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Audio: rbb 88.8 | 04.03.2024 | Helena Daehler | Quelle: dpa/westend

Interview | Cyberkriminologe

"Wenn ein Account Privatbilder postet und 200 Follower hat, ist das nicht privat"

Thomas-Gabriel Rüdiger leitet das Institut für Cyberkriminologie in Oranienburg. In einem Interview redet er darüber, welche Informationen man mit der Veröffentlichung persönlicher Fotos im Netz preisgibt und wer diese Daten nutzen könnte.

rbb|24: Herr Rüdiger, welche Informationen lassen sich aus Fotos herauslesen, die ich öffentlich im Netz poste?

Thomas-Gabriel Rüdiger: Man kann ein Foto im Internet nie ganz alleine betrachten. Es sind fast immer auch kontextuelle Informationen involviert. Geben Sie beispielsweise häufig an, wo sie essen gehen, was haben sie auf dem Bild an? Geben Sie vielleicht auch Informationen über Ihre Verwandten, Freunden oder Ihre Freizeitaktivitäten in sozialen Medien preis? Was ist im Hintergrund des Bilds zu sehen? Man kann in Sozialen Medien zudem Querverbindungen herstellen beispielsweise wer ihre Beiträge liked und kommentiert und so weiter.

So kann man, je nachdem, wie viel sie von sich oder auch andere über sie preisgeben, ganze Profile von ihnen erstellen. Sie müssen auch immer daran denken, dass sie auch auf Schnappschüssen von Kollegen oder Freunden in den sozialen Medien zu sehen sein könnten, von denen sie vielleicht gar nichts wissen. All diese Informationen können letztendlich ausgewertet und kombiniert werden. Diese Informationen können wichtige Datenquellen für Sicherheitsbehörden darstellen, im Gegenzug aber auch für kriminelle Absichten.

Was sind das für Programme, die eine Suche mit Gesichtserkennung leisten können?

Im Prinzip sprechen wir über unterschiedliche Formen von Programmen. Zunächst gibt es teilweise frei nutzbare Programme, die eine Gesichtserkennung vornehmen können, die also Gesichter auf unterschiedlichen Bildern und vorhandenen Informationen abgleichen. Hierfür reicht es, relativ unkontrolliert ein Bild von jemanden auf den Plattformen hochzuladen. Eine zusätzliche Entwicklung der letzten Jahre, ist hier zudem auch Alterungs-Software. Sie können Personen zeigen, wie sie jünger oder älter aussehen könnten.

Noch vor ein paar Jahren hätte ich gesagt, so etwas erfordert viel Technik und stellt eine relevante Hürde dar. Heutzutage können das jedoch viele sogar normale Apps für Smartphones. Einige kennen so etwas eventuell mittlerweile von Age Filtern aus Sozialen Medien. Allein diese Kombinationen zeigen schon, wie mächtig so etwas sein kann, da man hier auch Jahre später Menschen identifizieren kann. Vielen ist vielleicht nicht bewusst, aber die Vergleichsdaten für diese Gesichtserkennung stammen unter anderem aus den öffentlich zugänglichen Bildern und Videos in sozialen Medien oder auch Firmen-, Schul- oder Vereinsseiten.

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Hierfür wird Web-Scraping eingesetzt, vereinfacht dargestellt werden damit öffentlich gepostete Bilder und Videos aus den sozialen Medien kopiert und in die eigenen Datenbanken eingespeist. Bekannt geworden ist hier zum Beispiel, dass die Firma Clearview AI aus den USA schon 2023 darüber knapp 30 Milliarden Bilder von Menschen aus dem Internet gesichert haben soll und diese dann Behörden zur Verfügung stellt. Die Omnipräsenz solcher Medien führt auch dazu, dass Clearview AI es sich zur Aufgabe gemacht haben soll, jeden Menschen per Gesichtserkennung identifizieren zu können.

Reicht es aus, meine Social-Media-Profile auf "privat" zu stellen, um mich zu schützen?

