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Quelle: dpa-Zentralbild

Sommerempfang in Potsdam

Brandenburger Grüne im Spagat zwischen Koalition und Klima-Protest

Klimaschützer kritisieren die Grünen dafür, dass sie sich allzu oft nicht durchsetzen. Wie geht die Partei in Brandenburg damit um? Bei einem Sommerempfang in Potsdam trafen am Dienstag Politiker auf Klima-Aktivistinnen. Von Thomas Bittner

Es wirkt, als gebe es was zu feiern: Die grüne Fraktion im Brandenburger Landtag lädt am Dienstag zum Sommerempfang. Und das in einer Zeit, in der der kleinsten Regierungspartei Brandenburgs der Gegenwind von politischen Gegnern und medialen Beobachtern zurzeit so heftig ins Gesicht weht, wie selten. In der sich - sowohl im bundespolitischen Berlin wie auch im landespolitischen Potsdam - die Koalitionspartner eher gegen sie verbünden als mit ihnen zusammenzuarbeiten. In der ihr Vizekanzler Robert Habeck unbeliebter als Olaf Scholz, Christian Lindner und Friedrich Merz ist. Ein Abend, als sei nichts passiert? Sekt, Grünpflanzen-Deko und Grußworte - alles wie immer?

Hitzeschutz-Maßnahmen in Potsdam

Mit einer Karte und dem Telefon gegen die sengende Hitze

Die Stadt Potsdam hat am Dienstag ihre neuen Hitzeschutz-Maßnahmen vorgestellt. Durch den Klimawandel werden immer mehr Hitzetage erwartet. Potsdam möchte dem nun mit Trinkwasser, einer Karte und dem Telefonhörer trotzen. Von Yasser Speck

"Klima. Arbeit. Zukunft." - dieses Thema haben die Einladenden für den Abend gesetzt. Dass Zukunft nicht ohne Klimaschutz geht, ist in der DNA der grün bewegten Partei verankert. "Arbeit" kommt als Synonym für Sozialpolitik dazu. Die Grünen wissen, dass viel Arbeit auf sie zukommt: Die Angst vor Jobverlust und finanzieller Überforderung treibt die Menschen um. Zwei Drittel der Deutschen machen sich Sorgen, dass sie die geplanten Maßnahmen zum klimaschonenden Heizen finanziell nicht stemmen können. In der Lausitz gibt es die Sorge, dass der Kohleausstieg schneller kommt als der Strukturwandel wirkt.

Doch die Grünen wollen sich ihre Zuversicht nicht nehmen lassen. Bei den jüngsten Umfrageergebnissen im Bund und im Land liegen die Werte der Grünen stabil auf der Höhe des letzten Wahlergebnisses. Brandenburgs Fraktionschef Benjamin Raschke erinnert an Prophezeiungen kurz nach der Landtagswahl 2019. "Da hieß es: Die Grünen könnten nicht regieren. Die Grünen würden in der Mitte der Legislatur unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen. Das hat sich alles nicht bewahrheitet."

Klimaplan noch vor der Sommerpause

Das ist erstaunlich, denn sowohl im Bund als auch im Land regieren die Grünen in Dreierkonstellationen. Die Grünen haben sich in Brandenburgs Regierung die Zuständigkeit für den Klima- und Umweltschutz gesichert, verweisen auch gern auf den ersten Klimaschutz-Minister in der Landesgeschichte. Axel Vogel arbeitet an einem Klimaplan, der gerade mit den anderen Ministerien abgestimmt wird und noch vor der Sommerpause vorgelegt werden soll. Auch ein Gesetz ist noch nicht vom Tisch, so die Hoffnung.

Doch in der Kenia-Konstellation kämpfen die Grünen gleich an zwei Klimafronten. Beim Thema Kohleausstieg müssen sie sich mit der SPD auseinandersetzen, für eine Verkehrswende ist das CDU-Ressort kein einfacher Partner. Die Grünen wünschen sich einen früheren Kohleausstieg als den, der verabredet ist. 2030 statt 2038. "Schwierig ist für uns, dass die SPD so uneinig und so auf der Suche ist. Es fehlt die klare Festlegung", sagt Benjamin Raschke.

"Wir glauben - und die Ökonomen sagen das - dass der Kohleausstieg sowieso vor 2038 kommt. Die Frage ist nur: Steuern wir das als Politik oder lassen wir das auf uns zukommen?" Er warnt davor, dass vielleicht eines Tages die Leag ihre Verpflichtungen zur Rekultivierung und Arbeitsplatzsicherung nicht erfüllt, "weil der Konzern den Laden über Nacht dicht macht". Der Zeitpunkt ist für viele Grüne gar nicht das Entscheidende, sondern eher die Menge der eingesparten Kohlendioxid-Emissionen. "Entscheidend ist: Wieviel Kohle bleibt im Boden?", sagt die Landesvorsitzende Alexandra Pichl. Und deutet damit an, wo ein möglicher Kompromiss liegen kann.

