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Video: Abendschau | 10.03.2023 | Franziska Hoppen | Quelle: dpa/Paul Zinken

"Berlin 2030 klimaneutral"

Volksentscheid sammelt Rekord-Budget von 1,2 Millionen Euro ein

Der Volksentscheid "Berlin 2030 klimaneutral" plakatiert auffällig viel. Möglich macht dies das Rekord-Budget der Kampagne: Wie der rbb exklusiv erfuhr, liegt es bei satten 1,2 Millionen Euro. Wer sind die Geldgeber und warum spenden sie so großzügig? Von F. Hoppen und S. Müller

Eins ist jetzt schon klar: Sollte "Berlin 2030 klimaneutral" am 26. März scheitern, kann es nicht am Geld gelegen haben. Denn noch nie konnte ein Volksbegehren oder ein Volksentscheid so aus dem Vollen schöpfen.

Wie Kampagnen-Sprecherin Jessamine Davis dem rbb sagt, kamen für den Volksentscheid und das vorangegangene Volksbegehren insgesamt 1,2 Millionen Euro an Spenden zusammen. Damit hat der Volksentscheid mehr Geld zur Verfügung als die meisten Parteien zuletzt im Wahlkampf zur Wiederholungswahl. CDU und FDP zum Beispiel hatten jeweils ein Budget von etwa einer Million Euro, die AfD von 500.000.

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Budget übersteigt bei weitem andere Volksentscheide

Für die Klima-Initiative kamen bei drei Crowdfunding-Kampagnen über die Hertie-Stiftung, Startnext und Betterplace durch Kleinspenden 150.000 Euro zusammen. Dazu gab es Geld aus Fördertöpfen, etwa von der grünen Internet-Suchmaschine Ecosia. Der Rest sind hauptsächlich Großspenden von Einzelpersonen und Stiftungen, insgesamt 820.000 Euro. Auf der entsprechenden Webseite des Landeswahlleiters waren sie zuletzt noch nicht alle aufgeführt [berlin.de].

Ein Blick auf andere Volksentscheide zeigt das Rekord-Ausmaß des aktuellen Budgets. Das finanziell nächstgrößere Projekt reicht nicht einmal annähernd an diese Summe heran: Die Spenden für den Erhalt des Flughafens Tempelhof lagen 2008 bei 340.000 Euro. Kampagnen-Sprecherin Jessamine Davis sagt, das "sehr gute" Budget zeige die große Unterstützung für das Anliegen, "denn es geht wirklich ums Überleben."

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Geldregen aus den USA

Mit Abstand größter Geldgeber für die Kampagne ist ein deutsch-amerikanisches Investoren- und Philanthropen-Ehepaar aus New York: Albert Wenger und Susan Danziger. Der gebürtige Franke Wenger lebt seit dem Harvard-Studium in den USA und ist durch Risikokapital-Geschäfte reich geworden. Danziger ist Tech-Unternehmerin mit deutschen Wurzeln, ihre Familie war in den 1930er Jahren vor den Nazis aus Berlin in die USA geflohen. Das Ehepaar hat enge Beziehungen in die deutsche Hauptstadt, Danziger sagt im rbb-Interview mit Blick auf ihre Familiengeschichte: "Ich habe Berlin neu angenommen und Berlin mich."

In der Volksentscheid-Szene sind die Wenger-Danzigers keine Unbekannten. Das Ehepaar, das in der Stadt Hudson im Staat New York ein Projekt zum bedingungslosen Grundeinkommen ins Leben gerufen hat, unterstützte das Berliner Volksbegehren zum Grundeinkommen mit knapp 22.000 Euro.

