Interview | Union-Präsident Dirk Zingler - "Es war für mich unvorstellbar, Präsident meines eigenen Klubs zu werden"

Mo 24.10.22 | 06:17 Uhr
  7
Union-Präsident Dirk Zingler (Quelle: IMAGO/Matthias Koch)
Video: rbb24 | 25.10.2022 | Dietmar Teige | Bild: IMAGO/Matthias Koch

Seit 2004 ist Dirk Zingler Präsident des 1. FC Union Berlin. Welche Rolle dabei sein Opa spielt und welche für ihn die wichtigste Entscheidung in seiner Zeit im Verein war, erzählt Zingler in einer neuen rbb-Dokumentation.

Unser Verein: "Eisern Union!" sehen Sie am Dienstag um 20:15 Uhr im rbb Fernsehen.

Fußball-Bundesligist Union Berlin befindet sich sportlich derzeit im Höhenflug - doch der Weg dahin war lang und von vielen Aufs und Abs geprägt. Die Geschichte des Vereins zeigt das rbb Fernsehen am Dienstag um 20:15 Uhr. Für die Dokumentation 'Unser Verein: "Eisern Union!"' hat rbb|24 unter anderem mit Präsident Dirk Zingler gesprochen. Der 58-Jährige verfolgt den Verein seit seiner Kindheit und hat ihn in den letzten 20 Jahren mitgeprägt. Ein persönliches Gespräch über sein Leben mit dem 1. FC Union Berlin.

rbb|24: Herr Zingler, Ihr Weg zum 1. FC Union Berlin hat etwas mit Ihrem Großvater zu tun. Wie sind Sie zum Verein gekommen?

Dirk Zingler: Wir sind eine typische Berliner Familie, die sich geteilt hat, als die Mauer gebaut wurde. Die Familie meiner Mutter lebte im Wedding, die meines Vaters in Friedrichshain. Dadurch war der eine Teil Herthaner und der andere Unioner - über viele, viele Jahre, bis die Mauer fiel.

Ich wuchs bei meinem Großvater auf, der in Zeuthen in Wildau lebte und immer zu Union gegangen ist. Und der war auch im hohen Alter noch gewerkschaftlich organisiert und hat sich für Menschen eingesetzt. Damals in den 1960er Jahren hat er Union von Anfang an begleitet. Der Klub ist auch mit Unterstützung der Gewerkschaft entstanden.

Ich habe früher die Ferien immer bei meinen Großeltern verbracht, also war Fußball angesagt. Damals waren auch die Angebote nicht so groß. Du bist rausgegangen und mit deinen Kumpels auf der Straße gewesen. Eichwalde war nicht weit weg von Köpenick, also war Union unser Bezugspunkt. Damals war samstags noch Schule und es gab öfter mal Ärger, weil wir die Schule gegen Union getauscht haben.

Ich bin also ganz klassisch Union-Fan geworden, wobei mich als kleiner Junge Fußball noch gar nicht interessiert hat, sondern eher das Erlebnis im Stadion, also die Menschen, die so um einen herum standen. Das war schon grob, weil es laut war und wild, wenn du da als 10- oder 12-Jähriger warst und um dich herum alle brüllten. Das erlebtest du nicht auf der Straße oder in der S-Bahn, sondern nur im Fußballstadion. Das hat mich schon begeistert.

Am 27.01.1990 treffen Hertha und Union zu einem Freundschaftsspiel aufeinander.Fans von Hertha BSC und Union Berlin feiern gemeinsam bei einem Freundschaftsspiel im Olympiastadion.

Sie haben es schon gesagt: Die Hälfte Ihrer Familie begeisterte sich für Hertha BSC. Im Januar 1990 gab es ein Freundschaftsspiel zwischen Hertha BSC und Union Berlin. Waren Sie auch dort?

Ja, da war ich auch. Das war alles ganz schön verrückt. Als die Mauer fiel, sind wir am nächsten Tag gleich rüber zu meinen Großeltern, die im Wedding wohnten. Meine beiden Onkel sind zu jedem Spiel von Hertha BSC gefahren. Die haben dann Karten besorgt und gemeinsam mit meinem Bruder waren wir im Olympiastadion. Damals war es noch das alte Olympiastadion, aber diese Größe, das hat beeindruckt. Aber ich muss sagen, dass es dann relativ schnell auch wieder abflachte. Mich hat eher das Stadion beeindruckt als Hertha BSC. Bei dem Rückspiel was hier stattfand, da kam dann nur noch ein Bruchteil von denen, die ins Olympiastadion gegangen sind.

Zur Person

Dirk Zingler

wurde am 23.08.1964 in Königs Wusterhausen geboren.

Er absolvierte eine Ausbildung zum Instandhaltungsmechaniker.

Er ist Geschäftsführer eines Logistik-Unternehmens.

