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Quelle: dpa/Danny Gohlke

Steigende Inzidenzen, zunehmende Impfdurchbrüche

Was man aus den aktuellen Corona-Zahlen lesen kann – und was nicht

Rekordstände bei den Neuinfektionen und Berichte über Impfdurchbrüche sorgen für Schlagzeilen. Doch wie so oft in der Pandemie kommt es auf die richtigen Vergleiche an, um die Lage zu bewerten. Von Haluka Maier-Borst

Eines Tages, wenn jemand versuchen wird, diese Pandemie mit Daten und Fakten nachzuvollziehen, dann kann man ihm eigentlich nur zwei Dinge wünschen: viel Geduld und Erfolg. Denn nach fast zwei Jahren hat sich ein mächtiger Zahlenwust angestaut, der selbst aktuell nicht immer einfach einzuordnen ist. Zum Beispiel weil eine Inzidenz von 150 im Frühjahr 2020, im Frühjahr 2021 und zum jetzigen Zeitpunkt etwas vollkommen anderes bedeutet. Hier ist also ein Versuch eines groben Leitfadens für einige der Indikatoren.

1. Die hohen Zahlen/Inzidenzen

Aktuell werden in Deutschland so viele Neuinfektionen wie noch nie verzeichnet. Auch in Berlin und Brandenburg liegen die Zahlen auf einem hohen Niveau.

Ob sie aber wirklich höher liegen als in früheren Phasen der Pandemie ist teils schwer zu sagen. In der ersten Welle waren noch Testkapazitäten knapp und es mussten alle Verdachtsfälle mit viel Aufwand per PCR-Tests untersucht werden. Im Verlauf der zweiten Welle gab es dann zwar mehr PCR-Tests zur Verfügung, aber eben nicht von Anfang an die Möglichkeit von Massenuntersuchungen per Schnelltests. Und nun in der dritten Welle (oder je nach Zählung die vierte) lässt sich diskutieren, welchen Einfluss der Wegfall der kostenlosen Testangebote hat und ob dadurch Fälle unentdeckt bleiben.

Trotzdem lassen sich zwei Dinge sagen. Die erste Welle verlief wohl hierzulande definitiv glimpflicher als in anderen Ländern. Dafür spricht auch die geringe Anzahl der Toten und die ausgebliebene Übersterblichkeit im Frühjahr 2020. Und zum anderen bedeuten die aktuell hohen Zahlen etwas anderes als in früheren Phasen der Pandemie – weil dank der Impfungen die Neuinfektionen zu weniger Einweisungen ins Krankenhaus führen.

2. Die vermeintlich entspanntere Lage in den Krankenhäusern

Wer immer noch am positiven Effekt der Impfungen zweifelt, muss sich nur anschauen, wie viele Menschen heute mit Covid-19 im Krankenhaus liegen und wie viele es bei einer ähnlichen Inzidenz im Frühjahr waren. Grob gesagt, sind es für Berlin und Brandenburg nur ein Viertel vom früheren Höchststand oder sogar weniger. Trotzdem heißt das nicht, dass die Situation problemfrei ist.

Wie schon an anderer Stelle angemerkt, haben viele Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte inzwischen die Arbeitsstelle gewechselt. Die Folge ist, dass Betten zwar frei wären, aber eben nicht versorgt werden können. Das System würde also viel früher kollabieren. Auch deswegen vermeldet das Intensivbettenregister, dass deutschlandweit nur ein Drittel aller Kliniken noch verfügbare Kapazitäten auf den Intensivstationen ausweisen.

Hinzukommt, dass durch die Öffnungen die Zahlen vor allem bei den jüngeren, seltener geimpften Menschen steigen. Die landen grundsätzlich viel seltener im Krankenhaus und auch wenn sie das tun, sind ihre Überlebenschance höher. Aber weil ihre Chance aufs Überleben größer ist, belegen sie auch ein Bett länger als die Hochbetagten. Sprich die Situation entspannt sich selbst nach einer Trendwende langsamer als in früheren Wellen. Entsprechend ist es verständlich, wieso trotz deutlich niedrigerer Zahlen an Covid-19-Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern, die Lage auf den Intensivstationen zunehmend angespannt ist.