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Wenger: "Es ist kein großer Betrag"

Für den Klima-Volksentscheid hat das Ehepaar deutlich tiefer in die Tasche gegriffen: Über ihre Familien-Stiftung "Eutopia" wurden insgesamt 475.000 Euro überwiesen. Rupert Graf Strachwitz, Vorstand der Maecenata-Stiftung, einer Denkfabrik zum Thema Philanthropie und Stiftungswesen, ordnet diese Summe als überraschend hoch ein: “Das ist schon beachtlich. Amerikanische Stiftungen, die in aller Regel größer sind als die deutschen, geben schon mal leichter." Dass aber aus dem Stand in dieser Größenordnung gespendet werde, "das ist schon sehr ungewöhnlich.“

"Ich verstehe nicht, wie irgendjemand diese Summe als hoch bezeichnen kann", sagt Albert Wenger dazu im Interview mit dem rbb. "Ich denke, es ist kein großer Betrag, wenn man sich die Klimakrise und ihre Auswirkungen auf die Menschheit anschaut." Wenger und Danziger betonen, es sei auch für ihre Stiftung keine ungewöhnlich hohe Summe, sie hätten bereits für andere Zwecke in ähnlicher Höhe oder sogar noch mehr gegeben. Das Ehepaar setzt darauf, dass Berlin Städten auf der ganzen Welt als Vorbild dienen könnte, wenn der Volksentscheid durchkommt und umgesetzt wird.

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Deutsche Geldgeber mit Szene-Verbindungen

Die Großspenden aus Deutschland liegen deutlich unter der Summe des Ehepaars aus New York, hier geht es um Beträge zwischen 10.000 und 200.000 Euro. Viele der Geldgeber haben enge Verbindungen in die Klima- und Erneuerbare-Energien-Branche.

200.000 Euro kamen von der Haleakala-Stiftung, deren Gründer Paul Grunow ist. Der 60-jährige studierte Physiker hat in der Photovoltaik-Branche als Mitbegründer von Unternehmen wie Solon und Qcells so viel Geld gemacht, dass er eigentlich nicht mehr arbeiten müsste, ist aber weiterhin in der Klima-Branche aktiv. Grunow überzeugte mehrere Geschäftspartner, für den Volksentscheid zu spenden, etwa Sven Lehmann, Geschäftsführer des von ihm mitbegründeten Berliner Photovoltaik-Instituts.

Ein weiterer Großspender ist der Berliner Unternehmer Jochen Wermuth, der sich selbst als "Climate Impact Investor" bezeichnet. Seine Firma beteiligt sich vor allem an jungen CleanTech-Start-Ups. Wermuth ist unter anderem dafür bekannt, dass er schon mehrfach große Summen an die Grünen gespendet hat, zuletzt 100.000 Euro, die dem Berliner Landesverband zukommen sollten. Auch für den Volksentscheid gab Wermuth 100.000 Euro.

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Engagement aus reinem Altruismus?

Hinter ihrem Einsatz beim Klima-Volksentscheid stünden keine finanziellen Interessen, versichert die amerikanische Großspenderin Susan Danziger. "Wir wollen damit kein Geld verdienen", sagt sie. Es könnte allerdings durchaus passieren, dass sie es trotzdem tut. Denn das Ehepaar Wenger-Danziger investiert in Berlin in mehrere Fonds, die grüne Technologien und Klimaschutz fördern.

Der "World Fund" etwa unterstützt Firmen für Solardächer und die digitale Dekarbonisierung von Gebäuden. Der "Green Generation Fund", der vor allem im Bereich grüner Ernährung aktiv ist, hat sich neben dem Klimaschutz auch hohe Renditen auf die Fahnen geschrieben. Wenn Berlin deutlich schneller als bisher geplant klimaneutral werden müsste, könnte dies verstärkte Aufträge für solche Firmen bedeuten.

