Sexarbeit in der Pandemie - "Ich habe die komplette Corona-Zeit durchgearbeitet"

Sa 08.08.20 | 18:56 Uhr | Von Henrike Möller
Der Berliner Autostrich in der Kurfürstenstraße. (Quelle: imago/Rolf Kremming)
Audio: Inforadio | 08.08.2020 | Henrike Möller | Bild: imago/Rolf Kremming

Monatelang durften sie nicht arbeiten, jetzt gibt es für Berlins Sexarbeitende erste Lockerungen. Und die sind sinnvoll, sagt Henrike Möller. Ihre Recherchen zeigen: Viele Sexarbeitende hat das Tätigkeitsverbot in prekäre Situationen gebracht.

Freitagnachmittag Ende Juli auf der Kurfürstenstraße. Vor dem Supermarkt an der Ecke stehen zwei junge Frauen in sportlichen Klamotten und tun so, als wären sie vertieft in ein Gespräch. Gegenüber, auf der anderen Seite, direkt vor den schicken Neubauten, laufen drei andere junge Frauen den Gehweg auf und ab. Enge Stoffhosen, bunte Jacketts - fast schon Business-Look.

Wenige Meter weiter im Frauentreff Olga sitzt Sexarbeiterin Gina an einem der Tische der sozialen Einrichtung und macht eine kurze Arbeitspause. Vor ihr ein Teller mit Lasagne: "Ich habe die komplette Corona-Zeit durchgearbeitet. Ich konnte mich an das Tätigkeitsverbot nicht halten. Ich bin auf das Geld angewiesen." Gina war früher mit einem deutschen Mann verheiratet. Seit die Ehe vor sechs Jahren in die Brüche ging, geht sie auf der Kurfürstenstraße anschaffen.

Auch unter Corona sind die Freier nicht weggeblieben, aber sie sind weniger geworden, erzählt Gina: "Kommen – milde ausgedrückt – nur noch unseriöse Gäste, meistens Besoffene, und deshalb ist es auch sehr gefährlich, wenn man mit denen irgendwo hingeht. Es ist immer Gefahr, dass was passiert."

Prostitution geht ins Verborgene

Vor allem weil sich Gina mit ihren Kunden vor der Polizei verstecken muss. "Eine Kollegin von mir wurde im Park angegriffen", sagt sie. "Ich habe noch gesehen, wie die beiden gegangen sind und dann nach ungefähr einer halben Stunde kam sie mit zerrissener Hose zurück und sie sagte, da haben schon zwei gewartet, Kumpels von ihm im Gebüsch, und haben sie richtig ausgeraubt und versucht zu vergewaltigen."

Wenn Prostitution verboten wird, geht sie ins Verborgene, beobachtet Lonneke Schmidt-Bink, Leiterin vom Frauentreff Olga, einer Anlauf- und Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen an der Kurfürstenstraße: "Und das bedeutet, dass wir diese Frauen nicht mehr erreichen. Die Frauen werden dann nicht mehr an der Kurfürstenstraße stehen, wo die Polizei noch einigermaßen drauf schauen kann und wir noch beraten und unterstützen können. Die Frauen werden dann verschwinden und sich auch nicht mehr trauen ins Olga zu kommen oder übergriffige Freier bei der Polizei anzuzeigen." Je länger das Verbot, umso größer die Not der Frauen, sagt Schmidt-Bink.

Senat reagiert auf Not

Der Senat hat darauf reagiert. Seit diesem Samstag sind sexuelle Dienstleistungen ohne Geschlechtsverkehr wieder erlaubt: "Im Hinblick auf die häufig sehr prekäre Situation der Personen, die in der Sexarbeit tätig sind, erscheint es aus gesundheits-, aber auch aus frauenpolitischer Sicht geboten, ansonsten besteht die Gefahr, dass die Betroffenen aufgrund wirtschaftlicher Notlagen in Abhängigkeitsverhältnisse geraten und im Verborgenen unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen ihrer Tätigkeit nachgehen", heißt es in der offiziellen Erklärung. Wer sexuelle Dienstleistungen anbietet, muss aber ein individuelles Schutz- und Hygienekonzept erstellen und auf Verlangen der zuständigen Behörde vorlegen. Das gilt auch für Sexarbeiterinnen auf der Straße.

