Oberbürgermeister-Wahl - Sieben Kandidaten wollen auf den Cottbuser Chefsessel - erstmals Chancen für die AfD

In Cottbus wird zu bemerkenswerten Zeiten ein neues Stadtoberhaupt gewählt. Die Stadt wird in den nächsten Jahren ihr Gesicht verändern. Strukturgelder fließen. Es ist eine historisch einmalige Chance. Aber mit wem an der Spitze? Von Sebastian Schiller
Lars Schieske ist guter Dinge. Der 45-jährige Kandidat der AfD steht im Cottbuser Ortsteil Sielow auf einem umgedrehten Bierkasten vor gut 100 Leuten. Im Rahmen der AfD-Sommertour zieht der Berufsfeuerwehrmann mit einem mobilen Stammtisch durch die Ortsteile, verteilt Bier und Bratwürste. "Wir haben die realistische Chance, dass wir hier dieses Altparteienkartell zu Fall bringen, als Dominostein hier in Deutschland agieren - dass letztendlich wir die erste Großstadt sind mit einem AfD-Oberbürgermeister." ruft Schieske in die Menge.
AfD mit stabiler Wählerschaft
Von der Hand zu weisen ist seine Aussage nicht. Die AfD hat sich in Cottbus über die vergangenen Jahre eine stabile Wählerschaft aufgebaut. 2019 stellte sie nach der Kommunalwahl erst die größte Fraktion im Stadtparlament, dann hat die Partei im selben Jahr auch die beiden Direktmandate für die Landtagswahl geholt. Bei der Bundestagswahl siegte die SPD-Kandidatin haarscharf mit nicht einmal mal zwei Prozent Unterschied zur AfD.
Auch Christoph Schulze von der Universität Potsdam hält einen Wahlsieg der AfD in Cottbus für "ein ernstzunehmendes Szenario". Schließlich seien die Wahlergebnisse der AfD hier nicht mehr das Resultat von Protestverhalten. Die Stadt sei von der AfD schon früh zum "Leuchtturm" erklärt worden.
Drei dominante Parteien
Insgesamt sechs Kandidaten und eine Kandidatin stehen zur Wahl zum neuen Stadtoberhaupt von Cottbus für die nächsten acht Jahre. Geordnet nach der Reihenfolge auf dem Stimmzettel sind es Lars Schieske (AfD), Thomas Bergner (CDU), Tobias Schick (SPD), Sven Benken (Unser Cottbus), Felix Sicker (FDP), Lysann Kobbe (dieBasis) und Johann Staudinger (Einzelbewerber).
Neben Schieske haben auch Bergner und Schick besonders gute Chancen. Seit der Wende haben ihre Parteien CDU beziehungsweise SPD fast durchgängig den Oberbürgermeister in Cottbus gestellt. Neben der AfD sind sie hier die dominanten Parteien.
Eine Stadt im Wandel mit "Riesenchance"
Die Stadt Cottbus steht vor einem beispiellosen Umbruch. Spätestens 2038 steigt Deutschland aus der Braunkohleverstromung aus, an der aktuell rund 15.000 direkte und indirekte Jobs hängen. Als Entschädigung bekommt die ganze Region vor allem Geld, mit dem unter anderem neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen.
Die Deutsche Bahn baut bereits jetzt das nach eigenen Angaben modernste ICE-Instandhaltungswerk Europas. Das Krankenhaus soll zur Uni-Medizin ausgebaut werden. Behörden werden nach Cottbus verlegt oder eröffnen Außenstellen. "Geld ist da, jetzt muss das Richtige mit dem Geld gemacht werden", sagt der Cottbuser Matthias Ostrowski dem rbb. "So eine Handvoll Leuchtturmprojekte, das ist eben kein Strukturwandel."
Laut dem 45-Jährigen brauche es Ideen, Kreativität und Dynamik. Man müsse sehen, "dass man zukunftsfähige Projekte umsetzt, die nachhaltig wirken, in der Stadt und auch im Umland." Matthias Ostrowski hat in Cottbus seine Familie gegründet. Er sieht eine Riesenchance in diesen Zeiten. Cottbus wandle sich, es passiere viel Neues.
"Eine unfassbar schöne menschliche Kultur im Kleinen"
Ähnlich sieht das Philipp Milthaler. Der 25-Jährige ist in Berlin geboren und lebt seit zwei Jahren in der Lausitzmetropole. "Ich habe mich ja auch Ewigkeiten gesträubt, her zu ziehen, bin gependelt, war einer der RE2-Fahrer - morgens hin, abends zurück." Irgendwann habe er das nicht mehr gewollt und ist "einfach in Cottbus geblieben." Für Milthaler wäre ein Wahlsieg der AfD bei der Oberbürgermeisterwahl das denkbar schlechteste Ergebnis, sagte er dem rbb.
