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Video: rbb24 Abendschau | 01.02.2023 | Iris Völlnagel | Quelle: rbb

Wahlkampf mit Kai Wegner

Kandidat zwischen Glühwein und Currywurst

Die Berliner CDU erfährt so viel Zuspruch wie seit Jahren nicht. Auf Plakaten verspricht sie "Klartext"-Politik, in Umfragen liegt sie vorn – und Parteichef Wegner hofft unverdrossen auf eine Koalitionsoption, die immer weniger realistisch erscheint. Von Thorsten Gabriel

Dieser Text ist Teil einer Reihe von Reportagen, welche die Spitzenkandidat:innen der sechs im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien im Wahlkampf begleiten.

An der Ulmenstraße in Kaulsdorf entsteigt Kai Wegner dem Fond seiner schwarzen E-Limousine und begibt sich in Kälte und Dunkelheit. Es ist so kalt, dass der Atem Dunstwolken in die Luft malt, und so dunkel, dass man zweimal hinsehen muss, um die Szenerie zu erkennen: Unweit des Autos haben sich ein paar Dutzend Menschen um eine Art mobile Würstchenbude versammelt, die schummrig beleuchtet ist. Das soll Wahlkampf sein? Fast wirkt es ein bisschen konspirativ. Wahlkampf undercover.

"Das riecht ja gut", stellt der CDU-Spitzenkandidat fest und folgt seiner Nase in Richtung Bude. Würstchen gibt es hier nicht, dafür aber kostenlose Heißgetränke. "Liebe Kaulsdorfer", wendet sich eine Frau mittleren Alters an rund 40 Anwohnerinnen und Anwohner, die allesamt schon mit Bechern versorgt sind. "Ich freue mich sehr, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind und heute hier am Glühweinstand stehen!"

Video | Berlin-Wahl: CDU

Ihr Plan für Berlin, Herr Wegner?

Alle Spitzenkandidat:innen finden Sie hier.

Lila schimmert der Glühweinstand

Die Frau, die da spricht, ist Katharina Günther-Wünsch. Sie ist die direkt gewählte Abgeordnete für den Wahlkreis Mahlsdorf/Kaulsdorf-Süd. Vor ihr schrieb ihr Parteifreund Mario Czaja hier schon Geschichte. Der ist mittlerweile Generalsekretär der Bundes-CDU und hat seiner Partei immer wieder vorgeführt, wie man auch als CDU-Gewächs im linksgeprägten Berliner Osten Wahlen gewinnen kann.

Wegner weiß um diese Geschichtsträchtigkeit des Bodens, auf dem er hier steht und friert. Dass es noch immer besonderes Terrain ist, kann er am Glühweinstand ablesen. Der ist zwar gut mit Wahlwerbung bestückt, aber ein CDU-Logo erblickt man allenfalls beim zweiten Hinsehen. Auch die für diesen Wahlkampf von der Landes-CDU auserkorene Werbe-Farbe Türkis sucht man vergebens: Lila dominiert die Fahnen und Flyer, lila schimmert der Glühweinstand.

Alle Wahlkampf-Reportagen

Spitzenkandidaten im Wahlkampf

rbb-Reporter begleiten die Spitzenkandidaten von SPD, Grünen, CDU, Linken, AfD und FDP.

SPD

Wahlkampf mit Franziska Giffey

Mit Amt, aber ohne Bonus?

In den Umfragen steht die Berliner SPD knapp zwei Wochen vor der Wahl-Wiederholung auf dem dritten Platz. CDU und Grüne reklamieren das Rote Rathaus offensiv für sich. Doch Franziska Giffey kämpft auf ihre Art gegen den drohenden Machtverlust. Von Jan Menzel

Grüne

CDU

Linke

Wahlkampf mit Klaus Lederer

Der dienstälteste Junior Berlins

Noch einmal führt Klaus Lederer die Berliner Linken in einen Wahlkampf. Das Ziel ist klar: Weiter mit SPD und Grünen regieren, trotz der zuletzt ziemlich miesen Stimmung in der Koalition. Die Themen der Linken sind altbekannt – die Probleme auch. Von Sebastian Schöbel

AfD

FDP

Wegner ist Parteimissionar durch und durch

Die Legende besagt, Mario Czaja habe einst die Probe aufs Exempel gemacht und auf einer Straßenseite Wahlplakate mit und auf der anderen ohne CDU-Logo geklebt. Man rate, wo es am Ende mehr Stimmen gab. Hier gewinnt die CDU, weil ihre Kandidatinnen und Kandidaten stets für sich kämpfen und für sich gewinnen. Ihre Partei nehmen sie nur im Schlepptau mit aufs Siegertreppchen. Das Erfolgsrezept der CDU in Marzahn-Hellersdorf lautet: sich kümmern um die ortsnahen Themen, aber die eigene Partei dabei eher vernuscheln.

Das ist ungefähr das Gegenteil dessen, wie Wegner mit seiner Union umgeht. Er ist Parteimissionar durch und durch. Die CDU ist sein Leben, seine Welt, von Schülerzeiten an. Und deswegen fühlt es sich für ihn auch nicht falsch an, als er den Leuten in Kaulsdorf zuruft: "Wer einen Wechsel in dieser Stadt will, der muss mit allen Stimmen die CDU wählen!" Solche Ansprachen voll auf die Zwölf sind sie hier vom hiesigen Bodenpersonal der Partei nicht gewohnt.

