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Audio: rbb24 Inforadio | 14.07.2022 | Hans-Joachim Viehweger | Quelle: dpa/Stefan Sauer

Fragen und Antworten

Russland dreht den Gashahn von Nord Stream 1 weiter zu - Was nun?

Russland liefert über die Pipeline Nord Stream 1 aktuell nur noch 20 Prozent der maximal vereinbarten Menge. Welche Auswirkungen hat das für Deutschland? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Nach den Wartungsarbeiten auf russischer Seite an der Nord-Stream-1-Pipline strömt seit dem 22. Juli wieder Gas nach Europa. Allerdings verringerte Russland die maximal vereinbarte Liefermenge auf rund 20 Prozent der vereinbarten Menge. Die erneuten Kürzungen machen es Deutschland schwerer, wie geplant die Gasspeicher für den Winter füllen. Unternehmen und private Verbraucher blicken mit Sorgen auf eine mögliche weitere Eskalation der Gaskrise.

Warum ist die Pipeline Nord Stream 1 so wichtig?

Die Erdgas-Pipeline Nord Stream 1 verläuft von Sibirien unterirdisch durch die Ostsee bis nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Pipeline kann ein Drittel der gesamten europäischen Gasimporte aus Russland transportieren. Eigentümer und Betreiber der Nord Stream 1 ist die Nord Stream AG, dem russischen Staatskonzern Gazprom gehören 51 Prozent der Gesellschaft.

Im Zuge des Krieges gegen die Ukraine hat die russische Regierung angeordnet, die Liefermenge auf 40 Prozent zu reduzieren, in der Folge schoss der Erdgaspreis an der Terminbörse in die Höhe.

Am 11. Juli stellte die russische Betreibergesellschaft Nord Stream AG die Lieferungen komplett ein - allerdings nicht überraschend: Wartungsarbeiten der Pipeline fanden bisher jährlich statt und waren laut Bundesnetzagentur auch angekündigt. Am 25. Juli drosselte Russland allerdings nach der zehntägigen Wartungspause weiter - auf jetzt nur noch 20 Prozent der Gas-Kapazität von Nord Stream 1.

Wie lange reicht das Gas noch? Droht im Winter ein Engpass?

Das lässt sich aktuell kaum seriös voraussagen. Oberste Priorität für die Bundesregierung hat es, dass die Gasspeicher in Deutschland zu Beginn der Heizperiode fast voll sind, um bei einem Totalausfall russischer Lieferungen für den Winter gut gewappnet zu sein. Am 26. Juli lag der Gesamtspeicherstand bei 66,4 Prozent.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte im Juli, dass man Vorsorge treffe, um durch den Winter zukommen. Mitte Juli kündigte der Grünen-Politiker ein neues Energiesicherungspaket an: mit Maßnahmen wie dem schnellen Bau einer Flüssiggas (LNG)-Infrastruktur, der Befüllung der Speicher bis hin zu Verbrauchssenkung.

Die Vorgaben für die Füllstände der Speicher sollen für die Zukunft verschärft werden. Konkret geplant ist, für den 1. September ein neues Zwischenziel von 75 Prozent einzufügen. Zum 1. Oktober sollen die Speicher statt bisher zu 80 Prozent dann zu 85 Prozent und 1. November statt wie bisher 90 zu 95 Prozent gefüllt sein.

Im Gespräch ist auch eine Reaktivierung von Kohlekraftwerken zum 1. Oktober. Damit sollen bei der Stromerzeugung Gaskraftwerke ersetzt und so mehr Gas eingespeichert werden können. Zusammen mit dem Bundesverkehrsministerium könnte es zudem eine Verordnung geben, damit der Transport von Kohle im Schienenverkehr Vorrang bekommt.

Vorbereitungen auf Gasmangellage

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"Notfallplan Gas": Was wird gegen drohende Engpässe unternommen?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck setzte Ende März die Frühwarnstufe als erste von drei Krisenstufen des sogenannten "Notfallplans Gas" in Kraft.

Seit dem 23. Juni gilt Stufe zwei - die sogenannte "Alarmstufe". In dieser Phase kümmern sich die Marktakteure noch in Eigenregie um eine Beherrschung der Lage. Eine Rationierung von Gas gibt es derzeit noch nicht - allerdings appellieren die Bundesnetzagentur und auch Wirtschaftsminister bereits an alle Verbraucher, Energie zu sparen.

