Interview | Jonas Schubert von OK Kid - "'The Show must go on' ist der beschissenste Satz, den es gibt"
Die Band OK Kid aus Gießen lebt inzwischen auf einem Hausboot in Berlin. Dort schreiben sie Songs, schippern über die Seen der Region und denken über Männlichkeit und mentale Gesundheit nach - das verrät Frontmann Jonas Schubert im Interview.
In OK Kid – das sind Jonas Schubert, Moritz Rech und Raffael Kühle. In ihrer neuen Single "Endlich wieder da wo es beginnt" setzt sich die Band mit Themen wie Männlichkeit, mentaler Gesundheit und den Auswirkungen der Pandemie auseinander. Warum diese Themen gerade so relevant sind und was Berlin damit zu tun hat, erzählt Frontmann Jonas Schubert im Interview.
rbb|24: Hallo Jonas. Eure neue Single heißt "Endlich wieder da wo es beginnt" – wo ist das denn?
Jonas Schubert: Für uns ist es so, dass wir nach zehn Jahren Bandgeschichte alles erlebt haben. Höhen wie Tiefen. Von zehn Jahren Bandgeschichte waren ein Drittel von Corona betroffen. Als wir letztes Jahr wieder auf Tour waren, mussten wir feststellen, dass wir seit knapp vier Jahren unterwegs waren – das ist in zehn Jahren Karriere sehr viel. Es fühlte sich wie ein Reset an. So als würden wir alles nochmal neu erleben. Das Schöne ist, ich habe mich noch nie so wohl auf der Bühne gefühlt.
Die Zeit in der Pandemie habt ihr genutzt, um euch in Berlin niederzulassen – und zwar auf dem Wasser?
Als wir während der Pandemie nicht in den Urlaub fahren konnten, haben wir Urlaub auf einem Hausboot gemacht. Ich fand das so geil, dass ich mir eins hab bauen lassen. Das heißt so wie unser Song und unser Festival "Stadt ohne Meer" heißen: "Boot ohne Meer". Denn es wird nie das Meer sehen. Wir schreiben auf dem Boot viele Songs und schippern über die wunderschönen Seen in und um Berlin und Brandenburg. Das ist echt toll.
In "Endlich wieder da wo es beginnt" setzt ihr euch auch mit dem Thema Männlichkeit auseinander.
Mein Eindruck ist, dass Männer sich nicht tiefer mit Dingen auseinandersetzen. Männer haben häufig ein Problem damit, sich nach außen eine Niederlage einzugestehen. Es wird ein Bier getrunken und dann ist es auch wieder gut. Genauso ist es mit der mentalen Gesundheit. Vielen Männern fehlt das Ventil, sich zu öffnen. Das lässt sich natürlich nicht pauschalisieren. Aber wenn ich in Köln-Ehrenfeld mit meinen Jungs rede, ist das anders, als in der Heimat auf dem Dorf mit den Jungs. Das hängt immer von der Bubble ab, in der man sich aufhält.
Was glaubst Du, woran das liegt?
Neulich saß ich mit der Band im Studio. Wir haben da festgestellt, dass wenn wir mit Freunden zusammen sind, wir zu 90 Prozent über Bullshit reden. Wir reden über die Vergangenheit und anderes Zeug - aber nicht über das, was uns wirklich bewegt und verletzt. Wenn ich dann mit meiner Frau rede, über was die sich mit ihren Freundinnen unterhält, ist das sehr tief und eine andere Qualität von sozialem Netz. Ich glaube, Frauen werden da anders aufgefangen in ihren Freundschaften. Das soll gar nicht nach Klischeekeule klingen, aber ich beobachte das so. Männer saufen Frust und Traurigkeit eher weg, statt drüber zu reden. Sehr viel wird da nicht aufgearbeitet.
Wie kam es dazu, dass ihr euch mit den Themen Männlichkeit und mentaler Gesundheit befasst?
Mit mentaler Gesundheit habe ich mich schon immer auseinandergesetzt. Das hört man besonders auf unserem ersten Album. Da fand viel Gefühlsachterbahn statt. Bei mir schwanken die Gefühle zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt in sehr kurzer Zeit. Ich hatte Phasen im Leben, in denen ich überhaupt nicht wusste, wohin ich wollte. Besonders die 20er fand ich ätzend. Ich war im Studium und wusste überhaupt nicht, warum ich das mache. Musik war meine Rettung. Dabei war immer in meinem Kopf: Ich bin nicht genug. Was ich tue, reicht nicht aus.
Woher kommt das?
In das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, passte ich nicht rein. Ich war handwerklich nicht begabt, ich war nicht besonders souverän und ich habe mich anders angezogen als die anderen Jungs. Ich bin mit zwei älteren Schwestern und meiner Mutter aufgewachsen, mein Vater war viel arbeiten. Ich war dadurch sehr feminin geprägt. Ich habe zu allem "süß" gesagt, habe Cola light getrunken, wofür ich ausgelacht wurde. Ich habe mir die Haare langwachsen lassen und die Wimpern aus Spaß getuscht, um zu provozieren. Ich habe schon damals gegen das klassische Männerbild, das wir beigebracht bekommen, rebelliert: Ich baue mit meinen Händen ein Haus, ich bin bei der Feuerwehr, ich saufe Bier auf ex. Ich habe mir schon früher am Kiosk ein Piccolöchen geholt, kein Bier.