Analyse | BerlinTrend

Kai Wegner - ein König ohne Land?

Vor allem die Silvesternacht in Berlin hatte einen deutlichen Einfluss auf die aktuellen Umfragewerte der Berliner Parteien. Profitieren konnte vor allem die CDU. Gleichwohl düfte der BerlinTrend allen Beteiligten zu Denken geben. Von Sabine Müller

Grundsteuerreform statt Hundekot und Verkehrslärm

"Ich hatte gehofft, dass es um Kiezprobleme geht", sagt hinterher eine Anwohnerin. Sie kämpfe seit Jahren erfolglos dafür, dass in der Gegend Hundekotboxen aufgestellt werden. Eine andere sagt, sie wohne mit ihrer Familie ein paar Ecken weiter an einer extrem lauten Straße. "Das Geschirr scheppert in den Schränken. Wir hatten gehofft, dass wir das mal ansprechen können, aber das war hier mehr eine Wahlkampfveranstaltung."

In der Tat spielen weder Hundekotboxen noch Verkehrslärm an diesem Abend eine Rolle. Dafür ein größeres Thema, das die Hausbesitzer hier umtreibt: die Grundsteuerreform – oder konkret: das Berechnungsmodell, für das sich das Bundesland Berlin entschieden hat. "Diese Grundsteuer, so, wie sie der aktuelle Senat plant, ist mit mir nicht zu machen", wettert Wegner. Das Modell "bestraft die Menschen in den Außenbezirken, insbesondere im Ostteil der Stadt." Wer wolle, dass sich daran etwas ändert, müsse – tada! – CDU wählen.

"CDU ist doch gleich Grün gleich SPD", ruft ein älterer Mann

Wie dünn das Eis hier an einigen Stellen für die Union ist, zeigt sich, als Wegner bekundet, dass für ihn nach der Wahl eine Koalition mit der AfD nicht infrage kommt. "Falsch!", ruft ein älterer Mann. Man dürfe die AfD nicht ausschließen, das sei nicht demokratisch. Wegner versucht zu argumentieren, doch der Mann fährt fort: "Wir haben keine Demokratie mehr! CDU ist doch gleich Grün gleich SPD! Das ist doch alles dasselbe!" Er wähle diesmal die AfD.

Wegner nimmt es gelassen. Für ihn gibt es am Ende Applaus. Die Anwohnerin, die gern über Hundekotboxen gesprochen hätte, ist von Wegner angetan. "Ich finde ihn wirklich gut. Der spricht offen das aus, was Fakt ist", sagt sie. Die andere Frau mit dem scheppernden Geschirr zeigt sich zurückhaltender, obwohl ihr Mann CDU-Mitglied ist. Kann sie sich Wegner als Regierenden Bürgermeister vorstellen? "Vorstellen kann man sich immer viel – ich auch", sagt sie vieldeutig und lacht.

BerlinTrend | Umfrage zur Wahlwiederholung

CDU liegt vorn - grün-rot-rotes Bündnis hätte Mehrheit

Die CDU kann in der Berliner Wählergunst weiter Boden gut machen und liegt an der Spitze der Parteien. Für das amtierende Regierungsbündnis würde es trotzdem reichen, wenn auch unter anderer Führung, wie aus dem aktuellen BerlinTrend hervorgeht.

Wegner ist gern von Parteifreunden umzingelt

Wie schon 2021 sind Auftritte wie diese rar im Kalender des Spitzenkandidaten, Termine, bei denen er ungeschützt mit dem Wahlvolk ins Gespräch kommt. Unter der Überschrift "Straßenwahlkampf" trifft Wegner häufig auf Fangruppen aus der eigenen Partei – wie anderthalb Tage später, an einem Sonntagnachmittag auf dem Wittenbergplatz in Schöneberg. Mitten im Herzen des alten West-Berlins ist er von Parteifreunden umzingelt, die im Rudel erschienen sind.

An Stehtischen liegen Wahlflyer im offiziellen Parteidesign aus und viele tragen CDU-Merchandise: türkisfarbene Schals und Mützen. Wegner posiert für Gruppenbilder und Selfies mit Leuten, die seine Nähe suchen – und die des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther, den er mitgebracht hat. Wieder Wahlkampf an einer Bude, diesmal an einer, die auch sonst hier steht. "Geile Idee, das mit der Currywurst", sagt Günther, als ihm eine Schale mit Wurst und Pommes gereicht wird.

Wegners Wunschkoalition scheint wenig wahrscheinlich

Günther führt eine schwarz-grüne Koalition an. Es ist eine Regierungs-Kombi, für die Wegner große Sympathie hegt, auch wenn es scheint, als drifteten beide Parteien mit jedem Tag, den die Wahl näher rückt, ein Stück weiter auseinander. Wahrscheinlicher wäre da noch eine Koalition mit SPD und FDP. Auf die allerdings, so munkelt man, hat der CDU-Chef keine große Lust.

Günther wünscht Wegner viel Glück für den 12. Februar – um sich dann allerdings die Spitze zu gönnen, man möge es mit dem Erfolg in Berlin aber nicht übertreiben: "Nicht zu viel Gas geben. Ich will schon noch weiter das beste Wahlergebnis für die CDU in Deutschland haben", sagt er und schiebt die konkrete Zahl nach: "43,4 Prozent im letzten Jahr." Demütigung durch Zuneigung. Die Berliner CDU bringt es in Umfragen derzeit auf 23 Prozent.

Beitrag von Thorsten Gabriel

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