Unternehmerinnentag - Warum zwei Berliner Tischlerinnen nur Frauen und nicht-binäre Menschen einstellen

Fr 06.10.23 | 06:09 Uhr | Von Ann Kristin Schenten
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Illustration: Ein Holzhobel liegt an einer Berufsschule auf einem Tisch. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)
Video: rbb24 Abendschau | 06.10.2023 | Christina Rubarth | Bild: Sebastian Gollnow/dpa

Nur jede dritte Firma in Berlin wird von einer Frau gegründet. Der Unternehmerinnentag macht darauf aufmerksam. Zwei Berlinerinnen stellen für ihr Unternehmen bewusst nur Frauen und nicht-binäre Mitarbeiter:innen ein. Von Ann Kristin Schenten

Tischlerin Jule Kürschner wollte sich ihr Arbeitsumfeld immer selbst aussuchen. "Ich wollte entscheiden, mit wem ich arbeite, und ich wollte eben nur mit Frauen arbeiten". Deswegen entschied sie sich für die Selbstständigkeit. Mit ihrer Geschäftspartnerin Christina Pech habe sie eine Frau gefunden, die sich auf diese Idee einlassen wollte, sagt Kürschner. "Wir haben unsere Kompetenzen gebündelt, und unsere Vision gemeinsam verfolgt." Vor sieben Jahren gründeten sie die "Tischleria", der Betrieb hat sich auf die Herstellung individueller Möbel spezialisiert.

Frauen gründen seltener

In Berlin wird nach Angaben der Wirtschaftsverwaltung nur jedes dritte Unternehmen von einer Frau gegründet. Bundesweit stagniert der Anteil der Gründerinnen aktuell bei knapp 20 Prozent. Unternehmen, die von Frauen geführt werden, sind also immer noch in der Unterzahl. Die Tischlermeisterinnen Jule Kürschner und Christina Pech haben vor der Gründung ihrer "Tischleria" schon über zehn Jahre Berufserfahrung als selbstständige Handwerkerinnen gesammelt. Der eigene Betrieb war dennoch eine neue Herausforderung, sagen sie.

Das Handwerk ist eine männerdominierte Branche. 2021 haben 19 Handwerker:innen ihre Meisterprüfung abgelegt, nur zwei davon waren weiblich. Ein Nachwuchsproblem gibt es in der "Tischleria" allerdings nicht: "Wir haben überhaupt keine Probleme, Auszubildende zu finden", sagt Jule Kürschner. In der Werkstatt arbeiteten mittlerweile vier Angestellte und zwei Auszubildende. Sie bezeichnen sich alle als weiblich oder non-binär, wie Kürschner sagt.

Infobox

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) [gesetze-im-internet.de] besagt, dass Stellenausschreibungen so verfasst sein müssen, dass sich jeder objektiv geeignete Bewerber angesprochen fühlen kann und niemand unter anderem wegen seines Geschlechts ungleich behandelt werden darf. Allerdings gibt es einen Zusatz des Gesetzes, der besagt, dass eine unterschiedliche Behandlung zulässig ist, wenn bestehende Nachteile ausgeglichen werden sollen.

Keine Angst vor Vorurteilen

Die 26-jährige Wiebke Vogel macht hier seit einem Jahr ihre Ausbildung: "Ich wollte in einen Betrieb gehen, in dem ich mich sicher und gut behandelt fühle. Ich hatte Angst, mit Vorurteilen konfrontiert zu werden. In einem Betrieb, in dem nur Frauen arbeiten, habe ich gedacht, dass ich erwarten kann, dass ich eine Grundsicherheit habe und das ist auch einfach genauso."

Mitarbeiterin Amanda Baker erzählt: "Bevor ich hierhergekommen bin, habe ich viel auf dem Bau mit Männern gearbeitet. Hier wird mir viel mehr zugetraut und nichts aus der Hand genommen. Ich habe so viel mehr Fortschritte als Handwerkerin gemacht."

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Doch vor allem Frauen mit Kinderwunsch stoßen bei handwerklichen Berufen, wie etwa dem Tischlern, an ihre Grenzen, sagt Co-Chefin Christina Pech. Der Lärm, die Stoffe, die Tatsache dass man lange stehen müsse - viele Frauen seien dann "eine sehr lange Zeit raus aus dem Beruf".

