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Audio: rbb24 Inforadio | 10.09.2022 | J. Barke | Quelle: dpa/Deckwerth/Zinken/Kappeler

Ziviler Ungehorsam bis Sabotage

Wie militant darf Klimaprotest sein?

Während "Extinction Rebellion" die Spree grün färbt, lassen "Tyre Extinguishers" die Luft aus SUV-Reifen. Auch unter Klimaaktivisten besteht kein Konsens, wie radikal ihr Protest sein darf. Doch ein Jugendforscher warnt, sie weiter politisch zu ignorieren. Von Jenny Barke

Langsam breitet sich die neonleuchtende, grüne Farbe im Wasser aus. Das Grün zieht mit dem Strom der Spree, entlang des Ufers vom Berliner Regierungsviertel. Vier vermummte Personen haben die Farbe am Mittwochmorgen in den Fluss geschüttet. Zu der Aktion haben sich die Umweltaktivisten von "Extinction Rebellion" bekannt. Bei der Farbe habe es sich um Uranin gehandelt, sagt deren Sprecherin Manon Gerhardt. Ein Färbemittel, das normalerweise zur Leckortung eingesetzt wird und seine floureszierende Wirkung im Wasser entfaltet.

"Ich verlasse mich auf die wissenschaftlichen Statements im Internet, dass dieser Stoff gänzlich unbedenklich für Natur und Tierwelt ist", sagt Gerhardt dem rbb. Es handle sich um einen bunten, friedlichen Ungehorsam, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Grün werde traditionell mit Gift in Verbindung gesetzt. Am Mittwoch kam der Bundestag erstmals nach der Sommerpause wieder zusammen, da sollte er mit der Aktion aufgerüttelt werden. "Weil Aktivisti und viele Repräsentant:innen aus anderen Umwelt-, Gerechtigkeits-, Klimabewegungen der Meinung sind, dass die Politik viel zu zögerlich ist angesichts dieser alles bedrohenden Krise."

Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Vom dringenden Handlungsbedarf der Politik ist auch die "Letzte Generation" überzeugt. Über Wochen hinweg blockierten die Aktivisten im Sommer immer wieder Straßen in Berlin, klebten sich teils an den Straßen fest und mussten von der Polizei mit Speiseöl vom Asphalt gelöst werden. Auf ihrer Webseite schreiben sie: "Lasst uns handeln, als ob unser Leben davon abhängt. Denn das tut es."

Die Autofahrer, die während der Protestaktionen am Weiterfahren behindert werden, sehen das anders. Viele kritisieren die Blockaden mit der Begründung, dass sie selbst nicht die Verantwortlichen für die Klimakrise seien. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft halten die Aktionen nicht mehr nur für zivielen Ungehorsam, sondern eher für Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: Allein bis zum Juli dieses Jahres wurden in Berlin 175 Strafverfahren im Zusammenhang mit Blockaden von Klimaschutz-Demonstrationen aufgenommen, in 17 Fällen wurde ein Strafbefehl für Straßenblockaden der "Letzten Generation" erlassen.

Forscher: Ohnmacht der Jugend entlädt sich durch Wut

Doch Strafanzeigen dürften viele Aktivisten nicht abschrecken, ist Simon Schnetzer überzeugt. Er forscht, was die Jugend heute umtreibt und sieht in dem immer radikaleren Protest eine logische Konsequenz daraus, dass sie noch immer von der Politik ignoriert wird. "Es ist aus meiner Sicht der Frust, den die jungen Menschen haben, dass sie einerseits sehen, dass das Klima immer schlimmer wird und sie gleichzeitig das Gefühl haben, dass die Politik tatenlos zusieht."

Es handle sich um einen Konflikt der Anpassung, so Jugendforscher Schnetzer. Obwohl klar sei, dass das fossile Zeitalter in Wirtschaftssystemen so nicht weitergehe, versuche sich das System zu erhalten. "Die jungen Menschen erleben: 'Wir müssen das alles ausbaden.' Deshalb wird der stille Protest immer zorniger."

Abgelassene SUV-Reifenluft

Auch Manon Gerhardt von "Extinction Rebellion" kann diese Wut verstehen. Offenbar unterscheidet sich unter den Gruppen jedoch stark, wie diese Wut kanalisiert wird. "Extinction Rebellion" möchte ihren Protest nach eigenen Angaben friedlich organisieren und Aktionsformen wählen, die der Bevölkerung nicht schaden. "Wir wollen, dass sich die Bevölkerung positiv mit uns auseinandersetzt, sonst verhärten wir die Fronten", sagt Gerhardt.

Doch diese Differenzierung der Protestformen kommt bei den Menschen oft nicht an: "Extinction Rebellion" färbt die Spree grün, die "Letzte Generation" klebt sich auf die Straße oder an jahrhundertealte Gemälde, wieder andere lassen die Luft aus SUV-Reifen ab. Zuletzt häuften sich in Facebook-Gruppen die Beschwerden von Autofahrerinnen und Autofahrern, dass Unbekannte mutwillig ihre Wagen beschädigt hätten. In Potsdam klebten an einigen Autos Zettel von "lokalen Klimaaktivist*innen". "Dein Auto nimmt uns Platz zum Leben und die Luft zum Atmen. [...] Es steht für Verschwendung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit. Es ist giftig, schmutzig und tot. Wozu brauchst du das?", stand auf den roten Zetteln.

