Theaterkritik | Neues Programm in der "Distel" - Ist es wirklich schon zu spät?

Mo 17.10.22 | 08:54 Uhr | Von Hans Ackermann
Kabarett-Theater DISTEL | Wer hat an der Welt gedreht | v.l. Nancy Spiller, Stefan Martin Müller, Frank Voigtmann (Quelle: © Robert Jentzsch)
Audio: rbb24 Inforadio | 17.10.2022 | Hans Ackermann | Bild: © Robert Jentzsch

Seit 1953 wirft man im Kabarett "Distel" einen satirischen Blick auf die politischen Themen der Zeit. "Wer hat an der Welt gedreht?" heißt das neue Programm, das am Wochenende uraufgeführt wurde. Hans Ackermann war dabei.

"Wer hat an der Welt gedreht" - dieser Titel des neuen Programms in der "Distel" ist natürlich eine Variation von "Wer hat an der Uhr gedreht". 1973 wurde genau diese Frage immer am Ende der lustigen Zeichentrickserie "Der rosarote Panther" gestellt, daran anschließend die noch viel bedeutsamere Frage: "Ist es wirklich schon so spät?".

Unausgesprochen schwebt diese Befürchtung auch über dem Kabarett-Abend. Ganz ohne Zweifel ist es für uns Menschen schon sehr spät, eigentlich kann im Angesicht von Corona, Krieg und Klimawandel nur noch ein grünes Wunder helfen.

Grüne im Stresstest

"Doch die Grünen sind nicht mehr das, was sie mal waren - davon handelt die gesamte erste Hälfte des neuen Programms. Grüne Themen, grüne Politik - alles durch den Krieg deformiert und kaum noch wieder zu erkennen: "Ströbele, Vollmer, Trittin waren die Schamanen der Bundesrepublik Deutschland" erinnert sich "Stefan" (Stefan Martin Müller), "Die haben alles Subversive abgelegt", fährt "Frank" (Frank Voigtmann) fort, "und pflegen nur noch ihre Identität. Wie früher die Spießer ihren Vorgarten."

Zurück in die 90er

Stundenlang könnten sich "Frank", "Stefan" und "Nancy" (Nancy Spiller) aufregen, auch über "diesen Hofreiter" und seine grünen Rüstungspläne. Oder über "Habeck, der mit der Taschenlampe in der Hand eigenhändig die Atomkraftwerke einschaltet".

Undenkbar wäre so etwas früher gewesen, empören sich die drei und singen ein Lied über die guten alten Zeiten. Damals, als die politischen Lager und die ideologischen Unterschiede noch klar zu identifizieren waren: "Die Rechten und die Linken, konnten sich nicht leiden und waren auch noch gut zu unterscheiden" singen die drei, "Heute spielt die Welt ein Narrenstück, ich wünsch’ mich in die 90er zurück."

Muntere Collage

Eine muntere Collage haben die beiden Autoren zusammengestellt, Robert Schmiedel und Frank Voigtmann - der als "Frank" nicht nur selbst mitspielt, sondern auch eine besonders in der zweiten Hälfte temporeiche Regie führt. Ein kabarettistischer Tausendsassa, der sogar Elon Musk im Originalton vorkommen lässt. Damals, als der Milliardär im Beisein von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet den Brandenburgern vor laufenden Fernsehkameras weismachen wollte, wie regenreich ihre Region ist.

Öffentliche Leseprobe

Prominente und Parteien bekommen die Stacheln der Distel zu spüren: die Grünen, die Schwarzen, die Rechten und - allerdings etwas weniger - auch die Linken. Alles was in den letzten Jahren passiert ist - und in der jüngsten Vergangenheit die Menschen besorgt - wird an diesem frei assoziierten Abend in einem offenen Setting zur Diskussion gestellt: das Publikum wohnt einer imaginären "Leseprobe" eines neuen Programms bei. Die drei Darsteller werden dabei von zwei Musikern (Fred Symann, Matthias Lauschus) unterstützt - bis die ganze Truppe am Ende auseinanderfällt, weil der Schlagzeuger ein lukratives Angebot "aus dem Westen" bekommen hat. Nun müsse man aufpassen, heißt es sinngemäß im Text, "dass die Distel nicht bald pleite geht".

Hörerinnen und Hörer

Die mit größter sprachlicher Finesse konstruierten kabarettistische Attacken treffen jugendliche Veganer, genauso wie alte Männer, die ein ererbtes Vermögen in ihren riesigen Wohnungen im Prenzlauer Berg verprassen.
Verschont wird an diesem Abend auch das Radio nicht - wenn Frank Voigtmann mit köstlicher Ironie über die etwas sperrige Kombination aus "Hörerinnen und Hörern" philosophiert: "Heute gehört es sich, dass wir als Hörer auch Hörerinnen im Radio hören" beginnt er eine lange Wortkaskade, bei der sich am Ende "unerhört" auf "empört" reimt - und der Sprachvirtuose aus Leipzig für seine Variationen über das Gendern großen Beifall bekommt.

Keine Problemlöser

Das Problem einer progressiven, geschlechtergerechten Sprache lösen die Distel-Kabarettisten an diesem Abend allerdings nicht, sondern bleiben ihrem Grundsatz, eben keine einfachen Lösungen zu bieten in ihrer äußert kurzweiligen Show bis zum Ende treu.

Krieg, Corona, Klimawandel und Christian Lindners Porsche - derart vorzügliches politisches Kabarett kann auf der Bühne nur mit kräftiger Übertreibung zeigen, wie schlimm alles schon ist. Den Ausweg aus der Krise müssen wir gefälligst selbst finden.

Sendung: rbb24 Inforadio , 17.10.2022, 6:55 Uhr

Beitrag von Hans Ackermann

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