Nach Oder-Konferenz

Polen und Deutschland uneins über Maßnahmen gegen Fischsterben

In der Verkehrspolitik wollen Raschke und seine Fraktion die Kollegen der CDU für besseren Nahverkehr und mehr Schienenverkehr "ein bisschen" treiben. "Wir wollen, dass mehr Leute kein Auto mehr haben müssen, wenn sie sich das nicht leisten wollen." In einem Flächenland ist das keine einfache Position. Aber das Bewusstsein für grüne Themen sei gestiegen, zum Beispiel beim Thema Windkraft. Tatsächlich: 70 Prozent der Brandenburger halten den verstärkten Ausbau der Windenergie für richtig, sagt der jüngste BrandenburgTrend.

"Kulturkampf ums Klima"

Und doch werden die Grünen zerrieben zwischen den abwehrenden Reaktionen der eigenen Koalitionspartner und den weitergehenden Forderungen von Klima-Aktivisten. Zum Sommerempfang hatte sich die Fraktion Luisa Neubauer von "Fridays for Future" eingeladen. Klima sei lange als Klientel-Thema gesehen worden, sagt Neubauer am Rande des Empfangs dem rbb. "Jetzt erleben wir gerade fast einen Kulturkampf ums Klima. Um da rauszukommen, müssen wir ganz dringend wieder einen demokratischen Konsens hinter Klimaschutz bringen." Es reiche nicht, dass eine Partei Klima wichtig findet, das müssten alle Parteien machen. "Auch darum müssen die Grünen kämpfen und sich nicht auf irgendwelche Kompromisse einlassen, die auf Kosten von Lebensgrundlagen und unser aller Perspektiven gehen."

Noch kritischer werden die Grünen von den Aktivisten der "Letzten Generation" gesehen. Die Grünen seien wichtig als Klimaschutzpartei, sagt Raphael Thelen von der "Letzten Generation" auf rbb-Anfrage. Aber wichtiger seien die Sozialdemokraten. "Denn letztlich geht es in der Klimakrise um Gerechtigkeit. Herr Woidke und Herr Scholz müssen sich bewegen." Von der FDP als "Partei der Reichen" erwarte man nichts, auch bei der CDU habe man nicht viel Hoffnung. Die Grünen setzten sich aber oft nicht genug durch.

"Ich sehe auch, dass viel Markt-Liberalismus bei den Grünen eingesickert ist, dass viel über Preise geregelt werden soll, zum Beispiel bei der CO2-Bepreisung", sagt Thelen. Wer für Emissionen sorgt, soll dafür bezahlen. "Aber wer sehr viel Geld hat, kann sich dann auch sehr viel CO2 leisten. Das ist ja auch nicht gerecht. Deshalb glaube ich, wir müssten da noch schärfer regulieren", so Thelen.

Die "Letzte Generation" sorgt mit spektakulären Straßensperrungen, Besetzungen von fossilen Energieanlagen und symbolischen Bilderstürmer-Aktionen für Unruhe. Der Verdacht der Bildung einer "kriminellen Vereinigung" steht im Raum.

BrandenburgTrend

CDU und AfD liegen gleichauf vorne - Unzufriedenheit mit Regierung wächst

Anderthalb Jahre vor der Landtagswahl liegen die Zustimmungswerte der Regierungskoalition bei 37 Prozent. Das sind zwei Prozentpunkte weniger im Vergleich zum letzten BrandenburgTrend. CDU und AfD liegen mit jeweils 23 Prozent vorne.

Grüne wollen schneller vorankommen

Die Grünen-Politikerin Ricarda Budke, jüngste Landtagsabgeordnete, will sich den Protestformen der Letzten Generationen nicht anschließen. "Aber wir sind als Politiker:innen besser beraten, darüber zu reden, warum junge Menschen das tun, als darüber zu reden, wie sie es tun."

Petra Budke, ihre Mutter und Fraktionschefin, sieht es ähnlich: "Wir müssen uns doch fragen: Warum greifen die Menschen zu solchen Aktionen? Sie müssen sehr, sehr verzweifelt sein. Wir fühlen uns durchaus von den Bewegungen auf der Straße getrieben und auch unterstützt in unseren Forderungen, schneller voranzukommen."

Ganz oft hört man so etwas im Gespräch mit grünen Landespolitikern. Man müsse schneller vorankommen. Das sei auch die häufigste Kritik von Klimaaktivisten gegenüber den Grünen. Dafür haben selbst die Kritisierten Verständnis.

"Wenn wir allein regieren würden, würde es deutlich schneller gehen", meint Alexandra Pichl und lacht. Denn davon sind die Grünen weit entfernt. In Brandenburg stehen sie in Umfragen bei neun Prozent.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 06.06.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

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