Interview | Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt - "Kontakt zu Einheimischen hat einen positiven Effekt"

Di 20.06.23 | 06:10 Uhr
Archivfoto von 2021: Mojtaba Hosseiny (l), Herrenmaßschneider und Andreas Westkämper, Gewandmeister an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt, arbeiten zusammen in der Schneiderei. Als Mojtaba Hosseiny 2015 aus dem Iran flüchtete, hatte er nur ein Ziel, eine Ausbildung und ein Leben mit Perspektive. Beides hat der 28-Jährige geschafft, dank vieler Unterstützer in Schwedt und Berlin (Quelle: dpa / Patrick Pleul).
Bild: dpa-Zentralbild

Geflüchtete brauchen etwa doppelt so lange wie andere Migrant:innen, um Arbeit zu finden. Was sind die größten Hürden, und wo ist die Politik gefragt? Ein Interview mit der Arbeitsmarkt- und Migrationsforscherin Yuliya Kosyakova.

rbb|24: Frau Kosyakova, wie schätzen Sie anhand Ihrer Forschung den Integrationsprozess der geflüchteten Menschen ein, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind?

Yuliya Kosyakova: Geflüchtete Personen kommen im Vergleich zu sogenannten Arbeitsmarkt-Orientierten oder ökonomischen Migranten und Migrantinnen mit fehlenden sofort übertragbaren Ressourcen. Normalerweise sammelt man vorher genauere Informationen über das Zielland, lernt die Sprache, generiert soziale Netzwerke. Eventuell sucht man auch schon Jobs. Bei Geflüchteten ist das nicht der Fall. Das sind Menschen, die häufig schnell und unerwartet ihre Häuser verlassen müssen. Sie haben keine Zeit oder keine Möglichkeit, die Sprache des Ziellandes zu lernen. Auch weil sie häufig gar nicht wissen, wo sie am Ende landen. Sie haben keine Möglichkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen oder Informationen zu sammeln oder in vielen Fällen überhaupt Dokumente mitzunehmen.

Zur Person

Prof. Dr. Yuliya Kosyakova, Forschungsbereichsleiterin Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (Quelle: IAB).
IAB

Yuliya Kosyakova

Kosyakova ist Professorin für Migrationsforschung an der Universität Bamberg und leitet gleichzeitig den Forschungsbereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Zusammen mit Herbert Brücker und anderen Partnern leitet sie die repräsentative Langzeitstudie "IAB-BAMF-SOEP Befragung von Geflüchteten in Deutschland", bei der die Lebenssituation von Geflüchteten systematisch erfragt wird [bamf.de].

Ist Sprache die Haupthürde für Menschen mit Fluchtgeschichte?

Eine der wichtigsten Hürden auf jeden Fall. Aber wir sollten auch über die Geschlechterunterschiede sprechen. Auf Frauen kommen zusätzliche Hürden zu. Sie haben häufig Bildungsabschlüsse, die sehr spezifisch für ein Land sind und arbeiten beispielsweise oft im Bildungsbereich. Wenn eine syrische Lehrerin kommt, die also die arabische Sprache gelehrt hat, dann ist es wirklich schwer, diese Kenntnisse und diese Qualifikationen auch hier anzuwenden und in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

Tun sich Männer leichter, ihre Fähigkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt einzusetzen?

In vielen Jobs, die überwiegend Männer machen, braucht man weniger oft Deutschkenntnisse auf hohem Niveau - beispielsweise im Bausektor oder als Lagerarbeiter. Das heißt, für Männer ist es oft einfacher, niedrigschwellig einzusteigen und sich dann über die Zeit zu verbessern.

Spielen Kinder bei den Geschlechterunterschieden am Arbeitsmarkt eine Rolle?

Frauen mit Kindern, insbesondere mit kleinen Kindern, arbeiten seltener. Das ist aber keine Besonderheit von geflüchteten Frauen. Das ist auch der Fall bei deutschen Frauen. Insgesamt werden die Frauen mit kleinen Kindern nicht verpflichtet, an den Integrationsmaßnahmen teilzunehmen. Das heißt, dass sie gegebenenfalls zu keinen Sprachmaßnahmen motiviert werden. Und das kann problematisch sein, weil Sprache natürlich gelernt werden muss.

Ausbildungen oder Berufsqualifikationen können in Deutschland anerkannt werden. Welche Rolle spielten sie für die Geflüchteten ab 2015 für den Einstieg in die deutsche Berufswelt?

Bei Geflüchteten, die 2015 und 2016 gekommen sind, ist das durchschnittliche Bildungsniveau niedriger als in Deutschland, insbesondere wenn wir über die Ausbildungsabschlüsse reden. Im Schnitt haben etwa 20 Prozent der Personen überhaupt einen Ausbildungs- oder Universitätsabschluss und können einen Antrag auf Anerkennung stellen. Häufig ist es auch so, dass viele Uni-Abschlüsse in Deutschland eher als Ausbildungsniveau übertragen werden.