"Nicht die einen gegen die anderen aufhetzen"

Bereits im Februar hatten sich mehr als 100 Autobesitzer bei der Berliner Polizei gemeldet, weil ihnen die Luft aus den Reifen gelassen wurde. Immer wieder würden solche Vorfälle in Berlin auftreten, bestätigt die Polizei dem rbb. Aktuelle Zahlen würden noch ermittelt. Zu den Aktionen im Februar bekannten sich Mitglieder von "Tyre Extinguishers", die sich nicht zu ihren Aktionen äußern wollen. Auf ihrer Webseite jedoch werden sie sehr deutlich: "Wir tun dies mit einer einfachen Taktik: Wir lassen die Luft aus den Reifen dieser riesigen, unnötigen Fahrzeuge ab und machen ihren Besitzern damit Unannehmlichkeiten."

Sie rechtfertigen ihren Protest ebenfalls damit, dass "Politik und Regierung versagt haben" und dass jeder SUVs hasse. Klimaaktivistin Gerhardt kann diese Form des Protests nicht verstehen. "Ich halte das für sehr kontraproduktiv und für Sachbeschädigung." Ihre Gruppe "Extinction Rebellion" distanziere sich von Sabotageaktionen. Sie ärgert sich darüber, dass zwischen friedlichem Protest und Sachbeschädigung medial oft kein Unterschied gemacht werde. "Wir werden diesen Wandel nur umsetzen können, wenn wir nicht die einen gegen die anderen aufhetzen."

Radikalisierung könnte sich ausweiten

Auch Jugendforscher Simon Schnetzer sieht hier eine Grenze zwischen zivilem Ungehorsam und Militanz. Vor allem erreichten die Aktivisten das Gegenteil von dem, was sie wollten: "Wenn jetzt ein 'Tyre Extinguisher' die Luft rauslässt, dann heißt es danach, dass ein neuer Reifen wieder produziert werden muss. Das ist also letztlich umweltschädlich." Deren Form des Protests konterkariere deshalb das Ziel von Umwelt- und Klimabewegegungen, die sich für den Erhalt der Umwelt und den Klimaschutz einsetzten, so Schnetzer. Die Form von zivilem Ungehorsam, die "Extinction Rebellion" wähle, sei damit konsequent.

Doch auch wenn sich an diesem Beispiel sowohl für den Jugendforscher als auch eine Klimaaktivistin die Frage beantworten lässt, wie militant Klimaprotest sein darf, fordern beide konstruktive Lösungen, um eine weitere Radikalisierung zu verhindern. "Wenn wir auf die letzten beiden Jahre Krisenmodus zurückblicken, dann wurden junge Menschen konsequent aus den Diskussionen, wie wir Probleme bewältigen können, ausgeschlossen", erklärt Schnetzer.

Keine Blockaden bis Herbst

Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" kündigen Pause ihrer Aktionen in Berlin an

Immer wieder haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten Aktivisten auf Berliner Straßen und Autobahnausfahrten festgeklebt und so den Verkehr blockiert. Nun soll mit den Aktionen erst mal Schluss sein.

Auch bei XR wachse Leidensdruck

Aktivistin Gerhardt kündigt indes an, dass Extinction Rebellion am 17. September erneut mit Aktionen zivilem Ungehorsams auf die Straße geht. Damit solle der notwendige Systemwandel erneut eingefordert werden. Und auch wenn Sabotage-Aktionen dabei ausgeschlossen werden würden, auch bei ihnen in der Gruppe wachse der Leidensdruck durch die "Untätigkeit der Regierung" kontinuierlich, so die Sprecherin. "Auch wir suchen nach neuen Aktionsformen, die mehr Effekt haben."

Damit es nicht so weit kommt, sollte die Politik die Protestler und ihre Forderungen ernst nehmen: "Vorschläge, wie die Zukunft anders gestaltet werden könnte, gebe es unter jungen Menschen genug: "Ich finde es wichtig, dass Alternativen zu unserer jetzigen Politik und Wirtschaftsform benannt werden. Sonst bleiben wir immer in dieser Protesthaltung gefangen", sagt Manon Gerhardt.

Jugendforscher fordert Beteiligung der Jugend

Auch Jugendforscher Schnetzer sieht es als großes Ziel an, dass die Jugend beteiligt wird und mit der Beteiligung auch wieder Hoffnung schöpfen kann auf eine lebenswerte Zukunft. "Der erste Schritt ist, jungen Menschen zuzuhören, was ihre Bedürfnisse sind und was sie brauchen. Und am Ende Beteiligung, bei der sie Selbstwirksamkeit erfahren." Deshalb brauche es auch keine Polizei, die immer wieder die Proteste niederschlage, sondern Politikerinnen und Politiker, die die jungen Menschen ernst nehme und beteilige.

Selbstwirksamkeit in der Politik statt auf der Straße: Wird das nicht umgesetzt, werden einige Protestler wohl weiterhin zu radikaleren Aktionen aufrufen, um ihre Zukunftssorgen zu vermitteln. Die "Letzte Generation" will im Herbst wieder nach Berlin kommen. Sie kündigten neue Blockaden an, sollte die Bundesregierung nicht "von ihrem zerstörerischen Kurs abrücken". Sie nennen ihn "totbringend".

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.09.2022, 7 Uhr

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Beitrag von Jenny Barke

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