Nach Cottbus gelockt hat ihn sein Wunschstudium, das die BTU-Cottbus-Senftenberg auf deutsch und polnisch anbietet. Geblieben ist er wegen der Leute und der Atmosphäre. "Ich habe gemerkt, dass es eine unfassbar schöne menschliche Kultur im Kleinen gibt", so Milthaler. "Die ganzen Wohngemeinschaften und generell sozialen Gemeinschaften, die hier entstanden sind. Das ist so groß und so viel."
Philipp Milthaler möchte die Stadt weiterentwickeln und dabei Kunst und Kultur in den Vordergrund stellen. "Ich bin Wahlcottbuser. Das will ich aufbauen, Teil davon sein, dass Menschen irgendwann nicht mehr diesen schweren Weg haben, das alles zu entdecken." Seine Vorstellung ist, dass neue Cottbuser in der Stadt ankommen und direkt "die coole Community" kennenlernen. "Deswegen bleibe ich hier."
Kriminalität und Armut
Aber es gibt in Cottbus auch noch andere Themen, Armut beispielsweise. Die Angst vor dem Abstieg teilen viele Cottbuser. Fast jeder Fünfte ist armutsgefährdet. Dazu kommt die Kriminalität. Im Bundesvergleich ist Cottbus keine kriminelle Hochburg. Aber wenn es um gefährliche und schwere Körperverletzungen geht, nimmt die Stadt in Brandenburg eine Spitzenposition ein.
Laut der Polizei in Cottbus ist gut die Hälfte der Fälle auf Beziehungstaten zurückzuführen. Der mögliche Täter und das Opfer kannten sich also bereits vorher. Betroffen sind überwiegend deutsche Tatverdächtige.
Aber auch die Infrastruktur ist ein Thema. Obwohl Cottbus seinen Schuldenberg in den letzten Jahren bereits drastisch minimiert hat und bis Mitte des Jahrzehnts schuldenfrei sein soll, hat sich ein enormer Investitionsstau aufgebaut - oder vielleicht auch gerade deswegen. Das betrifft vor allem Straßen, Gehwege, aber auch Kindertagesstätten.
Kandidatenvorstellung auf Wahlforen
Vor der Wahl einer neuen Oberbürgermeisterin oder eines Oberbürgermeisters in Cottbus hatten sich die sieben Kandidaten in mehreren Wahlforen den Fragen gestellt. Zu einem der letzten Foren waren am Mittwoch schätzungsweise rund 180 Bürgerinnen und Bürgern ins Alte Stadthaus gekommen, um unter anderem über Rechtsextremismus, Sauberkeit - und den Strukturwandel zu diskutieren.
Johann Staudinger sprach sich dafür aus, Projekte wie das Bahnwerk oder die Uni-Medizin zu befördern. Zudem will er den Mittelstand stärker in die Strukturentwicklung mit einbinden. Lysann Kobbe zeigte sich skeptisch, dass die Uni-Medizin in der Stadt erfolgreich aufgebaut werden kann. Es würden Fachkräfte und Personal fehlen.
Felix Sicker verwies auf die Ausbildung von Ärzten und medizinische Fachkräfte mit genau diesem Vorhaben.
Tobias Schick erinnerte an die 1,4 Milliarden Euro, die der Bund an Strukturmitteln nach Cottbus gebe. Dieses Angebot sollte genutzt werden, sagte er. Lars Schieske will Wohnraum für Familien schaffen, wenn er gewählt wird - auch auf ehemaligen Abrissflächen.
Aufbruchsstimmung oder Unsicherheit?
Der bisherige Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) hatte im Herbst 2021 angekündigt, bei der Wahl nicht mehr anzutreten. Er nannte seine Gesundheit als Hauptgrund für seine Entscheidung. Trotz mehrerer Operationen an den Augen habe sich die Situation nicht so stabilisiert, dass er sein Amt verantwortungsvoll weiterführen könne. Mehrere kleinere Gründe, so auch der mangelnde Respekt vor seinem Amt, hätten aber auch zu der Entscheidung beigetragen, hieß es damals.
Kelch ist seit 2014 Oberbürgermeister der Stadt und arbeitet seit 19 Jahren in der Cottbuser Verwaltung. Im Herbst 2021 sagte er, er sei stolz auf das, was er in seiner Amtszeit geleistet habe. Cottbus befinde sich im Umbruch, er habe einige Gleise für die weitere Entwicklung der Stadt legen können, so Kelch. Wer allerdings die Züge auf die Gleise stelle und entscheide, in welche Richtung diese fahren sollen, werde sich bei der OB-Wahl entscheiden.
Am 11. September können knapp 79.000 Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben - und dabei auch eine Antwort auf die Frage geben, was in der Stadt überwiegt - Aufbruchsstimmung oder Unsicherheit?
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Hinweis: Bei den Kandidateninfokästen haben wir uns auf jeweils fünf Punkte beschränkt. Die ausführlichen Lebensläufe finden Sie hinter den Links in den Infoboxen. Sie führen zu den jeweiligen Internetseiten der Kandidatin und der Kandidaten.
Sendung: rbb Fernsehen, 07.09.2022, 22:15 Uhr
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