sie denn, warum es möglich ist die A100 gegen den Willen der Landespolitik weiterzubauen und dafür Wohnhäuser abzureißen, aber zum Beispiel der Brenner Nordzulauf seit Jahrzehnten in Planung sind aber nicht fertig werden?

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