Nach der Ausbildung machen sich daher viele Frauen nicht selbstständig. Natürlich kann sich auch die "Tischleria" nicht von diesem Problem frei machen. Trotzdem versuchen sie etwa Mitarbeiterinnen mit Kindern entgegenzukommen und bieten flexible Arbeitszeiten an. Für alle gilt die Vier-Tage-Woche. Die beiden Unternehmerinnen wollen in Sachen Selbstständigkeit Mut machen: "Wir wollten immer zeigen, dass es geht, und Frauen dazu bewegen, es auch tun. Viele, die bei uns die Ausbildung gemacht haben, sind im Handwerk geblieben und haben sich später selbstständig gemacht", sagt Jule Kürschner.

Drei Umzüge in sieben Jahren

Es gebe aber auch Situationen, die Christina Pech und Jule Kürschner als Unternehmerinnen an ihre Grenzen bringen. Dreimal musste die "Tischleria" in den vergangenen sieben Jahren umziehen. Der erste Mietvertrag in der Elsenstraße in Neukölln wurde nicht verlängert, dann ging es nach Schöneberg, auch hier wurden sie irgendwann gekündigt, wie sie sagen. "Diese vielen Kündigungen für Werkstatträume und die Umzüge, das war, als würde man immer wieder zurückgeworfen werden, als müsste man neu gründen müssen – allerdings ohne Startkapital", erzählt Jule Kürschner.

Nun – in Berlin-Lankwitz – hätten sie wieder nur einen befristeten Mietvertrag abschließen können. "Wir zweifeln immer wieder an der Selbstständigkeit", erzählt Christina Pech, "doch zum Glück immer abwechselnd, wenn die eine nicht mehr kann, dann sagt die andere, dass es doch weiter geht." Mittlerweile haben sie eine Immobilie gefunden, die sie genossenschaftlich erwerben wollen, um nicht mehr umziehen zu müssen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.10.2023, 10:35 Uhr

Beitrag von Ann Kristin Schenten

27 Kommentare

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  1. 27.

    Sehen sie sich einfach die Webseite an. Das ist gutes Handwerk.

  2. 26.

    Im Artikel lese ich den Satz:
    "Vor sieben Jahren gründeten sie die "Tischleria", der Betrieb hat sich auf die Herstellung individueller Möbel spezialisiert."
    Der bediente Markt beschreibt der Satz sehr schön. Ob alles, auch die Waschmaschine in den 3. Stock oder höher, stets mit Muskeln Kraft erfolgen muß, oder es auch andere Wege gibt, ist das immaterielle Betriebskapital, der Unternehmerin.
    Der Artikel beschreibt hier ein Unternehmen, mit seinen Besonderheiten. Und einige Kommentare sehen den Untergang des ... Nun, ist so!
    Den Unternehmerinnen wünsche ich stets schöne und erfolgreiche Momente, sowie stets einen guten und erfolgreichen Jahresabschluss.

  3. 25.

    "Ein guter Beitrag zum Abschaffen von Gleichbehandlung. Jetzt geht der Kampf wieder von vorn los." Ich staune sowieso, daß nicht massenweise Frauen auf der Straße sind und protestieren. Durch diese ganzen Vorgänge um die Geschlechter etc. werden doch bereits (und immer schneller) ehemals hart erkämpfte Frauenrechte immer weiter gerade wieder abgeschafft.

  4. 24.

    Das was diese Tischlerinnen bauen ist eh nur Hipsterzeug. Das hat mit Tischlerei kaum was gemeinsam. Sondern mit Influenzen.

  5. 23.

    "So etwas ist überhaupt nicht zulässig. Menschen wegen des Geschlechts abzulehnen." Haben Sie schon einmal eine Ablehnung einer Bewerbung bekommen oder gar selbst geschrieben, wo als Grund drinnen stand, daß die Ablehnung wegen des Geschlechts ist? Wer, denken Sie, gibt einen solchen Grund in einer Ablehnung an?

  6. 21.

    " Bei anderen Arbeitgebern muss es ja z.B. m/w/d heißen, sonst wäre es diskriminierend. "

    das finde ich absurd , wenn ich als Arbeitgeber eine weibliche MA suche, will ich keinen männl. MA oder divers. Was ist daran diskriminierend ? in der Praxis wird es so aussehen, dass das Angebot . m/w/d heißt, die Stelle bekommt aber eine Frau

  7. 20.