Da stellt sich die Frage: Was ist privat? Wenn ein Account Privatbilder postet und 200 bis 300 Follower hat, muss ich sagen, dass das nicht privat ist. Selbst von diesen Followern kann jemand einen Screenshot machen, es wiederum bei sich in den sozialen Medien hochladen oder es aus anderen Gründen veröffentlichen. Also eine echte Sicherheit gibt es nicht.

Wie können Fotos und die Informationen gegen mich verwendet werden?

Man sollte sich vor Augen halten, dass es ja schon Länder gibt, bei denen vor der Einreise die eigenen Social-Media-Accounts angegeben werden müssen. Ich will das nicht zu dystopisch malen, aber man sollte sich bewusst sein, dass es vielleicht einmal überall heißen könnte: "Wir haben dich per Gesichtserkennung erkannt".

Dabei spielen nicht nur die selbst-geposteten Inhalt eine Rolle. Auch das Online-Verhalten von Partnern oder Verwandten könnte relevant sein. Es gibt ja jetzt schon immer wieder Medienberichte, dass Menschen für ihre Posts an Ländergrenzen Ärger bekommen [zeit.de]. Dazu gehören auch Bilder und Videos. Wenn alle immer erkennbar sind und Verbindungen überall gezogen werden können, kann das wirklich problematisch werden, der Mensch wird gläsern. Wenn hier noch die aktuellen Entwicklungen im Bereich der leistungsfähigen KI beachtet werden die diese Informationen selbstständig kombinieren könnten, dann sollte klar sein, dass wir uns digitale Gesellschaft einfach damit auseinandersetzen müssen.

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Darf Gesichtserkennung auch eingesetzt werden, wenn sie nicht im Rahmen von Fahndungen der Polizei eingesetzt wird?

In den USA ist beispielsweise bereits 2022 ein Fall bekannt geworden, bei dem eine Anwältin nicht in ein Konzert ihrer Tochter gelassen wurde, weil sie per Gesichtserkennung am Eingang erkannt wurde [spiegel.de]. Der Hintergrund war offenbar, dass die Frau in einer Kanzlei tätig ist, die auch gegen die Konzerthallen-Firma Klagen vertrat. Das ist ein Problem, über das man sich wirklich Gedanken machen muss.

Wenn Gesichtserkennung unter dem Motto "Mit dieser Meinung, diesen Beruf möchte ich nicht, dass du bei mir einkaufen gehst" eingesetzt wird, dann müssen wir uns wirklich fragen, ob es das ist, was eine Gesellschaft möchte. Selbst wenn das in Deutschland vielleicht durch gute Rechtsgrundlagen abgewendet werden könnte, dann trifft es jemanden vielleicht beim Auslandsurlaub.

Wie bewusst sind sich Menschen hierzulande über ihren Umgang beim Posten von Fotos?

Das ist eine sehr gute Frage, für mich ist das reflektierte Wissen über diesen Kontext wichtig beispielsweise bei der Frage was sollte man in sozialen Medien veröffentlichen? Leider sind wir in Deutschland aus meiner Sicht bei Digitalisierungsthemen und vor allem auch bei der Vermittlung von Medienbildung nicht sehr weit, das gilt auch besonders für Brandenburg, wenn man sich zum Beispiel den Bildungsmonitor anschaut.

Meiner Meinung nach investieren wir viel zu wenig in digitale Bildung, in Österreich gibt es an allen weiterführenden Schulen zum Beispiel ein Pflichtfach für digitale Grundbildung - warum gibt es das nicht in Deutschland? Das wäre aber ein wesentlicher Eckpfeiler für einen demokratischen Rechtsstaat und auch für Kriminalprävention, kommt aber zu kurz. Bei Erwachsenen kann man noch auf eine gewisse Eigenverantwortung verweisen, aber wie ist das bei Minderjährigen, denen die Entscheidungen, ob sie mit Bildern im Netz zu finden sein wollen oft abgenommen wird? Hier müssen deswegen dringend in grundsätzliche digitale Bildung und Sensibilisierung investieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Helena Daehler.

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.04.2023, 12:00 Uhr

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