Insgesamt betrachtet setzt der Bund auf den Import von höheren LNG-Mengen und Einsparungen beim Gasverbrauch, um die fehlenden russischen Gasmengen auszugleichen. So sollen zum Jahreswechsel die ersten beiden schwimmenden LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel in Betrieb genommen werden.

Auf europäischer Ebene haben sich die EU-Länder jetzt darauf geeinigt, ihren Gasverbrauch von August bis zum nächsten März um 15 Prozent zu senken. Allerdings ist diese Vereinbarung kein Muss. Sie beruht erst einmal auf Freiwilligkeit.

Die EU-Staaten vereinbarten am 26. Juli einen umfangreichen Notfallplan zur sofortigen Drosselung des Verbrauchs. Die bei einem Sondertreffen der Energieminister getroffene Einigung sieht vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen Unionsalarm auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben.

Quelle: rbb/© OpenStreetMap contributors

Was passiert in der "Notfallstufe"?

Bei einer "erheblichen Störung der Gasversorgung oder einer anderen erheblichen Verschlechterung der Versorgungslage" kann die Bundesregierung per Verordnung den "Notfallplan Gas" in Kraft setzen. Wenn das Gas nicht mehr für alle reicht, wird die Bundesnetzagentur zum "Bundeslastverteiler" und regelt die Verteilung von Gas.

Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller sagte in einem Interview mit dem "Focus", dies werde spätestens dann der Fall sein, "wenn der Verbrauch höher ist als das Angebot". Die Agentur werde aber alles daran setzen, die Gasnotlage hinauszuzögern, denkbar sei etwa, Gaskontingente über Auktionen auf den Markt zu bringen. Bei einer Verteuerung des Gases könnten Verbraucher so zu weiteren Einsparungen animiert werden.

In dem Notfallplan ist festgehalten, dass bestimmte Verbrauchergruppen besonders "geschützt" werden. Dazu zählen private Haushalte, aber auch Krankenhäuser, die Feuerwehr und die Polizei oder Gaskraftwerke, die zugleich der Wärmeversorgung von Haushalten dienen. Nicht geschützt vor Rationierungen sind Teile der Industrie, insbesondere Unternehmen mit hohem Gasverbrauch, wie etwa die Pharmaindustrie oder die chemische Industrie.

Aufgabe der Krisenstäbe der Bundesnetzagentur ist es dann, bei der Verteilung Prioritäten zu setzen.

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Wie bereitet sich die Bundesnetzagentur auf ihre neue Rolle vor?

Die Bundesnetzagentur hat für die Notfallstufe Fachleute für Gas- und Stromkrisenstäbe zusammengezogen, um im Ernstfall auf eine Doppelkrise vorbereitet zu sein, die durch eine gleichzeitige Knappheit von Gas und Strom zustande kommen könnte. Um genau zu dokumentieren, welche Unternehmen wie viel Energie verbrauchen, wird derzeit an einer IT-Plattform gearbeitet, die den Krisenstäben die Steuerung der möglichen Lieferungen erleichtern soll.

Auf der Plattform können Unternehmen ihre Gasverbräuche tagesaktuell eintragen. In einem Interview mit dem "Focus" sagte Netzagenturchef Klaus Müller: "Wir haben über die Plattform die betriebswirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen und sozialen Folgen sowie die Auswirkungen auf die Lieferketten im Blick. Das ist ein Learning aus der Pandemie: Wir wollen weg von der Fax- oder Excelwirtschaft." Diese Plattform existiert derzeit noch nicht, weil erst eine Software programmiert werden soll, die vor Hackern sicher ist. Nach Aussage von Müller soll die Plattform aber zum Oktober stehen.

Wie werden sich die Gaspreise entwickeln?

Binnen eines Jahres sind die Preise für Haushalte im Schnitt um 159 Prozent nach oben geschnellt, wie das Vergleichsportal Verivox ermittelt hat. Kostete Gas für eine Nutzenergie von 20.000 Kilowattstunden im Juli 2021 noch 1.236 Euro, waren es im Juli 2022 schon 3.199 Euro.