In "Endlich wieder da wo es beginnt" singst du vom "L" auf deiner Stirn. Wann fühlst Du dich heute noch wie ein Loser?
Ich schreibe Songs für Menschen, die sich nicht verstanden und zugehörig fühlen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Das ist mein Antrieb zu schreiben: Konflikte und Missstände zu verhandeln. Als klassischer Loser fühle ich mich aber nicht mehr. Wir können gut von der Musik leben, wir haben Familien und leben krass privilegiert. Wenn ich mich als Loser darstellen würde, wäre das falsch. Es ist eher das Mindset von damals, das ich noch habe. Ich möchte für die schreiben, die nicht gehört werden und die an sich zweifeln.
Vor welchen Glaubenssätzen musstest Du kapitulieren?
"The Show must go on" ist der beschissenste Satz, den es gibt. Ich hatte eine Zeit lang krasse Bühnenangst. Ich habe teilweise ganze Strophen verkackt, Aussetzer gehabt. Das hat dazu geführt, dass ich Songs von der Setlist gestrichen habe, was dann dazu geführt hat, dass ich gar nicht mehr spielen wollte. Da habe ich gemerkt, welchem Druck man sich aussetzt. Ich habe aber keine Hilfe gesucht, um das aufzuarbeiten, sondern habe das mit mir selbst ausgemacht. Ich war extrem hart mit mir. Ich dachte, ich hätte nicht die Option, Nein zu sagen. Wenn da tausende Leute stehen, die dich sehen wollen, interessiert es niemanden, wie es dir geht. Da verdienen außerdem viele Leute Geld mit dir. Ich musste mir selbst aber eingestehen, dass es okay ist, mir mal eine Auszeit zu nehmen. The Show must not go on. Man darf den Stecker ziehen und nicht auf die Bühne gehen.
In welcher Umgebung musst Du dir keine Gedanken um deine Männlichkeit machen?
Ich mache mir keine Gedanken über meine Männlichkeit. Ich akzeptiere mich so, wie ich bin. Die Zeile "Vielleicht bin ich einfach krank, ist nicht das, was man als Mann sagt", stammt aus dieser Bühnenangst. Ich beziehe das aber nicht auf meine Männlichkeit, sondern auf die Beobachtung, dass viele Männer damit kämpfen.
Wenn man mal Städte vergleicht, fällt auf, dass das Thema Männlichkeit unterschiedlich behandelt wird: Während in Berlin Jungs in Netzshirts, Hotpants und mit Nagellack rumlaufen und das keinen so wirklich juckt, ist das Männerbild in anderen Städten wie München wesentlich konservativer geprägt: Männer müssen sportlich, erfolgreich und stark sein. Wie siehst Du das?
Ich hatte schon meine Probleme, diese Erwartungen erfüllen zu müssen. Ich habe aber meinen Frieden damit gemacht, als mir klar wurde, dass ich sein kann, wie ich will beziehungsweise bin und trotzdem erfolgreich sein kann. Ich habe immer in Großstädten gewohnt, in denen man sich seine Nischen suchen kann. Dennoch ist da viel Mitgefühl mit den Menschen, die auf dem Dorf groß werden und da an der Bushaltestelle gemobbt werden, weil sie anders als die anderen sind.
Definierst Du Männlichkeit noch?
Männlichkeit kann ich gar nicht mehr erklären, weil sie keine große Rolle spielt. Es geht dann eher um die Vorstellung der Gesellschaft von Männlichkeit – wo wir sehr rückständig sind. Mir fallen eher die negativen Aspekte von Männlichkeit auf – darüber spreche ich. Geschlecht ist sehr fluide. Ich versuche nicht in Geschlechterschubladen zu denken. Mir stößt es dann allerdings auf, wenn ich damit konfrontiert bin. Wenn wir zum Beispiel Acts für unser eigenes Festival "Stadt ohne Meer" in Gießen buchen, ist es angenehm mit einer Bookerin zu arbeiten. Sobald es aber an die Vertragskonditionen geht, grätschen die männlichen Vorgesetzten rein und übernehmen. Das ist so typisch Mann, dass bei den Verhandlungen der Patriach herauskommt. Die Frauen dürfen das vorbereiten, aber der Mann führt aus. Das ist echt ätzend. Es gibt so viele Männer, die fachlich schwächer als Frauen sind, die aber in Chefpositionen landen, weil deren Fähigkeit darin liegt, ihre Macht zu demonstrieren.
Apropos Booking: Am 17. April spielt ihr ein Konzert in Berlin. Was habt ihr für die Show geplant? Wird es Gäste geben?
Davon gehe ich aus! Wir haben noch ein halbes Jahr Zeit. Inhaltlich haben wir noch nicht so viel besprochen. Momentan arbeiten wir am Bühnenbild. Dadurch, dass wir so viele neue Versionen der Songs und Gäste haben, wird das ein sehr bunt gemischter Abend. In Berlin sitzt die Musikbranche, es sind also viele Artists ansässig, die man auf die Bühne einladen kann.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sebastian Goddemeier