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Video: rbb|24 | 08.02.2021 | Naomi Noa Donath | Material: rbb|24, Abendschau | Quelle: dpa/P. Zinken

Illegale Sexarbeit im Lockdown

"Viele Frauen haben keine andere Wahl, als arbeiten zu gehen"

Sexuelle Dienstleistungen sind seit Beginn des Lockdowns im November wieder verboten. Auch wenn sie bewusst ein hohes Risiko eingehen, arbeiten viele Berliner Sexarbeiter*innen trotzdem - um zu überleben. Von Naomi Noa Donath und Roberto Jurkschat

Vor der Pandemie wäre es für Jordan (Name von der Redaktion geändert) unvorstellbar gewesen, sich auf ein Fetisch-Treffen einzulassen und an ein Bett gefesselt zu werden. Doch die Pandemie und der Lockdown haben für Sexarbeiter*innen in Berlin viel verändert, erzählt Jordan. "Du akzeptierst solche riskanten Anfragen jetzt eher, weil es zu wenige Aufträge gibt."

Seit drei Jahren lebt Jordan von seinen Einnahmen als Escort. Jordan (27) ist trans*, kommt aus Neuseeland und studiert in Berlin. Seit dem Lockdown macht er auch Pornofilme - und bekommt weiterhin Anfragen über Escort-Portale. "Vor der Pandemie wurde ich zweimal pro Woche gebucht. Jetzt bin ich glücklich, wenn ich einmal pro Woche gebucht werde." Jordan besucht seine Kund*innen zuhause. "Das kann ein Studio-Apartment in Friedrichshain sein oder eine 150 Quadratmeter große Wohnung in Mitte."

Jordan ist Escort und Sexarbeiter in Berlin. | Quelle: rbb/N.Donath

Sexarbeit verlagert sich in Wohnhäuser und Pensionen

Sexuelle Dienstleistungen sind seit dem zweiten Lockdown Anfang November wieder verboten. Die Polizei kontrolliert den Straßenstrich rund um die Kurfürstenstraße in Berlin-Schöneberg. Prostitution findet in Bordellen und auf der Straße inzwischen nicht mehr statt, wie Benjamin Jendro von der Berliner Polizeigewerkschaft GdP im Gespräch mit rbb|24 sagt. "Das Verlangen nach Sexarbeitenden ist aber nicht weniger geworden in der Pandemie, das Angebot hat sich ins Internet und in einzelne Wohnhäuser verlagert." Die Polizei sei deshalb auf Hinweise angewiesen.

Am Dienstag, den 9. Dezember meldet ein Zeuge der Leitstelle der Polizei, es gebe eine Pension in der Schöneberger Bülowstraße, dort würden die Zimmer "zweckentfremdet", wie ein Sprecher der Polizei später berichtet. Kurze Zeit später durchsuchen Beamte des Berliner LKA die Unterkunft, die ungefähr 100 Meter vom Straßenstrich entfernt ist. In elf Wohnungen der Pension finden Polizisten insgesamt 15 Frauen. Einige von ihnen sind der Polizei als Prostituierte bekannt.

Hinweise bekommt die Polizei außerdem zu zwei Wohnungen in der Schöneberger Zietenstraße, ebenfalls nur wenige Meter vom Straßenstrich entfernt. Dort finden die Beamten fünf Frauen im Alter zwischen 19 und 32 Jahren. Es werden Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten eingeleitet, wegen fehlender Erlaubnis zum Betreiben der Prostitution und wegen Verstößen gegen die Corona-Verordnung.

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Mehr als 1.800 Sexarbeiter*innen in Berlin offiziell angemeldet

Seit Juli 2017 gilt eine Meldepflicht für Prostituierte. Sie sollen ihre Tätigkeit bei der Prostituiertenberatung und -anmeldung Probea im Rathaus Schöneberg anmelden. Aktuell verfügen 1.881 Sexarbeiter*innen über eine gültige Berliner Anmeldebescheinigung. Nach Angaben von Beratungsstellen ist das Berliner Prostitutionsgewerbe in Wirklichkeit aber deutlich größer, weil sich viele Sexarbeiter*innen nicht offiziell anmelden. Wie viel Prostitution mit Körperkontakt in Berlin noch im Verborgenen stattfindet, können weder die Polizei noch die Senatsverwaltung für Gesundheit genau sagen.

Die Gesundheitsverwaltung, die in ständigem Austausch mit den Berliner Beratungsstellen steht, erklärt auf Anfrage von rbb|24 aber, dass sich aufgrund des Kontaktverbots viele Sexarbeitende "in großer finanzieller Not" befinden. "Die Notstände, die im Rahmen der aktuellen Maßnahmen sichtbar werden, zeigen relevante Handlungsbedarfe auf."

