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Audio: Inforadio | 09.11.2021 | Quelle: dpa/W. Rothermel

Interview | Leiterin Haus der Wannsee-Konferenz

"Aktueller Antisemitismus ist immer auch verbunden mit der Geschichte der Schoah"

Das Haus der Wannsee-Konferenz ist wichtiges Zeugnis des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung. Die Gedenkstättenleiterin spricht im Interview darüber, wo sich aktueller Antisemitismus und die Auseinandersetzung mit der Schoah kreuzen.

Deborah Hartmann ist seit Dezember vergangenen Jahres Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz. In dieser Berliner Villa wurde von führenden Nationalsozialisten im Januar 1942 die systematische Vernichtung der europäischen Juden beschlossen und organisiert.

rbb: Die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz war bis zum Juni geschlossen. Dann gab es im Juli antisemitische Vorfälle. Was ist da passiert?

Deborah Hartmann: Wir hatten mehrere kleine Vorfälle, einen davon haben wir dann auch öffentlich gemacht. Das waren anscheinend Besucherinnen und Besucher - so genau wissen wir das nicht -, die offenbar der Querdenker-Bewegung angehören oder zumindest nahestehen. Die haben bei uns Dinge im Haus verteilt und auch einen Gästebucheintrag hinterlassen.

Zum anderen wurden die Restriktionen der Corona-Pandemie gleichgesetzt mit den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen.

Hat Sie das erschreckt?

Wenn man die Dynamik der letzten Jahre verfolgt, dann ist das nicht verwunderlich. Erschreckend ist, dass es mittlerweile anscheinend so eine große Akzeptanz gibt, dass sich diese Leute trauen, in einer Gedenkstätte wie dem Haus der Wannsee-Konferenz ihre Flugblätter zu verteilen und dann anscheinend auch ganz selbstverständlich einen Eintrag im Gästebuch zu hinterlassen. Es spiegelt in gewisser Hinsicht auch die Gesellschaft wider, in der wir leben.

Antisemitismus gibt es auch heute noch. Wie bauen Sie das in Ihre Arbeit mit ein?

Das ist eine Fragestellung, an der wir im Moment arbeiten. Welche Verbindungen gibt es zwischen dem historischen Antisemitismus und aktuellen Erscheinungsformen von Antisemitismus? Aktueller Antisemitismus ist natürlich immer auch verbunden mit der Geschichte der Schoah oder der Auseinandersetzung damit. Das sind Fragestellungen, an denen wir aktuell arbeiten. Wir versuchen auch, Anknüpfungspunkte zu finden, wie wir das in unseren Führungen, aber auch in den verschiedenen pädagogischen Angeboten, die die Gedenkstätte macht, sinnvoll einbauen können.

Wie können Sie das Wissen an Menschen vermitteln, die nicht die gleiche Sprache sprechen und vielleicht mit dem Wort "jüdisch sein" sofort den Staat Israel verbinden?

Ich glaube, da muss man einfach genau hinschauen. Was für ein Wissen wollen wir eigentlich vermitteln? Ist es tatsächlich so, dass junge Menschen oder auch Jugendliche, die vielleicht nicht den gleichen Hintergrund haben wie andere, weniger mit dieser Geschichte anfangen können oder weniger Wissen darüber haben? Ich glaube, das ist manchmal auch ein bisschen Diskursverschiebung: Auf die zu zeigen, denen wir vermeintlich unterstellen, weniger Wissen über diese Geschichte zu haben oder einen stärker verankerten Antisemitismus als wir selbst. An der Stelle muss man vorsichtig sein und aufpassen, das nicht von sich wegzuschieben und den Blick auf die anderen zu lenken.

Wie fühlen Sie sich in Berlin? Heißt die Stadt Sie willkommen?

Das ist nach zwei Monaten schwer zu beantworten. Zum Teil bin ich positiv überrascht gewesen. Ich hatte die Stadt nicht so freundlich in Erinnerung. Ich habe hier schon mal gelebt zwischen 2011 und 2014. Ich hatte Berlin schlechter in Erinnerung, als es mir jetzt vorkommt. Ich habe wenige schlechte Erfahrungen gemacht, wenn herausgekommen ist, dass ich aus Israel komme oder jüdisch bin. Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob das damit zu tun hat, dass ich mich in einer bestimmten Blase befinde. Ich bin mir schon darüber im Klaren, in welcher Stadt ich bin. Und natürlich stellt sich für mich immer wieder die Frage: Spreche ich mit meinen Kindern auf der Straße jetzt Hebräisch? Oder mache ich das nicht?