Lankwitz, Kamenzer Damm. Sexarbeiterin Jana steht auf einem der Balkone des Sexy Candyshop Bordells und raucht. Hellblonde Haare, schwarzes Negligé, weißer kurzärmeliger Arztkittel. Seit kurzem bietet das Bordell wieder Massagen an. "Natürlich fragen manche, können wir nicht was anderes machen, können wir nicht doch", erzählt Jana "aber wir stehen so unter Strom, wir wollen den Laden ja offenlassen. Wir wollen ja nicht, dass das in fünf Minuten wieder alles eingerissen wird."

Vorteil: Prostitutionsausweis

Jana ist eine von etwa 2.000 Sexarbeiterinnen in Berlin, die einen Prostituiertenausweis haben. Seit 2016 müssen sich Sexarbeitende in der Hauptstadt offiziell registrieren und eine Gesundheitsberatung durchlaufen. Für die Arbeit im Bordell ist ein Prostituiertenausweis in der Regel Pflicht. "Bei mir ist alles perfekt", sagt Jana, "meine Steuererklärungen sind von 2007 bis 2018, da kann das Finanzamt kommen und das alles durchwühlen". Als registrierte Prostituierte hat Jana vom Senat 5.000 Euro Corona-Soforthilfe bekommen. Wer nicht registriert ist, und das ist die Mehrheit der Berliner Sexarbeitenden, hatte dieses Anrecht nicht.

Lonneke Schmidt-Bink vom Frauentreff Olga hat in den letzten Monaten versucht, Grundsicherung für einige Sexarbeiterinnen zu beantragen. Meistens ohne Erfolg. Wer keinen festen Wohnsitz hat und nicht nachweisen kann, dass er oder sie seit fünf Jahren in Berlin lebt, hat kaum eine Chance auf Grundsicherung, sagt sie.

Durch die Lockerungen können jetzt zwar viele Sexarbeitende ihrem Job wieder nachgehen, aber auch nicht alle. 12 bis 15 Frauen arbeiten normalerweise im Sexy Candyshop Bordell in Lankwitz, momentan – wegen des eingeschränkten Angebots – sind es nur sechs. "Ich vermute mal, die anderen stehen irgendwo auf der Kurfürstenstraße oder sitzen in einem Appartement oder in einem Hotel, in dem sie sich eingemietet haben und arbeiten dort illegal", sagt Bordell-Betreiber Aurel Johannes Marx.

Vom Bordell auf die Straße

Genau diese Entwicklung macht Stephanie Klee Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD) Sorge: "Jetzt gehen Sexarbeiterinnen, die das Segment Straße, das Segment Haus- und Hotelbesuche nicht gelernt haben, in diesen Bereich, weil sie ihren geschützten Arbeitsplatz, die Bordelle, verloren haben.

Für Haus- und Hotelbesuche muss man in der Lage sein, die Situation sehr schnell abschätzen zu können: Wie viele Personen befinden sich in dem Hotelzimmer, was ist das für ein Kunde, man muss von A-Z die Situation unter Kontrolle haben." Im Bordell hingegen, sagt Klee, könne man das Zimmer jeder Zeit verlassen und hätte immer Unterstützung von Kolleginnen. "Und die Kunden wissen natürlich auch ganz genau, dass sie in einem geschützten Raum unterwegs sind", so Klee, "und halten sich schon mal per se an die Regeln."

In Corona-Zeiten übersteigt das Angebot die Nachfrage

Zurück im Frauentreff Olga in der Kurfürstenstraße. Gina muss nochmal raus. Sie hat für heute noch nicht genug Geld zusammen. "Früher musste ich zwei bis drei Stunden hierbleiben, jetzt Minimum sechs bis acht Stunden, um auf den gleichen Betrag zu kommen." Unter Corona sind die Preise gesunken. Die Freier wissen um ihre Macht: Wenn Gina ablehnt, gehen sie eben zur nächsten Sexarbeiterin. In Zeiten von Corona übersteigt Angebot Nachfrage. "Manche Frauen sind gereizt. Jeden Tag wird jemand angeschrien: Warum gehst du für wenig Geld und dann wird man beschuldigt", sagt Gina, "Ist ja ganz klar. Weil wenn man nicht genug Geld hat, nicht verdienen kann… Es reicht nicht für alle."

Gina hofft, dass sie bald wieder ganz normal arbeiten kann. Ohne den Druck, jeden Kunden nehmen zu müssen, der kommt. Ohne ständig von der Polizei beobachtet zu werden. Ohne mit Freiern in dunkle Ecken gehen zu müssen, wo sie im Fall eines Übergriffs niemand hört oder sieht: "Ich muss hierherkommen, um weiter leben zu können. Ich bin auf dieses Geld angewiesen."

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Beitrag von Henrike Möller

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