Die Rolling Stones in der Waldbühne - Die Geschichte der Stones ist auch die von Berlin - oder war es andersherum?

Di 02.08.22 | 17:37 Uhr
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Archivbild: "The Rolling Stones" am 16.09.1970 in der Deutschlandhalle in Berlin (Quelle: dpa/Joachim Barfknecht)
Audio: rbb Kultur |03.08.022 | Jens Lehmann | Bild: dpa/Joachim Barfknecht

Als Vandalen beschimpfte man sie, nachdem die Stones 1965 die Waldbühne als Trümmerhaufen zurückließen. Zurückgekommen sind sie trotzdem. Und jedes Mal haben sie die Stadt ein bisschen verändert - oder hat die Stadt die Stones verändert? Von Helmut Heimann

Ach, was waren das noch schöne, unbeschwerte Zeiten, als die Welt noch keine Ahnung von Sachen wie der Klimakatastrophe, dem Coronavirus oder gekappten Gaslieferungen hatte und Hertha sich noch nicht mit der Relegation rumschlagen musste. Es gab Zeiten, da beschränkten sich die Probleme des Alltags auf die Frage, ob man (oder frau) Beatles-Fan ist oder eher auf die Stones steht.

Das Leben schien von schwarzweiß auf bunt zu schalten, der Anbruch einer neuen, besseren Zeit lag in der Luft, und die Pop-, explizit auch die Rockmusik, wurden schnell zum Katalysator für Veränderungen. Die angebliche Rivalität zwischen den zwei führenden Bands jener Tage, den eher braven Beatles und den wilden, ungekämmten Rolling Stones war zwar aus Publicity-Gründen hochgespielt, fußte aber bis zu einem gewissen Teil schon in der Realität, beziehungsweise beeinflusste diese auch.

So gesehen waren zum Beispiel die Ausschreitungen im Umfeld des legendären Auftritts der Stones in der Waldbühne im September 1965 Wasser auf die Mühlen sowohl der spießbürgerlichen Ordnungsfanatiker ("Durchgedrehte Vandalen, alle") als auch eine Bestätigung des Rebellencharakters gegen die tägliche Frustration seitens der Jugend ("I Can't Get No Satisfaction"). Im ersten Konzert in der Waldbühne (Eintritt: 10 D-Mark!) und in seinen Folgen mag man (oder frau) auch die sich anbahnende Jugendrebellion der Sechziger Jahre erkennen und die "Street Fightin"-Szenen der 68er am Horizont - mit Berlin als Hochburg.

Glamour im Umfeld des Bahnhofs Zoo

Apropos Geschichte: Die Beatles (die sich übrigens nie in Berlin haben blicken lassen!) lösten sich auf, die Stones wurden zur "Greatest Rock&Roll Band On Earth", Mick Jagger verkehrte in High-Society-Kreisen (und ist inzwischen ja auch zum "Sir" geadelt), während sein "Glimmer Twin" Keith Richards der berühmteste Junkie der Welt war und eine Zeit lang der höchstgewettete nächste Rockstar-Tote.

Allerdings achtete er auch stets auf die Qualität seines Stoffs. Am Bahnhof Zoo, dem Treffpunkt der Schmuddelkinder jener Jahre, in denen Berlin (West) sich an die Mauer gewöhnt und es sich im Business-as-usual-Modus bequem gemacht hatte, sah man ihn also eher nicht rumlungern. Sein Domizil bei den Berlin-Besuchen jener Tage war ein Luxus-Hotel, in dem er anlässlich der Stones-Auftritte in der Deutschland-Halle logierte. Und auch die hat er inzwischen überlebt.

Berlin wächst zusammen - Die Stones dann irgendwann auch wieder

In den Achtziger Jahren, als Berlin (West) Hausbesetzungen, Hausräumungen und Häuserkampf-Demos an der Tagesordnung waren, der Westteil der Stadt sich ansonsten im Subventionssumpf suhlte und im Osten langsam Unmut zu gären begann, sah sich die Band dann in der ersten wirklichen Krise ihrer Karriere.