Solar-Pionier Paul Grunow nennt einen klaren Grund, warum er will, dass der Klima-Volksentscheid erfolgreich ist: Um grünes Wirtschaftswachstum in Berlin zu fördern und neue Unternehmen in die Stadt zu holen. "Wirtschaftsansiedlung in Grün muss einfach nur ein bisschen angepriesen werden und dafür ist der Volksentscheid genau die richtige Aktion", sagt Grunow. "Man muss ein Motto vergeben, damit die Party steigt und das ist ‘Grün'. Ich glaube an grünes Wachstum und hoffe, dass private Investoren investieren werden. Es soll Profit geben für grünes Wachstum."

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Experte kann kein "Geschmäckle" erkennen

Auf die Frage, ob er persönlich von schnellerem Klimaschutz profitieren würde, antwortet Grunow, er sei mittlerweile hauptsächlich als Berater tätig. Allerdings ist er auch an Unternehmen beteiligt, die in Berlin Klimaneubauten realisieren und fungiert außerdem als Projektleiter einer geplanten Bürgersolarfabrik.

Der deutsch-amerikanische Großspender Albert Wenger wehrt sich wie auch seine Frau vehement gegen den möglichen Eindruck, es gehe auch um finanzielle Eigeninteressen: "Die gleichen Leute, die hier Geld beigetragen haben, sind Leute, die die Klimakrise verstehen. Da ist es nicht erstaunlich, dass sich diese Leute um Solarenergie und andere Energieformen kümmern. Das umdrehen zu wollen, ist meines Erachtens billige Rhetorik."

Rupert Graf Strachwitz von der Maecenata-Denkfabrik sieht bei den Engagements der Großspender kein "Geschmäckle". "Ich will gar nicht ausschließen, dass der eine oder andere Spender damit auch ein Eigeninteresse verfolgt", sagt er. "Aber dass Unternehmen, die im Bereich der alternativen Energien unterwegs sind, versuchen, über eine Volksabstimmung eine Wende in der Energiepolitik herbeizuführen, um damit dann bessere Geschäfte zu machen, das schiene mir doch sehr weit hergeholt zu sein."

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Geld ausgeben mit vollen Händen

Insgesamt 1,2 Millionen Euro Budget münden in einer Mobilisierungs-Kampagne, wie Berlin sie noch nicht gesehen hat. Das meiste Geld fließt in Kommunikation, um breit sichtbar sein. Kleinere Plakate an 7.000 Laternen, 650 Großaufsteller, 300.000 Flyer wurden schon verteilt. Dazu kommt Werbung auf Social Media, im ÖPNV und eine Postwurfaktion.

Die Aufgabe für die Kampagne ist aber auch groß: Sie muss die Berlinerinnen und Berliner, die in letzten anderthalb Jahren schon zweimal zur Wahl gebeten wurden, für ein drittes Mal motivieren. Noch dazu an einem Wochenende, wo der Volksentscheid nicht an eine andere Wahl gekoppelt ist und also ganz alleine Strahlkraft entwickeln muss. Kampagnen-Sprecherin Jessamine Davis: "Wir müssen über 600.000 Menschen mobilisieren, mit Ja zu stimmen. Das ist natürlich eine Riesenhürde, denn die Menschen sind wahlmüde."

Großspender Paul Grunow zeigt sich trotz der riesigen Kampagne keineswegs sicher, dass das nötige Quorum an Wählerinnen und Wählern erreicht wird: "Ich bin ein bisschen bange, dass nicht genug kommen." Das deutsch-amerikanische Ehepaar Wenger-Danziger gibt sich grundoptimistisch. Falls es beim ersten Mal nicht funktioniere, könne man immer noch daraus lernen, sagen sie, und dann klappe es vielleicht beim nächsten Mal.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.03.2023, 16:00 Uhr

Hinweis: In einer früheren Version des Textes wurden an einer Stelle Spendensummen und -teilsummen von verschiedenen Volksentscheiden miteinander verglichen, die sich so nicht miteinander vergleichen lassen. Wir haben den entsprechenden Absatz korrigiert.

Beitrag von Franziska Hoppen und Sabine Müller

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