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Quelle: dpa/Steinberg

Interview | Radtour für obdachlose Menschen

"Das Frühstück ist das eine, aber die langen Gespräche sind viel wichtiger"

Stephan May arbeitet tagsüber in einem Hospiz. Nachts steht er auf, um obdach- und wohnungslosen Menschen mit Essen und Zuhören zu helfen. Was seine Arbeit so wichtig macht, erzählt der Berliner im Interview.

rbb: Herr May, Sie stehen irgendwann gegen ein Uhr morgens auf und schmieren Brote für Obdachlose, steigen aufs Rad und fahren los.

Stephan May: Ich mache jeden Morgen eine Frühstückstour, ganzjährig, möglichst fast jeden Tag. Ich versorge Menschen, die morgens wach werden, beziehungsweise die von der Arbeit kommen und zur Arbeit gehen. Menschen, die obdach- oder wohnungslos sind.

Und das ist nicht nur die Versorgung, die ja auch wichtig ist, sie führen Gespräche, wo es auch um menschliche Wärme geht.

Ja genau, aber auch um die Sicherheit in der Nacht oder am Morgen, wenn die Leute wach werden, dass sie auch mal einen Ansprechpartner haben für alle Probleme, die im Alltag auf sie zukommen. Ob es einen Termin einhalten ist, gesundheitliche Probleme, natürlich auch Beziehungsprobleme, auch Ängste um Menschen, die möglicherweise zu Schaden gekommen sind in den Nächten davor, also im Krankenhaus gelandet sind oder eben auch verstorben sind auf der Straße. Diese Gespräche sind unheimlich wichtig. Das Frühstück ist das eine, aber die langen Gespräche sind viel wichtiger.

Zur Person

Stephan May

Viele Menschen wollen Sie auch unterstützen. Aber wenn Sie hören, dass man sich um 1 Uhr trifft, schreckt das viele ab.

Morgens um eins ist natürlich immer eine abschreckende Zeit, aber die ist tatsächlich notwendig. Tagsüber gibt es gute Versorgungseinrichtungen und Tagesstrukturen, die angeboten werden. Aber nachts und in den Morgenstunden gibt es relativ wenig.

Wenn die Kältehilfe am 31. März ausläuft, habe ich deutlich mehr auf den Straßen zu tun und dann ist meine Präsenz natürlich deutlich wichtiger.

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Was für Menschen haben denn noch Hilfe angeboten? Waren welche dabei, die Sie gebrauchen können?

Ich hatte tatsächlich ein paar Catering-Unternehmen, die ab und zu mal Lebensmittel übrig haben und für uns kochen. Das hat auch tatsächlich geklappt. Wir waren jetzt mit einem Caterer am Wannsee in der Notunterkunft. Hier werden 45 Gäste jede Nacht beherbergt, für die wir jetzt zweimal gekocht haben - und die Resonanz ist sehr positiv.

Was auch interessant ist, dass die Leute, die uns helfen und unterstützen, eine ganz andere Sicht auf Obdach- und Wohnungslosigkeit bekommen. Ein Teil der Menschen, die in der Notunterkunft schlafen, kommen von der Nachtschicht oder der Spätschicht oder sind am nächsten Tag wieder auf dem Weg zur Arbeit. Das ist vielen gar nicht bewusst, dass auch Menschen, die in Lohn und Brot stehen, eben auch obdachlos oder wohnungslos sein können.

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Ist das Ihr großes Lebensthema?

Es ist allumfassend und auch so vielfältig. Es geht nicht nur darum, Menschen zu helfen, sondern ihnen auch eine Perspektive zu geben, zu gucken, dass sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren oder sie auch in Arbeit zu bringen.

Ich habe gerade einen ganz jungen Kollegen auf Arbeit, der mit seiner Freundin in einer wohnungslosen Einrichtung derzeit wohnt, aber aktuell nur acht Stunden in der Woche arbeiten darf, weil er sonst Gefahr läuft, seinen Platz zu verlieren. Das heißt, er würde wieder auf der Straße leben und das wollen wir ja nicht.

Auf der anderen Seite ist es so, er würde auch gerne mehr arbeiten, aber die Bundesagentur für Arbeit macht ihm da aktuell einen Strich durch die Rechnung. Und das heißt, wir kriegen ihn gerade nicht raus.

Und das ist auch ein gutes Beispiel, warum unsere Arbeit so wichtig ist, diese Vielfalt auf der Straße deutlich zu machen.

Stephan May ist verheiratet und hat mit seiner Frau einen Sohn. Hier ist er mit seiner Familie auf einer Reise in der Westsahara. | Quelle: Privat

War das eigenes Erleben?

Ja, ich war im Alter zwischen 9 und 11 Jahren sehr oft mal obdach- und wohnungslos. Zu Hause war die Gewaltspirale so hoch, dass es eben notwendig war, dass sich die Straße als Schutzraum auch angeboten hat.

Dem begegne ich natürlich auch überall auf der Straße, dass die Straße nicht nur Wohnraum ist, sondern auch Schutz vor Zuhause. Also gerade bei Jugendlichen und Kindern, die auf der Straße leben, ist es tatsächlich so, dass die Straße auch durchaus mal ein Schutzraum sein kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ingo Hoppe, rbb 88,8.

Sendung: rbb 88,8, 12.04.2024, 18:10 Uhr

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