Zwar begannen sie noch einigermaßen schwungvoll, machten einige Alben, die sie auf Welttouren promoteten, 1982 kehrten sie dabei auch in die renovierte Waldbühne zurück, (wo diesmal alles heil blieb). Als aber Mick Jagger Mitte des Jahrzehntes meinte, seine Solo-Ambitionen ausleben zu müssen, rückte eine Trennung mehr und mehr in den Bereich des Möglichen, zumal auch Keith Solo-Pfade beschritt. Erst, als sich herausstellte, dass die Rolling Stones wohl doch mehr waren als die Summe ihrer Einzelmitglieder, raufte man sich zusammen und ging mit einem neuen Konzept in die zweite Halbzeit. Etwas, dass der DDR mangels Anpassungsfähigkeit verwehrt geblieben ist...

Ab 1989/1990 vermarkteten The Rolling Stones sich als "lebende Legende" und zogen ihre Show fast ausschließlich in den großen Stadien des Planeten ab (oder auch mal auf freiem Feld, wie 1990 bei zwei Auftritten in Weißensee (gerade noch so Ost-Berlin), wo sie zusätzlich zum Olympiastadion (Berlin-West) spielten. Berlin, wir erinnern uns, war damals ja der Hotspot, und natürlich wollten auch die Stones dabei sein, bei der großen Mauerfall-Orgie.

Wie die Stones seit fast 60 Jahren Berlin rocken

Die Stones und ihre "historische Mitte" - Gassenhauer auf der Setlist

Die Shows waren - ähnlich wie die Reichstagsverpackung von Christo - äußerst spektakuläre Angelegenheiten. Auf gigantischen, mit jeder Menge Gimmicks ausgestatten Bühnen (riesige aufblasbare Honky-Tonk-Women-Püppchen oder böse Hunde, denen Mick mit einem Baseballschläger die Eier polierte) und mit eindrucksvollen Lichteffekten.

Die Massen strömten zum Spektakel. Und das musikalische Programm war auf Massen abgestimmt. Stücke von den neuen Alben (ja, die machten sie damals noch) waren dünn gesät, die Menschen hatten schließlich ihr vieles Geld nicht für "Sparks Will Fly" hingeblättert, sondern wollte die alten Hits hören: Gassenhauer wie "Satisfaction", Klassiker wie "Gimmie Shelter" oder "Midnight Rambler", die 10-minütige Blues-Oper.

Das gilt im Prinzip bis heute. Wobei die Gewichtung sich eher noch Richtung "Altes" verschoben hat. Auf der aktuellen "60"- Tournee zum Betriebsjubiläum findet sich nur ein Song aus diesem Jahrtausend auf der Setlist: "Ghost Town", ein vor zwei Jahren im Corona- Lockdown erschienenes Stück. Der Rest des Programmes setzt sich zum allergrößten Teil aus 60er- und 70er-Jahre-Material zusammen.

Die Magie wirkt immer noch

60 Jahre sind die Stones im Business: "There's the sun, the moon - and The Rolling Stones". Der Spruch von Keith mag etwas hochgegriffen sein, aber es ist klar, was er meint. Für viele ihrer Fans ist die Band ein Begleiter ihres Lebens, der Phasen und Veränderungen widerspiegelt.

Natürlich hat alles mal ein Ende - wie die Stones selbst im letzten Jahr erfahren mussten, als Charlie Watts gestorben ist. Mick und Keith sind jetzt die einzig übrig geblieben Gründungsmitglieder, und nicht alle waren begeistert von der Entscheidung, ohne Charlie weiterzumachen. Aber: Die Steine rollen weiter. Mit etwas gebremsten Elan vielleicht, aber die Magie wirkt noch, bei entsprechend geneigten Menschen.