Seit dem 1. Juli 2004 ist er Präsident des 1. FC Union.

Sie waren zu dem Zeitpunkt und auch schon über die Wendezeit Betriebsrat. Wie haben Sie den Umbruch erlebt? Sie waren jetzt nicht in Oberschöneweide in einem der Industriebetriebe, aber Sie waren in einer Branche, die auch einen harten Schnitt gemacht hat.

Opa war immer Vorbild für mich und deshalb war für mich eigentlich klar, dass ich mich auch für Menschen einsetze und versuche, Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern. Und das habe ich gemacht, auch in der DDR 1988/89 als die Mauer fiel. Das haben die Menschen bei mir im Betrieb auch ein Stück weit honoriert. Gleich Anfang der 1990er Jahre bin ich in der ersten freien Betriebsratswahl gewählt worden, das war im Wohnungsbau-Kombinat. Das war ein Betrieb mit 12.000 Menschen. Dann war ich relativ schnell auch Konzernbetriebsrat, hatte vier oder fünf hauptamtliche Betriebsräte und eine eigene Sekretärin. Ich war noch ganz schön jung und habe relativ früh Verantwortung übernehmen müssen.

Und dann passierte das bei uns, was in allen Betrieben auch passierte: Wir entließen Menschen und schlossen Fabriken. Aus 12.000 wurden dann irgendwann nur noch 3.000 Mann. Auf diesem Weg habe ich viele tolle Menschen kennengelernt und einer dieser Menschen sagte zu mir: 'Dirk, wenn du wirklich etwas für Arbeitnehmer tun willst, verteidige nicht Arbeitsplätze, die kaum zu halten sind, sondern schaffen neue, werde Unternehmer.' Das fand ich ganz schön cool und weil ich schon immer gerne etwas gestaltet habe und einen Tick weit auch als Unternehmer geboren wurde, habe ich dann mein Amt als Konzernbetriebsrat am 1. März 1991 aufgegeben.

Ich bin dann in die freie Wirtschaft gewechselt und in diesem Betrieb bin ich heute immer noch und heute gehört er mir. Heute haben wir 350 Mitarbeiter. Dort ist genau das eingetreten: Ich habe Arbeitsplätze geschaffen und heute arbeiten meine Kinder im Betrieb und es ist wirklich ein Familienbetrieb. Deshalb passt es auch gut zu Union, denn wir führen Union auch als Familienunternehmen.

Wie haben Sie denn in dieser Zeit den Verein wahrgenommen? Anfang der 1990er Jahre war es für Union ja eine schwierige Zeit.

Bis 1992/93 kämpften wir und wollten noch reinrutschen in den Profi-Fußball, haben es dann aber nicht geschafft. Dann fing für mich auch die schwierigste Zeit für den Klub an, weil ich im Grunde genommen das Unternehmen aufgebaut habe, meine Kinder zur Welt kamen und ich mein erstes Haus baute. Union spielte dann ab 1993 bestimmt fünf oder sechs Jahre nicht mehr die große Rolle. Ich ging zu den Spielen, aber primär waren der Aufbau und die Entwicklung der eigenen Familie und auch der Firma.

Union-Präsident Dirk Zingler bei seiner Vorstellung 2004 (Quelle: imago images/Contrast)
Dirk Zingler am 1. Juli 2004 bei seinem Amtsantritt als Union-Präsident. | Bild: imago images/Contrast

Den Einstieg von Michael Kölmel (Investor, der Union vor der Insolvenz rettete; Anm. d. Red.) Ende der 1990er Jahre und das Pokalfinale 2001 habe ich als Fan miterlebt. Ich habe mich eigentlich nie für den Klub an sich und dafür, wie er funktioniert, interessiert. Nach dem Pokalfinale fingen die Unruhen im Verein nochmal stärker an. Heiner Bertram wurde vom Aufsichtsrat nicht mehr in das Amt des Präsidenten berufen.

2003 habe ich dann hier im Klub ein paar Unternehmer zusammengenommen und gefragt, ob wir nicht versuchen wollen, aus dem Klub ein vernünftig arbeitendes und denkendes Unternehmen zu machen. Daraufhin haben sich ein paar Unternehmen gefunden und wir haben 2003 den Wirtschaftsrat gegründet.

Dann wurde ich gefragt - und es war für mich eigentlich unvorstellbar, Präsident meines eigenen Klubs zu werden, mit dem ich als Fan mein Leben verbracht habe. Das ist nicht so typisch. Ich habe dann versucht, das als Unternehmer zu entscheiden und seit dem 1. Juli 2004 bin ich Präsident.

Ich glaube, das war die wichtigste Entscheidung in den letzten 30 Jahren, das Stadion zu übernehmen.

Dirk Zingler über das Stadion An der Alten Försterei

Das war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Ein Teil davon war der Stadionbau, der am Ende mehr als das für den Verein war. Das war für die weitere Entwicklung eine Wegmarke.

