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Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 18.08.2022 | Fred Pilarski | Quelle: IMAGO/Dominika Zarzycka

Umweltkatastrophe in Brandenburg

Das Fischsterben in der Oder: Was bisher bekannt ist - und was nicht

In der Oder sind tausende Fische verendet. Die Umweltschäden sind massiv, die Folgen nicht absehbar. Wasserproben haben einen ungewöhnlich hohen Salzgehalt ergeben. Doch das ist wohl nicht die einzige Ursache.

Was ist passiert?

Seit ungefähr dem 8. August sind in der Oder viele tausend Fische gestorben. Zwischenzeitig waren beide Ufer des Flusses zwischen Eisenhüttenstadt und Schwedt mit Fischkadavern gesäumt. Laut deutscher Behörden und polnischer Feuerwehr wurden insgesamt bisher fast 200 Tonnen tote Fische geborgen. Darunter sind auch mehrere tausend junge Störe aus einer Aufzucht in der Uckermark. Sie sollten im Herbst in die Oder ausgewildert werden.

Neben den Fischen sind auch etwa Muscheln, Krebse und im Wasser lebende Insektenlarven durch die in der Oder vermuteten Gifte gestorben. Darauf wies der Naturschutzverein NABU hin. Inzwischen schwimmen auch in der Alten Oder, den Nebenarmen des Flusses im Oderbruch, viele tausend tote Fische.

Derzeit erscheint es wahrscheinlich, dass um den 9. August eine Giftwelle durch die Oder geflossen ist. In dieser Zeit stieg der Pegel des Flusses kurzzeitig an. Weil nirgendwo an der Oder besonders viel Regen fiel, dürften Veränderungen an polnischen Staustufen am Oberlauf der Oder mit dem plötzlichen Pegelanstieg zu tun haben.

Fischsterben in der Oder

Spurensuche nach der Ökokatastrophe in Bildern

War es eine chemische Substanz, die in Polen ins Flusswasser der Oder gelangt ist oder war es etwas anderes? Noch läuft die Spurensuche. Wasserproben, die von deutschen Behörden gezogen wurden, befinden sich noch in der Untersuchung.

Was sind die Ursachen?

Vieles ist noch ungeklärt. Behördliche Labore in Brandenburg und Polen haben Wasserproben genommen. Deren Analyse hat bisher Folgendes ergeben: Der pH-Wert ist ungewöhnlich hoch. Außerdem befinden sich in der Oder außerordentlich viel Salz und Sauerstoff. Man könne derzeit nicht erklären, wie es zu den hohen Werten komme, sagte Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) dazu. Die Labore untersuchen derzeit weiter die Wasserproben.

Zusätzlich hat das Landeslabor Berlin-Brandenburg überhöhte Pestizid-Werte mit dem Wirkstoff 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure nachgewiesen. Es sei aber davon auszugehen, dass die nachgewiesene Dosis zumindest an der Messstelle in Frankfurt (Oder) nicht unmittelbar tödlich für Fische gewesen sei. Der Wirkstoff wird etwa zur Bekämpfung von Unkraut eingesetzt.

Die polnische Umweltministerin spricht in diesem Kontext von Falschmeldungen aus Deutschland. Es gebe keine Verbindung zum Fischsterben, schrieb Anna Moskwa am Samstagabend auf Twitter. Die Substanzen seien in Fischen nicht entdeckt worden.

Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) stellte derweil am Mittwoch eine eigene Theorie vor: Die Forscher des Berliner Instituts wie auch ein polnisches Labor haben die giftige Alge Prymnesium parvum in der Oder nachgewiesen. Mit diesen Algen steigt auch der Sauerstoffgehalt und der pH-Wert im Wasser. Die Alge greift außerdem Schleimhäute und Blutgefäße von Fischen, Muscheln und Amphibien an und könnte daher fürs Fischsterben verantwortlich sein.

Ursachenforschung für das Fischsterben

Landeslabor ermittelt erhöhte Pestizid-Werte in der Oder - Polen spricht von "Fake News"

Die Behörden verfolgen bei der Aufklärung des Fischsterbens in der Oder eine neue Spur: Im Wasser wurden erhöhte Pestizid-Werte nachgewiesen. Als alleiniger Verursacher könne das aber nicht gelten. Polen widerspricht derweil vehement.

Wie ist das Gift in die Oder gelangt?