Sie sind in Wien aufgewachsen, im Haus ihrer Urgroßeltern, die deportiert und ermordet wurden. Das Haus ist wieder zurückgegangen an die Familie.

Mein Großvater ist in den 50er-Jahren von Israel mit seiner Familie zurück nach Wien gegangen. Er hat sich sehr lange darum bemüht, dieses Haus zurückzubekommen.

In so einem Haus zu leben in einem Gebäude, das so eine Geschichte trägt, das prägt sicherlich. Nun arbeiten Sie in einem Haus, das zwar sehr schön ist und sehr schön liegt, aber eine furchtbare Geschichte mit sich trägt. Ist das nicht ein bisschen schwierig, mit dem Schatten dieser Vergangenheit zu leben, zu arbeiten?

Ich weiß nicht, welche Geschichte schwerer wiegt oder welches Haus schwerer wiegt. Das Haus, in dem ich in Wien aufgewachsen bin, ist auch sehr schön. Und gleichzeitig ist da natürlich diese Vorstellung, schon als Kind eigentlich in einem Haus zu leben, wo man weiß, da wurden die eigenen Urgroßeltern weggebracht, in Sammellager gesteckt und dann vom Bahnhof in Wien deportiert. Das ist schon eine Schreckensvorstellung, mit so einem Gedanken aufzuwachsen. Deshalb weiß ich gar nicht, was eigentlich schwerer wiegt - in so einem Haus wie dem Haus der Wannsee-Konferenz zu sein oder in dem Haus zu leben, das so nah an den Erfahrungen ist, die die Verfolgten, also die Ermordeten, gemacht haben.

Wir sind gerade dabei, ein Leitbild zu erarbeiten. Und das ist eine der Fragestellungen, die wir sehr intensiv diskutieren. Was ist eigentlich das Haus der Wannsee-Konferenz? Für manche ist es ein Täter-Ort. Für manche ist es aber auch sehr eng verbunden mit den Erfahrungen der Betroffenen. Je nachdem, aus welcher Richtung man sich dieser Geschichte annähert. Gerade für israelische Besucher und Besucherinnen oder aber eben auch für diejenigen mit einem jüdischen Hintergrund bedeutet das Haus der Wannsee-Konferenz nicht immer unbedingt in erster Linie die Auseinandersetzung mit den Tätern.

Das führt auf einen wichtigen Punkt, dass viele Überlebende nicht mehr Zeugenschaft leisten können, aus Altersgründen oder weil sie gar nicht mehr da sind. Wie schwierig wird das, wenn diese Stimmen weniger werden?

Das ist keine neue Diskussion, dass diese Stimmen weniger werden. Das beobachtet man jetzt schon, mindestens die letzten zehn Jahre. Und das ist auch in Israel gar nicht so anders. An der International School for Holocaust Studies waren wir auch zunehmend mit dieser Fragestellung konfrontiert. Es wurde zunehmend schwierig, Überlebende, die Deutsch sprechen, in unsere Seminare einzuladen.

Wir haben dann in Israel noch intensiver damit begonnen, mit der zweiten und dritten Generation zu arbeiten. Natürlicher können diese nicht stellvertretend stehen für die erste Generation, also für die Überlebenden. Aber ich glaube, man kann sich auch den Erfahrungen der Überlebenden annähern – aus der Perspektive der zweiten und dritten Generation, also mit der Fragestellung, was es bedeutet, als Kind oder Enkelkind einer Schoah-Überlebenden aufzuwachsen und in irgendeiner Form zu leben. Die Nachkommen können natürlich nicht das ersetzen, was uns Überlebende erzählen.

Auch nicht Medien oder Technik? Oder sind das andere Ebenen?

Das sind audiovisuelle Erinnerungsberichte, also Interviews mit Überlebenden, die audiovisuell verarbeitet werden. Es gibt schon verschiedene Medien, die versuchen das aufzufangen. Und ich glaube, das kann auch funktionieren. Aber das kann natürlich niemals die Begegnung mit einem Menschen ersetzen.

Das Interview führte Christian Wildt, Inforadio. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Gespräch können Sie hören, wenn Sie auf den Play-Button im Titelbild klicken.

Sendung: Inforadio, 09.11.2021, 10:45 Uhr

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