Ich glaube, das war die wichtigste Entscheidung in den letzten 30 Jahren, das Stadion zu übernehmen. Wir sehen heute in Berlin, in welchem katastrophal maroden Zustand die Sportstätten sind. Wir haben mit dem Olympiastadion nur ein einziges Stadion, was im Grunde genommen neben der Alten Försterei für den Profifußball tauglich ist. Es ist ein Armutszeugnis hoch zehn für die Stadt Berlin, was sie mit Ihren Sportstätten in den letzten 20, 30 Jahren gemacht hat. Und hätten wir damals nicht die Entscheidung getroffen, das Stadion zu übernehmen und selbst zu sanieren, würden wir heute aussehen wie der Jahn-Sportpark. Wir hätten heute immer noch kein richtiges Stadion. Und deshalb glaube ich, dass es die wichtigste Entscheidung war.

Beim Umbau im Stadion An der Alten Försterei wird die Rasenheizung installiert (Quelle: imago images/Matthias Koch)
Beim Umbau des Stadions 2008/2009 wurde auch die Rasenheizung installiert. | Bild: imago images/Matthias Koch

Als ich 2004 Präsident wurde, war meine allererste Frage: An welchem Standort haben wir eine Zukunft? Wo kann sich Profifußball überhaupt entwickeln? Also mussten erst die Infrastruktur und die Bedingungen geschaffen werden und dann konnte man sich Ziele setzen.

Das passiert heute auch mit dem Nachwuchsleistungszentrum. Wir können erst Ansprüche erheben, wenn wir die Bedingungen dafür geschaffen haben. Oft glauben Organisationen oder Menschen, schon mehr verlangen zu können, obwohl die Basis dafür noch gar nicht gelegt wurde. Das hat natürlich auch eine enorme Bindung zwischen den Menschen hier in der Region und dem Klub geschaffen – und die muss auch immer wieder neu verabredet werden.

Der eigene Stadionbau war so eine Verabredung: Ihr seid verantwortlich, nehmt es in euren Besitz, auch mental. Und deshalb war es für uns auch wichtig, dass wir den Menschen, die hier gebaut haben, tatsächlich Eigentum verschafft haben, indem wir sie zu Aktionären gemacht haben und sie sind heute alle Miteigentümer. Das ist etwas Untypisches, weil überall da, wo der Kapitalismus wirklich wirkt, entsteht ja nur Kapital für einzelne, nicht für die Mehrheit und wir haben hier genau den anderen Weg gewählt.

Ich glaube, dass wir im Klub die Menschen glücklicher machen als beim deutschen Meister.

Union-Präsident Dirk Zingler

Die letzten 15 Jahre waren bei Union eigentlich ein einziger Weg nach oben - aktuell bis an die Spitze der Fußball-Bundesliga und in den Europapokal. Dennoch gehört auch das Scheitern zur Geschichte des Vereins. Inwieweit prägt das die Menschen bei Union noch in ihrer Haltung?

Ich glaube, je näher etwas am realen Leben ist, desto besser und authentischer ist es. Und am Ende wird es am erfolgreichsten sein. Auch im realen Leben scheitern wir relativ oft, sei es privat oder beruflich. Wenn das, was du machst, dem Leben sehr nah ist, wirst du Erfolg haben. Wenn du das abkoppeln willst und glaubst, dass das von dauerhaftem Erfolg geprägt ist, wirst du scheitern. Deshalb gehören für uns verlieren und wütend sein genauso dazu wie Glückseligkeit und Feiern. Ich glaube, diese Mischung macht es. Und ich glaube, dass wir im Klub die Menschen glücklicher machen als die Menschen beim deutschen Meister.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Tim Evers. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Version des Gesprächs.

Sendung: Dokumentation 'Unser Verein: "Eisern Union!"', 25.10.2022, 20:15 Uhr

7 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 7.

    Möchten Sie die namentlich? Das dauert aber dann etwas länger.

  2. 6.

    Und wen interessiert es,wo er seinen Wehrdienst abgeleistet hat?

  3. 4.

    Schade dass die Kommentarfunktion nach der Sendung am 25.10. sicher schon geschlossen sein wird.
    Das Interwiev ist wohl gekürzt und mich würde einmal interessieren ob denn zu meinem Lieblingsthema zum "Roten Dirk" etwas gesagt wird.
    https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/union-boss-zingler-war-stasi-soldat

  4. 2.

    @rbb24:
    Beim Redigieren hätte man vielleicht auch den Wohnort des Großvaters klären können. Wohnte er in Zeuthen in Wildau? Später taucht dann noch Eichwalde auf. Zeuthen ist genauso selbständig wie Wildau.

  5. 1.

    Mit der Unterstützung einer seiner besten Freunde aus Budapest läuft es doch ganz gut

Nächster Artikel