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Audio: rbb24 Inforadio Podcastserie | 29.10.2023 | Harald Asel, Matthias Schirmer | Quelle: Transocean/DRA

29. Oktober 1923

Hundert Jahre Radio und acht Irrtümer zur Entstehungsgeschichte

Die Geschichte des Radios begann am 29. Oktober 1923 in einer Dachkammer im Berliner Voxhaus, heißt es oft. Doch das ist nur eins von mehreren populären Irrtümern, die in Mythen rund um die Entstehungsgeschichte des Radios stecken.

Irrtum 1: Das Radio startete in Deutschland

Nein. Am deutschen Radiogeburtstag vom 29. Oktober 1923 waren andere Länder schon sehr viel weiter, vor allem die USA, Großbritannien und die Niederlande. Die BBC (British Broadcast Corporation) existierte bereits seit einem Jahr. In den Gründungsjahren war sie keineswegs journalistisch unabhängig, sondern vielmehr ein kommerzielles Rundfunkunternehmen. Bereits mehr als 500 Radiosender existierten zu dieser Zeit in den USA. Sogar Autoradios wurden dort schon gebaut.

Das erste Radio von Deutschen für Deutsche sendete das Militär: 1917 machte der Vater des deutschen Radios Hans Bredow erste Programme. In der Nähe des französischen Reims moderierte der Hochfrequenz-Ingenieur Live-Musik für Soldaten in den Schützengräben. Das kam dort sehr gut an.

Irrtum 2: Deutschlands Radiogeschichte begann in Berlin

Auch das ist falsch. Brandenburg war Berlin in Sachen Radioentwicklung deutlich voraus: Das erste Hörfunkstudio wurde auf dem Funkerberg in Königs Wusterhausen eingerichtet. Nachrichten und Musik wurden von dort gesendet. Nach Ende des Ersten Weltkriegs ging der ansässige Militärsender 1919 an die Reichspost, die gemeinsam mit Wolffs Telegraphischem Bureau, der ersten Nachrichtenagentur Deutschlands, Radionachrichten entwickelten. Als Rundfunkdienst wurden diese Informationen innerhalb Deutschlands an 80 spezielle Reichspoststellen ausgestrahlt.

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Das Radio ist immer dabei – ob in der Küche, unter der Dusche oder im Auto. Vor 100 Jahren, genauer am 29. Oktober 1923, wurde die erste Radiosendung in Deutschland ausgestrahlt. Ein Rückblick auf die Meilensteine des Hörfunks. Von Sebastian Hampf

Irrtum 3: Die erste Radio-Unterhaltung kam aus dem Voxhaus

Auch falsch, denn auch die erste deutsche Studio-Unterhaltungssendung kam aus Königs Wusterhausen. Nachrichten an Postdienststellen weiterzugeben, war den Brandenburger Postfunkern schnell zu langweilig. Außerdem wussten die Telegraphenbeamten, dass ihnen etliche andere Funkstationen, Marineleute und Hobbyfunker unerlaubt zuhörten. Und so wurde am 22. Dezember 1920 um 14 Uhr nachmittags ein improvisiertes Weihnachtskonzert vom Funkerberg gesendet. Daraus entwickelten sich bald regelmäßige Konzert- und Schallplattenübertragungen. Hören konnten das aber nur wenige Profis, nicht das breite Publikum.

Irrtum 4: 1923 entstand das öffentlich-rechtliche Radio

Keineswegs. Das erste richtige und dauerhaft angelegte Radioprogramm war kommerziell. Es wurde von der "Deutschen Stunde" gesendet – einer GmbH. Die "Deutsche Stunde" erhielt eine staatliche Lizenz, um für einen Teil Norddeutschlands Unterhaltung zu senden. Zunächst wurde aus dem Dachgeschoss im Voxhaus, einer Plattenspielerfabrik mit Tonstudios, gesendet. Der Grund war einfach: Das Haus lag zentral und hatte ein geeignetes Dach für die Funkverbreitung.