    Antwort auf "Männlicher Bürger " vom Freitag, 06.10.2023 | 09:15 Uhr
    "Einstellungen sind aber immer Chefsache und warum sollte Sie sich da durch irgendwelche Kruemelkacker reinreden lassen." Genau, und Arbeitgeber wissen auch, wie Sie Absagen formulieren müssen, um sich nicht dem Vorwurf der Diskriminierung auszusetzen.

  8. 19.

    Ich weiß nicht, wie laut der Protest würde, wenn jemand anderes explizit nur Männer einstellen würde.
    Konsequent wäre, nur Aufträge von Frauen anzunehmen.
    Aber immerhin: Viel Erfolg!

  9. 18.

    Sorry, aber so nicht. Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt werden. Was ist mit einem schwulen Mann? Sie dürfen Frauen allenfalls bevorzugen, aber Männer grundsätzlich ausschließen geht nicht. Frauenförderung ist eine Sache, hier gehts aber offensichtlich um anderes. Pauschal zu sagen, Männer würden stören isr so etwas von daneben.

  10. 17.

    Daß man klagen kann, garantiert nicht den Erfolg einer Klage.

  11. 16.

    Männer verletzen also Ihrer Meinung nach prinzipiell im Tischlerberuf die Intimsphäre von Frauen? Oder Frauen werden im Beruf grundsätzlich von Männern bedroht, sodass ein Schutzbedürfnis besteht?

    Ein Interesse an Gleichbehandlung besteht bei einem abgelehnten männlichen Bewerber sicherlich.

    Ich will kein Tischler mehr werden und wünsche dem Projekt an sich besten Erfolg. Männer-Bashing ist im Moment allerdings hip. Das gefällt mir als Vater von 4 wohlerzogenen Söhnen natürlich nicht wirklich.

  12. 15.

    Ein guter Beitrag zum Abschaffen von Gleichbehandlung. Jetzt geht der Kampf wieder von vorn los.

  13. 13.

    Was ist das für ein Gebaren, wenn man die Netiquette einhält und die schlechte und vor allem unpassende Grammatik hier kritisiert und dann nicht veröffentlicht wird? Dies verstößt gegen alle journalistischen Grundsätze. Es bestätigt den Verdacht des moralischen Haltungsjournalismus, wie er nicht gewünscht ist. Es passt eigentlich nicht zum Selbstverständnis des rbb.

  14. 12.

    Im Artikel steht ja nicht, dass sie es verbieten. Also ich lese nur, dass die eine Tischerlerin eine Firma mit nur einer Frau gründen wollte. Da sie selber entscheiden kann mit wem sie eine Firma gründet, spricht also nichts dagegen.
    Die Überschrift ist etwas daneben, weil im Artikel steht rein gar nichts über das Einstellverhalten.

  15. 11.

    Da irren Sie sich. So etwas ist überhaupt nicht zulässig. Menschen wegen des Geschlechts abzulehnen. Die Arbeitswelt ist kein privater Raum.

  16. 10.

    wenn ein Er absolut nicht in den Betrieb Passt ist das auch in Ordnung und das männliche Ego braucht sich nicht auf den Schlips getreten fühlen.
    Ich persönlich habe im Handwerk gut mit dem weiblichen Geschlecht zusammen gearbeitet,weil es da oft um Verstand und nicht um Mukis geht.
    Einstellungen sind aber immer Chefsache und warum sollte Sie sich da durch irgendwelche Kruemelkacker reinreden lassen.

  17. 9.

    Nun ja - ganz so einfach ist nun doch wieder nicht. Klar gelten für alle Gesetze (und selbst Grundrechte) auch immer Einschränkungen. Aber: Solche Einschränkungen dürfen das Gesetz nicht dem Wesen nach unwirksam machen, und daher gibt es klare rechtliche Vorgaben, was genau z.B. Intimsphäre und persönliche Sicherheit angeht. Da genügt es eben nicht, zu sagen "ich fühle mich in Gegenwart von Männern/Ausländern/etc. pp. unwohl". Es müsste eine ganz konkrete Beeinträchtigung nachgewiesen werden.

  18. 8.

    AGG:
    § 20 Zulässige unterschiedliche Behandlung
    (1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen ... oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung
    1. ...
    2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt,
    3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt,
    4. ...

    Solange es Frauen und nichtbinären Menschen in den männerdominierten Tischlereien so schwer gemacht wird, darf ein Betrieb mit dieser Schutzrichtung m.E. auch diese Mitarbeitergruppen bevorzugen. Kein Gesetz gilt absolut, sondern enthält Abwägungnen und Ausnahmen. Gut so.

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