Die IGB Forscher schließen natürliche Ursachen für den Algenwuchs aus. Polnische Medien berichten von einem Klärbecken des polnischen Bergbaukonzern KGHM bei Glogau. Zwischen dem 29. Juli und dem 10. August habe der Konzern aus diesem Becken salziges Wasser in die Oder geleitet. "Es erscheint stimmig, dass in diesem Absetzbecken die Prymnesium Alge schon seit langem und in großen Mengen wächst, und mit der Einleitung von Wasser aus diesem Becken in die Oder gelangte", teilte IGB Forscher Martin Pusch dem rbb am Donnerstag mit. Pusch spricht von "grob fahrlässigem Verhalten". Wegen des niedrigen Wasserstands und der starken Sonneneinstrahlung könne die Alge sich dann in der Oder weiter vermehrt haben. KGHM hat die Vorwürfe inzwischen zurückgewiesen.

Umweltkatastrophe in der Oder

Giftige Algenart soll das Fischsterben mit verursacht haben - Verband zweifelt

Noch immer gibt es nichts Definitives, was die Umweltkatastrophe in der Oder ausgelöst hat. Polen hat nach wie vor keine Messwerte veröffentlicht. Wissenschaftler sehen als eine der Hauptursachen eine Algenblüte. Der Fischereiverband widerspricht.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte am 12. August, wahrscheinlich seien riesige Mengen Chemie seien in voller Kenntnis der Risiken in den Fluss gekippt worden. Inzwischen hat die polnische Polizei laut eigenen Angaben mehr als 200 Zeugen verhört und umgerechnet 210.000 Euro als Belohnung für Hinweise auf Täter ausgesetzt.

Zunächst hatte das Brandenburgische Landeslabor in einigen Wasserproben ungewöhnlich viel Quecksilber entdeckt. Inzwischen haben das polnische und das brandenburgische Umweltministerium Quecksilber als Ursache ausgeschlossen. Auch über einen Chemieunfall in seiner Papierfabrik bei Breslau wurde zwischenzeitig als Ursache spekuliert. Die Fabrikbetreiber teilten mit, nichts mit der Katastrophe zu tun zu haben.

Wieso dauert die Suche nach den Ursachen so lange?

Seit über einer Woche untersucht das Brandenburger Landeslabor Wasserproben aus der Oder. Man könne nicht sagen, ob und wann Ergebnisse vorliegen, hieß es am Mittwoch aus dem Labor. Wieso ist das so? In einer Wasserprobe könnten potenziell etwa 350.000 Substanzen vorhanden sein, erklärt Jörg Oehlmann, Biologe an der Goethe Universität in Frankfurt (Main). Die Ursachenforschung sei daher eine Sisyphosarbeit und könne Wochen dauern.

Außerdem gilt es, nicht nur Stoffe sondern auch deren Herkunft zu ermitteln. Auch die besonderen klimatischen Bedingungen mit Dürre, Sonne und Hitze müssen beachtet werden. Schließlich fehlen den Forschern des Brandenburger Labors nach wie vor Informationen aus Polen zu eventuellen Einleitungen in den Fluss. Das teilte das Landesumweltministerium mit.

Fischsterben in der Oder

Lebende Fische und Flusskrebse in der Oder nachgewiesen

Es ist ein erstes Hoffnungszeichen nach der Katastrophe: In der Oder wurden wieder lebende Fische nachgewiesen. Die Suche nach Ursache für die Katastrophe wird derweil konkreter. Verantwortlich könnten giftige Algen aus einen Klärbecken in Polen sein.

Wie lange braucht die Natur, um sich zu erholen?

Brandenburgs Umweltminister Vogel geht davon aus, dass die Oder auf Jahre geschädigt ist. Endgültig lässt sich allerdings auch diese Frage derzeit nicht beantworten. Anzeichen der Erholung gibt es allerdings schon jetzt: Wissenschaftler des Potsdamer Instituts für Binnenfischerei haben am Freitag in der Oder bei Brieskow-Finkenheerd (Oder-Spree) lebende Fische verschiedener Arten, Flusskrebse und Muscheln nachgewiesen. Laut Umweltminister Vogel lassen solche Funde darauf schließen, dass die Giftwelle inzwischen durch die Oder durchgeflossen ist.

Auch 20.000 junge Störe sind bei dem Fischsterben in der Oder nach Angaben des WWF verendet. Das Wiederansiedlungsprogramm für den Baltischen Stör habe damit "einen schmerzhaften Rückschlag" erlitten, teilte die Umweltschutzorganisation am Sonntag in Berlin anlässlich des "Tags des Fisches" mit, der am Montag begangen wird. Die Bedrohungslage für diese weltweit am stärksten bedrohte Fischgruppe spitze sich zu, hieß es.Weltweit sei die Population aller 26 Stör-Arten gefährdet. Sieben der acht in Europa vorkommenden Arten seien bereits vom Aussterben bedroht, sagte Finn Viehberg vom WWF Deutschland. Die achte gelte als stark gefährdet.