Radio im heutigen Sinne für Zuhörende zuhause sollte jedoch gar nicht gemacht werden. Die "Deutsche Stunde GmbH" sowie die nachfolgende "Funkstunde Aktien Gesellschaft" planten, das Radioprogramm in große Säle zu übertragen. Gegen Eintritt war dort "Musik aus dem Äther" zu hören: Live-Listening im Ohren-Kino sozusagen. Die bekannteste dieser Berliner Radio-Bezahl-Shows konnte im Lunapark am Halensee bestaunt werden, einem der bekanntesten Vergnügungsparks seinerzeit.

Irrtum 5: Das Radio war zu Beginn ganz unpolitisch

Nein. Dem damaligen Staatssekretär im Reichspostministerium, Hans Bredow, war wichtig, dass der Staat die technische Kontrolle über alle Sende- und Empfangsanlagen behielt. Hintergrund war der sogenannte Funkerspuk. Im November/Dezember 1918 besetzten revolutionäre deutsche Soldaten Funkstationen und verbreiteten am 9. November 1918, "die Revolution" habe in Berlin den Sieg errungen.

Und das noch bevor klar war, dass sowohl eine Demokratische Republik von Phillip Scheidemann als auch, kurz danach, eine freie Sozialistische Republik von Karl Liebknecht ausgerufen worden waren. Daher wollte Bredow verhindern, dass der Rundfunk in Zukunft politisch vereinnahmt werden kann. Er wollte auch die Radioempfänger kontrollieren: Legal waren nur Radios, die die Reichspost ausdrücklich erlaubte.

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Irrtum 6: Die Rundfunk Gebühr kostete damals 350 Milliarden Mark

Ja und Nein. Die erste Empfänger-Lizenz der Reichspost kaufte ein Mann aus Moabit. Der Zigarrenhändler Wilhelm Kollhoff aus der Turmstraße 47. Nur mit dieser Lizenz durfte er legal zuhören, schwarzhören war verboten. Während der Hyperinflation waren in Deutschland mehrere Währungen im Umlauf. Kollhoff musste für seine Genehmigung 25 Goldmark bezahlen, sie war 12 Monate gültig. Die Goldmark stammte aus der Zeit vor 1914 und war an ein bestimmtes Goldgewicht gebunden. Kollhoff bezahlte seine Lizenz jedoch mit Papiermark – am 31. Oktober 1923 musste er dafür den Gegenwert von satten 350 Milliarden auf den Tisch legen. So lässt es sich bis heute auf seiner Urkunde nachlesen.

Irrtum 7: Rundfunkteilnehmer Nummer Eins hörte als erster zu.

Völlig falsch. Wilhelm Kollhoff war keineswegs der erste Radiohörer in Deutschland. Das waren die Amateurfunker in den Jahren zuvor. Falsch ist aber selbst der Gedanke, "Rundfunkteilnehmer Nummer eins" hätte am Radiogeburtstag, am 29. Oktober 1923, Radio gehört. Seine Hörerlaubnis erwarb er erst zwei Tage später und musste dann noch einige Tage auf sein Radiogerät warten. Denn erst mit der Hörerlaubnis hatte er auch eine Radio-Kauferlaubnis. Kaum zu glauben, aber am Radiogeburtstag hörte niemand zu. Jedenfalls nicht legal.

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Irrtum 8: Die erste Rundfunkgebühr brachte nicht viel ein

Im Gegenteil. Die Rundfunkgebühr von zwei Mark pro Monat war für die kommerziellen Programmveranstalter und den Staat eine Goldgrube. Der Mannheimer Medienhistoriker Konrad Dussel hat das anhand der Berliner "Funkstunde-AG" genauer geprüft. Er stellte fest: Anfang April 1924 waren nur 600 Geräte in Berlin angemeldet. Zu Beginn verdienten Reichspost und Funkstunde AG jeweils nur 600 Mark mit Radio. Im Oktober, ein halbes Jahr später waren es schon 110.000 angemeldete Teilnehmer in Berlin. Damit stiegen die Einnahmen auf 55.000 Mark monatlich für die Funkstunde AG. Viel Geld für diese Zeit und um zu expandieren. 1925 hatte die Funkstunde AG so viel Geld, um das ganze Voxhaus zu kaufen, aus dem seit 1923 gesendet wurde.

Sendung: rbb24 Inforadio Podcast "Heute minus 100 - es geschah in Berlin", 29.10.2023, 07:00 Uhr

Beitrag von Matthias Schirmer

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