Auch im internationalen Rohstoffgroßhandel sind die Zuwächse enorm. Nach Angaben des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts lag der mit einem globalen Index ermittelte Gaspreis im Juni um fast 130 Prozent über dem Vorjahreswert. Nicht-russisches Gas, das Länder und Konzerne sich kurzfristig noch beschaffen können, ist oft nur gegen deutliche Aufschläge zu haben. Viele Großeinkäufer müssen die erhöhten Preise dann an die Versorger und diese dann an die Endkunden weitergeben.

Der Netzagentur-Chef Müller sagte Ende Juli, der Gaspreis habe sich bereits im Vergleich zur Vorkriegszeit verdreifacht. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) warnte davor, die drastischen Preisanstiege bei Gas unmittelbar an die Verbraucher weiterzugeben, und forderte Gesetzesänderungen.

Im "Deutschlandfunk" bilanziert er aber auch, private Haushalte aber auch die Industrie verbrauchten bereits "fünf, sechs, sieben Prozent weniger".

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Wie könnte sich das auf die Region auswirken?

In der Region ist die Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg (NBB) für die Verteilung des Gases zuständig. Die Frage der Priorisierungen sei eine durch die Bundesregierung zu klärende Frage, so die NBB. Sie setze den Notfallplan Gas nach Anforderungen der Bundesnetzagentur um.

Bei "leicht reduzierten Gasflüssen" sei die Lage aber beherrschbar, heißt es von der NBB. In der "Frühwarnstufe" hat die NBB nach eigenen Angaben damit begonnen zu prüfen, bei wem der Gasverbrauch reduziert werden kann. Einsparungen bei den Verbrauchern, privat und in der Wirtschaft, von etwa 20 Prozent sind laut NBB machbar.

Bei komplettem Wegfall des russischen Gases gäbe es eine "Gasmangellage", so die NBB. Über die Leitwarte könne man dann mit Spar-Anweisungen reagieren. Ein Krisenstab sei auch regional etabliert, die Kommunikation mit den Großkunden inklusive täglicher Ablesung bereits gegeben. In jedem Fall würden die Wohnungen im Winter voraussichtlich warm bleiben. Das werde aus technischen Gründen zwar nicht einfach, aber es würde gehen, so die NBB.

Auch die kritische Infrastruktur sei gesichert. Allein die "nicht-russischen" Gaslieferungen seien dafür ausreichend. Auch wenn es für das russische Gas aktuell noch nicht ausreichend Ersatz gebe. Die Pipelineinfrastruktur in der Region ist nach NBB-Angaben zudem sicher, auch in Ost-West-Richtung.

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Welche Unternehmen könnten von einer Gasrationierung betroffen sein?

Die deutsche Industrie hat laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) am deutschen Gasverbrauch einen Anteil von 37 Prozent. Weitere 31 Prozent werden von privaten Haushalten genutzt [tagesschau.de]. Der mit Abstand größte Gasverbraucher in Deutschland ist die chemische Industrie, dazu zählen auch Pharmaunternehmen, die laut "Ärzteblatt" befürchten, eine Gasrationierung könnte die Versorgung mit Medikamenten gefährden. Auch die Stahlindustrie könnte als Großabnehmer betroffen sein.

Bereits im Mai hat die Bundesnetzagentur bei den regional zuständigen Netzgesellschaften eine Umfrage gestartet, um den Gasverbrauch der 2.500 größten Industrieabnehmer zu ermitteln. Diese Daten sollen bei Inkrafttreten der Notfallstufe helfen zu entscheiden, wohin die verfügbaren Kontingente geliefert werden sollen und wohin nicht.

Nach einem Bericht der "Berliner Zeitung" stehen 48 Berliner Unternehmen mit besonders hohem Gasverbrauch auf der Liste der Bundesnetzagentur. In welchem Umfang bei wem gespart werden wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bekannt. Die NBB teilte dem rbb mit, sie habe der Bundesnetzagentur auch 45 große Abnehmer aus Brandenburg gemeldet. Allerdings betreibt die NBB in Brandenburg nicht das gesamte Gasnetz - vor allem im Osten und im Süden des Landes sind noch andere Betreiber vertreten.

Sendung: rbb24 Inforadio, 14.07.2022, 6:00 Uhr

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