Hurra, wir leben noch!

"Berlin bleibt doch Berlin" besagt der Spruch, mit dem Zähigkeit und Durchhaltevermögen gefeiert werden. Zwei Eigenschaften, die man (und frau) definitiv auch The Rolling Stones zuschreiben darf. Wenn sie am Mittwoch zum fünften Mal - nach 1965, 1982, 1998 und 2014 - durch die Waldbühne rollen werden, zum spät hinzugefügten Abschlusskonzert ihrer 60-Tour. Es wird womöglich das letzte Mal sein.

Alt sind die Herren geworden - ein ehrwürdiges Monument, dessen Besichtigung die Menschen sich einiges kosten lassen müssen. Das Leben wird halt immer teurer. Aber: Hurra, wir leben noch!

Sendung: radioeins, 02.08.2022, 16:15 Uhr

10 Kommentare

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  1. 10.

    Tja, die Stones waren nach drei Liedern weg, weil von Anfang an randaliert wurde, und Gegenstände durch die Luft flogen.
    Eine Rechrche hilft da weiter, kann sein, dass Sie es nicht mitbekommen haben

  2. 9.

    Das stimmt so ja nun nicht: wir wollten alle die Stones hören und sehen - aber die brachten 3 Songs und dann waren sie weg.
    Da ist ein Teil der Zuschauer ausgerastet. Wir hatten Mühe, heil da rauszukommen..

  3. 8.

    Das Konzert musste abgebrochen werden, weil die Fans von anfang an randalierten, und die Waldbühne zerlegen wollten, was ihnen auch gelang. Sie waren wohl keine Fans, sondern sie kamen um zu randalieren.

  4. 7.

    Ganz dumme Frage: könnten Sie einem zu spät Geborenen bitte mal erklären, warum 1965 das Konzert nach 20 Minuten abgebrochen wurde? In den heutigen Beschreibungen liest es sich so, als hätten die enttäuschten Fans darauf hin randaliert. War es so? Dann hätten doch die Musiker nicht geleistet, wofür sie bezahlt wurden.

  5. 6.

    Berlin?? Sie meinen wohl eher West-Berlin. Davon ist aber heute ebenso wenig übrig geblieben, wie von der Musikgeschichte der Stones wie ihrer legendären Waldbühnenschlacht. Es waren ganz andere Zeiten. Heute verklärt sich das alles eher hinter Rammstein und Freiwild!

  6. 5.

    Als ehemaliger West-Berliner habe ich 1990 die Rolling Stones zweimal gesehen.
    Im altehrwürdigen Olympiastadion und in Weißensee auf der Rennbahn. Ich weiß noch, dass es schwierig war, von der Rennbahn nach Hause zu kommen. Kein Taxifahrer wusste so richtig bescheid, ob er "drüben" Fahrgäste für die Rücktour aufnehmen darf. Abenteuerliche Wendezeit. Heute bin ich zum 12. Mal dabei. Wohl auch zum letzten Mal.

  7. 4.

    .. na dann mal ab nach Leipzig! Aber mit dem Trabi.
    Ich habe mir die Stones, nicht als Fan, aber aus der Furcht heraus, sie könnten nicht mehr lange machen, 1977 in der Deutschlandhalle angesehen. War ganz schön teuer: 24 D-Mark...

  8. 3.

    1990 als ehemaliger Ostdeutscher im Olympiastadion live dabei zu sein, das war ein Befreiungsschlag. Schade das unsere Freiheit durch die heutigen gesellschaftlichen Umstände, wieder sehr zu Wünschen übrig lässt.

  9. 2.

    1998 war ich im Olympiastadion......ich werde es nie vergessen.

  10. 1.

    Ich habe zwar keine Tickets, aber da mein Arbeitsplatz in der Nähe ist......ich freue mich darauf das sie da sind. Der Soundcheck ist meins.:-)

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