Das IGB wies am Freitag darauf hin, dass sich das Fischsterben wiederholen könnte. "Die erhöhten Salzgehalte treten öfter in der Oder auf, sie werden befördert durch industrielle Belastungen im Oberlauf", sagte IGB Forscher Tobias Goldhammer. Wenn auch die zukünftigen Sommer so heiß und trocken werden, könnten sich abermals massenhaft giftige Algen bilden.

Der polnische Eisbrecher "Ocelot" auf Tour bei Gryfino. | Quelle: Sabine Kramm/rbb

Wie wird die Katastrophe vor Ort bekämpft?

Zwischen Eisenhüttenstadt und dem Nationalpark Unteres Odertal haben Behörden und freiwillige Helfer inzwischen die meisten Fischkadaver eingesammelt. Die toten Tiere werden in der PCK Raffinerie in Schwedt verbrannt. Der Landkreis Märkisch-Oderland hat außerdem die Pumpen abgeschaltet, die normalerweise Wasser aus der Oder ins Oderbruch pumpen. Seit Donnerstag laufen einige Pumpen wieder, um zu verhindern dass der Sauerstoffgehalt im Wasser des Oderbruchs zu stark fällt. Laut Landkreis wurden keine giftigen Algen im Oderbruch nachgewiesen.

Polnische Behörden setzen außerdem nahe Gryfino Eisbrecher ein. Mit ihrem Wellenschlag sollen sie die Fischkadaver aus den dichten Schilfgürteln herausschwemmen. Im Anschluss sollen umfunktionierte Ölsperren die toten Fische abfangen. Auch die deutsche Seite hat solche Sperren aufgestellt, damit die toten Fische nicht in die Ostsee gelangen und sie außerdem nicht von Vögeln gefressen werden. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) kündigte außerdem Hilfen für die vom Fischsterben betroffenen Betriebe an.

Fischsterben im Grenzfluss

Zahl der Touristen an der Oder geht nach Umweltkatastrophe deutlich zurück

Nach dem massenhaften Fischsterben bleiben viele Touristen der Oder fern. Fahrradwege werden kaum genutzt, der Angel- und Kanutourismus leidet. Auch der Nationalpark Unteres Odertal ist davon betroffen - doch es gibt etwas Hoffnung.

Ist die Oder gefährlich für Menschen?

Auch hierzu gibt es noch keine endgültigen Antworten. Jedoch erscheint eine Gefahr für Menschen derzeit nicht wahrscheinlich. "Laut der Forschung sind die gefundenen Algen für Warmblüter wie Menschen oder Rinder nicht gefährlich", sagt Christian Wolter vom IGB. Allerdings sei noch nicht endgültig bewiesen, dass das Gift in der Oder wirklich von den Algen stammt. Vor diesem Hintergrund warnen die Landkreise nahe der Oder nach wie vor dringend vor Kontakt mit Wasser der Oder und haben außerdem entsprechende Verbote erlassen.

Sollte Gift ins Grundwasser gelangt sein, könnte es am Ende auch im Trinkwasser landen. Umweltminister Vogel sagte dazu am 12. August: "Ich würde nicht soweit gehen, die Grundwasservorkommen in Gefahr zu sehen."

Ausmaße der Rhein-Katastrophe von 1986 erreicht

Brandenburgs Ministerpräsident Woidke "verärgert" über Polens Infopolitik

Die Suche nach der Ursache für das Fischsterben in der Oder geht weiter. Das gefundene Quecksilber allein scheint nicht ursächlich zu sein. Der Vorfall in der Oder sei mittlerweile mit der Sandoz-Katastrophe von 1986 vergleichbar.

Haben polnische Behörden rechtzeitig gewarnt?

Laut Umweltminister Axel Vogel hatten polnische Behörden zum ersten Mal am 14. Juli von toten Fischen bei Opole erfahren. Bis Ende Juli waren in Polen weitere Fälle gemeldet worden. Gemäß der Meldeketten der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder, der Polen und Deutschland angehören, hätten die Beamten daraufhin ihre deutschen Kollegen informieren müssen. Das taten sie aber nicht. "Ich bin verärgert darüber, dass Informationen nur kleckerweise oder überhaupt nicht gekommen sind", sagte Ministerpräsident Woidke dazu am 15. August.

Allerdings tappten auch viele polnische Behörden, etwa in Słubice gegenüber von Frankfurt (Oder), lange im Dunkeln. Auch der polnische Regierungschef Morawiecki räumte ein, er habe am 9. oder 10. August von dem Fischsterben erfahren. Da lagen erste Meldungen zu toten Fischen schon zwei Wochen zurück. Angesprochen auf die fehlenden Meldungen an deutsche Behörden, sprach Morawiecki von "Fake News" der polnischen Opposition. Die polnische Regierung hat inzwischen die Chefs der Wasser- und der Umweltbehörde entlassen.

Sendebezug: rbb24 Brandenburg Aktuell, 21.08.2022, 19:30 Uhr.

 

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