"Für viele Frauen geht es ums Überleben"

Das bestätigt auch Lonneke Schmidt-Bink, die den Frauentreff Olga am Straßenstrich in der Kurfürstenstraße leitet. "Viele osteuropäische Frauen sind gerade in einer hoffnungslosen Lage. Für sie geht es ums Überleben. Sie haben oft keine andere Wahl, als arbeiten zu gehen", erzählt Schmidt-Bink. Viele der Frauen vom Straßenstrich seien obdachlos und nicht krankenversichert. Im Olga bekommen sie warme Mahlzeiten und Getränke, Kleidung und Hygieneartikel. Sie können duschen und werden auch ohne Krankenversicherung medizinisch versorgt. "Die Frauen haben nichts. Sie leben von Tag zu Tag, zur nächsten Mahlzeit oder, wenn sie drogenabhängig sind, zur nächsten Anschaffung von Suchtmitteln", sagt Schmidt-Bink.

Eine Sexarbeiterin auf der Kurfürstenstraße in Berlin-Schöneberg (Archivbild von 2020). | Quelle: rbb

Corona-Hilfen greifen nicht

Sexarbeiter*innen, die in Deutschland gemeldet sind, nach dem Prostituiertenschutzgesetz angemeldet sind sowie eine Steuernummer haben, können als Solo-Selbstständige Corona-Hilfe beantragen - die Grenze liegt hier bei 5.000 Euro. "Für unsere Frauen greift diese Hilfe nicht", sagt Schmidt-Bink. "Die meisten von ihnen bekommen nicht einmal Hartz-IV-Leistungen." Um Hartz IV zu bekommen, muss man nachweisen, seit mindestens fünf Jahren in Deutschland zu leben. Viele der Frauen vom Straßenstrich lebten zwar schon seit vielen Jahren in Deutschland, hätten sich aber nie behördlich angemeldet, sagt Schmidt-Bink. Sie vermutet, dass die Frauen überfordert sind mit der Bürokratie. Schmidt-Bink bescheinigt ihren Klientinnen, wenn sie seit fünf Jahren in Beratung sind - aber die meisten Hartz-IV-Anträge werden abgelehnt. Für einen Klageweg hätten die meisten Frauen nicht die Kraft.

Zunehmende Gefahr von Ausbeutung und Gewalt

Nach Auffassung der Berliner Beratungsstelle Invia birgt die finanzielle Not für Sexarbeiter*innen ein besonderes Risiko. "Viele leihen sich Geld von anderen Leuten, auch von Freiern", sagt die Invia-Beraterin Barbara Eritt. "Damit rutschen viele in eine Spirale aus neuen Abhängigkeiten und neuer Ausbeutung."

Die Arbeit in Hinterhäusern kann außerdem unsicher sein, betont Polizeigewerkschafter Jendro. "Die Sicherheitslage ist eine ganz andere, wenn die Betroffenen in irgendwelchen Hinterhäusern abgeschottet arbeiten. Da kann es passieren, dass es zu Gewalt kommt und niemand kriegt es mit."

Jordan ist bewusst, dass er sich einem hohen Risiko aussetzt, wenn er sexuelle Dienstleistungen anbietet. | Quelle: rbb/N.Donath

Jordan berichtet, dass trans* Sexarbeiter*innen, die auf dem Straßenstrich in der Frobenstraße in Berlin-Schöneberg arbeiten, während des Lockdowns gezielt angegriffen wurden. "Wenn dich ein Klient bedroht oder dich nicht bezahlen will, kannst du das jetzt, während Sexarbeit illegal ist, nicht der Polizei melden. Und die Kund*innen wissen das."

Jordans größte Angst ist es aber, Covid-19 zu bekommen. "Mir ist bewusst, dass ich mich einem hohen Risiko aussetze", sagt er. "Ich dusche vorher und nachher, spüle meinen Mund. Ich versuche, nicht zu küssen, aber das ist schwierig, weil alle küssen möchten." Manchmal, erzählt Jordan, tragen seine Kund*innen beim Treffen eine Maske - das findet er gut. "Ich würde vor den Treffen gerne um einen negativen Corona-Test bitten. Aber dann würde ich keine Buchungen bekommen."

"Sexarbeit wird stigmatisiert"

Sarah Stöckigt, Projektleiterin der Beratungsstelle Hydra, sagt, dass Sexarbeit von vielen Menschen zu Unrecht mit Superspreading gleichgesetzt wird. "Das ist in vielen Bereichen der Sexarbeit weit weg von der Realität. Sexarbeit wird stigmatisiert, es gibt viel Unwissen und viele Vorurteile." Beispielsweise durften nach dem ersten Lockdown Massagepraxen schon ab 9. Mai wieder öffnen - erotische Massagen waren erst ab 8. August wieder erlaubt. Stöckigt sagt, sie hofft, dass der Berliner Senat die Sexarbeit mit anderen körpernahen Branchen, wie etwa Wellness-Massagen, gleichbehandelt, sobald es wieder zu Lockerungen der Corona-Regeln kommt.

Solange der Lockdown anhält, droht sich die Notlage der Sexarbeiter*innen zu verschärfen. Lonneke Schmidt-Bink vom Frauentreff Olga fordert deshalb, Sexarbeiter*innen sollten sich für die Dauer der Pandemie krankenversichern können. Außerdem sollten sie bedingungslos soziale Leistungen erhalten – um nicht auf ihre Arbeit angewiesen zu bleiben und um sich vor möglichen Gefahren zu schützen.

Beitrag von Naomi Noa Donath und Roberto Jurkschat

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