3. Die Häufigkeit der Impfdurchbrüche

Das RKI [rki.de] verzeichnet rund 150.000 Impfdurchbrüche seit Anfang des Jahres. Das allein klingt schon nach viel. Wer dann auch noch liest, dass bei den betagten Intensivpatienten und -patientinnen (60 Jahre und älter) 34,5 Prozent geimpft sind, könnte schnell den Eindruck bekommen: das bringt ja alles nichts. Doch das ist zu kurz gegriffen.

Am besten kann man sich die Lage veranschaulichen, indem man in den Altersgruppen jeweils darauf schaut, welchen Anteil die Geimpften in der Bevölkerung ausmachen und welcher Anteil der Covid-Patienten in den Krankenhäusern geimpft ist.

Dabei zeigt sich: in allen Altersgruppen ist der Anteil der Geimpften in der Bevölkerung größer als in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen. Sprich: die Impfung ist nicht perfekt. Aber sie sorgt dafür, dass Geimpfte mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit schwere Verläufe bekommen.

Ja, tendenziell lässt die Wirkung der Impfung bei den Älteren wohl früher nach und ist womöglich auch von Anfang an schwächer. Aber genau für diese Altersgruppe macht sie einen entscheidenden Unterschied. Darum macht auch die Booster-Impfung Sinn.

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Worauf sollte man grundsätzlich schauen?

Wie oben bereits erklärt: wenig in der Pandemie ist über Monate vergleichbar. Teststrategien und Testkapazitäten haben sich verändert. Ansteckendere Varianten haben sich ausgebreitet. Impfquoten sind gestiegen aber nun schwindet teilweise wieder der Immunschutz. Und die Kapazitäten in den Krankenhäusern haben sich ebenfalls verändert.

Am verlässlichsten sind darum wohl folgende "Pi-Mal-Daumen"-Regeln:

A) Vergleiche am besten nur über einige Wochen nicht Monate machen. Wenn es mehr Fälle gibt als in der Vorwoche und in der Woche davor, dann spitzt sich die Lage zweifellos zu. Doch 1.000 neue Fälle heute und 1.000 neue Fälle vor ein paar Monaten bedeuten etwas vollkommen anderes.

B) Möglichst nur auf 7-Tage-Werte schauen. Nachmeldungen, Verzögerungen, Feiertagseffekte. All das kann für ein einzelnes Hoch oder Tief in den Zahlen sorgen. Verlässlicher sind darum Mittelwerte über mindestens 7 Tage.

C) Sich fragen, wer von welcher Gruppe da erkrankt. Covid-19 ist eine Krankheit, deren Schrecken durch zwei Dinge deutlich verringert wird. Alter und Impfungen. Neue Fälle in einer Gruppe von jungen Erwachsenen, von denen ein guter Teil geimpft ist, sind weniger dramatisch als in einer Gruppe im Altenheim. Darum macht es Sinn auf die Altersverteilung bei den Neuinfektionen zu schauen. Genauso eben auch bei den Impfdurchbrüchen so wie es oben der Fall ist.

D) Sich fragen, welche Kapazitäten es gibt. Sei es die Kontaktverfolgung oder die Versorgung auf den Intensivstationen – alle Faktoren bei denen Menschen sich am Ende kümmern müssen, bedeuten, dass sie nicht beliebig skalierbar sind. Irgendwann wird jemand an seine Belastungsgrenzen stoßen. Insofern kann ein prozentual kleiner Anstieg mitunter das letzte bisschen zu viel sein.

E) Immer mehrere Indikatoren im Blick behalten. Aber auch wissen, das alles mit allem zusammenhängt. Das ist vielleicht die wichtigste Lehre der Pandemie. Eine Zahl allein kann nicht alles erklären. Hohe Neuinfektionen können folgenlos bleiben, wenn es sich um einen Ausbruch unter Jungen handelt, der klar abzugrenzen ist. Genauso ist es aber illusorisch zu glauben, dass zum Beispiel Infektionen bei Kindern folgenlos sind, weil diese selten schwer erkranken. Denn wir alle sind miteinander vernetzt und Junge stecken zwangsläufig irgendwann auch die Älteren an.

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Beitrag von Haluka Maier-Borst

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