Wie lange dauert es im Schnitt für geflüchtete Menschen, in Deutschland Arbeit zu finden?

Bis zum Übergang in die erste Tätigkeit dauert es durchschnittlich ungefähr doppelt so lange wie bei sonstigen Migrantinnen und Migranten. Das liegt einerseits an diesen fehlenden Ressourcen. Andererseits verzögern längere Asylverfahren den Übergang in den Arbeitsmarkt. Auch wenn man während eines Asylverfahrens Jobs aufnehmen könnte, ist das verbunden mit bestimmten bürokratischen Hürden. Und nicht alle Arbeitgeber sind bereit, diese Hürden zu bewältigen. Auch durch den Spracherwerb stehen die Personen dem Arbeitsmarkt erst nicht zur Verfügung: Die Integrationssprachkurse vom BAMF dauern mindestens sechs Monate. Bei Geflüchteten 2015-2016 gab es auch lange Wartezeiten bis zum Sprachkursbeginn – es fehlte an Lehrkräften und entsprechenden Strukturen. Wichtig ist, dass der Abschluss eines Integrationskurses die Arbeitsmarktintegration deutlich begünstigt.

Inwiefern kann es sinnvoll sein, diese Asylverfahren zu vereinfachen und zu verkürzen?

Es gibt nationale und internationale Studien dazu. Die Zahlen zeigen, dass es einen negativen Effekt von längeren Asylverfahren gibt. Ein etwa sechs Monate längeres Asylverfahren senkt die Übergangsrate in die erste Erwerbstätigkeit um elf Prozent und verzögert somit die Integration in den Arbeitsmarkt.

Wie hoch ist Ihrer Forschung zufolge die Motivation der Geflüchteten, die sich entscheiden, hier zu bleiben, Arbeit zu finden?

Bei den 2015/ 2016 gekommenen Menschen, die noch keine Arbeit hatten, war die Motivation laut unserer Studie sehr hoch: Ungefähr 80 Prozent der Befragten sagten, sie wollten hier unbedingt oder zumindest wahrscheinlich arbeiten. Es gibt viele Hilfsorganisationen und Vereine, die dabei helfen wollen, eine Arbeit zu finden.

Welche Rolle spielen solche Angebote?

Die Studienergebnisse zeigen, dass ein sogenanntes Mentoring eine wichtige Rolle beim Spracherwerb spielt - insbesondere, wenn das durch die Kontakte zu einheimischen, also deutschen Personen passiert. Kolleginnen vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim haben für eine Studie zu der Rolle des bürgerlichen Engagements solche Initiativen untersucht. Sie fanden heraus, dass das einen positiven Effekt auf die Arbeitsmarktintegration hat [zew.de].

Ein Hindernis ist die Wohnsitzauflage für Geflüchtete. Welche Rolle spielt diese bei der Integration in den Arbeitsmarkt?

Die Wohnsitzauflage kann einen negativen Effekt haben. Die Menschen werden häufig in die strukturschwachen Regionen zugewiesen, also in Regionen, die viel Wohnraum, aber kaum Jobs haben. Auch als anerkannte Geflüchtete müssen sie für die nächsten drei Jahre nach dieser Anerkennung an diesem zugewiesenen Ort bleiben. Die Studienergebnisse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung weisen auf einen negativen Zusammenhang zwischen Wohnsitzauflage und Erwerbstätigkeitswahrscheinlichkeit hin.

Was muss sich in Deutschland ändern, damit Geflüchtete leichter eine Arbeit finden?

Einerseits müssen gewisse Prozesse beschleunigt werden, damit die Geflüchteten schneller und einfacher in den Arbeitsmarkt einsteigen können: zum Beispiel die Asylverfahren, die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen, aber auch eine Verbesserung der Sprachkurs-Angebote. Speziell für Frauen ist es wichtig, dass die Kinderbetreuung mitgedacht wird. Eventuell kann man hier überlegen, Online-Sprachkurse anzubieten, damit man besser Familie und Spracherwerb vereinbaren kann.

Andererseits braucht es auch Geduld und Verständnis für Geflüchtete. Es fehlt ihnen an Ressourcen. Da braucht es eben ein wenig länger, um sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Und wenn wir die Situation von Ukrainern und Ukrainerinnen heute mit den Personen vergleichen, die 2015/2016 gekommen sind, sehen wir, dass sie ohne Asylverfahren, also mit viel weniger bürokratischen Hürden in Deutschland aufgenommen werden. Und ich würde mir wünschen, dass das auch für andere Geflüchtete übernommen werden kann: das Ankommen hier weniger aufwendig zu gestalten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Linh Tran für rbb|24.

Sendung: rbb24 Abendschau, 20.06.2023, 19:30 Uhr

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