Sommerempfang in Potsdam - Brandenburger Grüne im Spagat zwischen Koalition und Klima-Protest

Di 06.06.23 | 22:35 Uhr | Von Thomas Bittner
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Ein Teilnehmer einer Kundgebung von „Fridays for Future“ hält 2021 in Potsdam ein Schild mit der Aufschrift „Act Now“ hoch. (Quelle: dpa/Monika Skolimowska)
Bild: dpa-Zentralbild

Klimaschützer kritisieren die Grünen dafür, dass sie sich allzu oft nicht durchsetzen. Wie geht die Partei in Brandenburg damit um? Bei einem Sommerempfang in Potsdam trafen am Dienstag Politiker auf Klima-Aktivistinnen. Von Thomas Bittner

Es wirkt, als gebe es was zu feiern: Die grüne Fraktion im Brandenburger Landtag lädt am Dienstag zum Sommerempfang. Und das in einer Zeit, in der der kleinsten Regierungspartei Brandenburgs der Gegenwind von politischen Gegnern und medialen Beobachtern zurzeit so heftig ins Gesicht weht, wie selten. In der sich - sowohl im bundespolitischen Berlin wie auch im landespolitischen Potsdam - die Koalitionspartner eher gegen sie verbünden als mit ihnen zusammenzuarbeiten. In der ihr Vizekanzler Robert Habeck unbeliebter als Olaf Scholz, Christian Lindner und Friedrich Merz ist. Ein Abend, als sei nichts passiert? Sekt, Grünpflanzen-Deko und Grußworte - alles wie immer?

"Klima. Arbeit. Zukunft." - dieses Thema haben die Einladenden für den Abend gesetzt. Dass Zukunft nicht ohne Klimaschutz geht, ist in der DNA der grün bewegten Partei verankert. "Arbeit" kommt als Synonym für Sozialpolitik dazu. Die Grünen wissen, dass viel Arbeit auf sie zukommt: Die Angst vor Jobverlust und finanzieller Überforderung treibt die Menschen um. Zwei Drittel der Deutschen machen sich Sorgen, dass sie die geplanten Maßnahmen zum klimaschonenden Heizen finanziell nicht stemmen können. In der Lausitz gibt es die Sorge, dass der Kohleausstieg schneller kommt als der Strukturwandel wirkt.

Doch die Grünen wollen sich ihre Zuversicht nicht nehmen lassen. Bei den jüngsten Umfrageergebnissen im Bund und im Land liegen die Werte der Grünen stabil auf der Höhe des letzten Wahlergebnisses. Brandenburgs Fraktionschef Benjamin Raschke erinnert an Prophezeiungen kurz nach der Landtagswahl 2019. "Da hieß es: Die Grünen könnten nicht regieren. Die Grünen würden in der Mitte der Legislatur unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen. Das hat sich alles nicht bewahrheitet."

Klimaplan noch vor der Sommerpause

Das ist erstaunlich, denn sowohl im Bund als auch im Land regieren die Grünen in Dreierkonstellationen. Die Grünen haben sich in Brandenburgs Regierung die Zuständigkeit für den Klima- und Umweltschutz gesichert, verweisen auch gern auf den ersten Klimaschutz-Minister in der Landesgeschichte. Axel Vogel arbeitet an einem Klimaplan, der gerade mit den anderen Ministerien abgestimmt wird und noch vor der Sommerpause vorgelegt werden soll. Auch ein Gesetz ist noch nicht vom Tisch, so die Hoffnung.

Doch in der Kenia-Konstellation kämpfen die Grünen gleich an zwei Klimafronten. Beim Thema Kohleausstieg müssen sie sich mit der SPD auseinandersetzen, für eine Verkehrswende ist das CDU-Ressort kein einfacher Partner. Die Grünen wünschen sich einen früheren Kohleausstieg als den, der verabredet ist. 2030 statt 2038. "Schwierig ist für uns, dass die SPD so uneinig und so auf der Suche ist. Es fehlt die klare Festlegung", sagt Benjamin Raschke.

"Wir glauben - und die Ökonomen sagen das - dass der Kohleausstieg sowieso vor 2038 kommt. Die Frage ist nur: Steuern wir das als Politik oder lassen wir das auf uns zukommen?" Er warnt davor, dass vielleicht eines Tages die Leag ihre Verpflichtungen zur Rekultivierung und Arbeitsplatzsicherung nicht erfüllt, "weil der Konzern den Laden über Nacht dicht macht". Der Zeitpunkt ist für viele Grüne gar nicht das Entscheidende, sondern eher die Menge der eingesparten Kohlendioxid-Emissionen. "Entscheidend ist: Wieviel Kohle bleibt im Boden?", sagt die Landesvorsitzende Alexandra Pichl. Und deutet damit an, wo ein möglicher Kompromiss liegen kann.

In der Verkehrspolitik wollen Raschke und seine Fraktion die Kollegen der CDU für besseren Nahverkehr und mehr Schienenverkehr "ein bisschen" treiben. "Wir wollen, dass mehr Leute kein Auto mehr haben müssen, wenn sie sich das nicht leisten wollen." In einem Flächenland ist das keine einfache Position. Aber das Bewusstsein für grüne Themen sei gestiegen, zum Beispiel beim Thema Windkraft. Tatsächlich: 70 Prozent der Brandenburger halten den verstärkten Ausbau der Windenergie für richtig, sagt der jüngste BrandenburgTrend.

"Kulturkampf ums Klima"

Und doch werden die Grünen zerrieben zwischen den abwehrenden Reaktionen der eigenen Koalitionspartner und den weitergehenden Forderungen von Klima-Aktivisten. Zum Sommerempfang hatte sich die Fraktion Luisa Neubauer von "Fridays for Future" eingeladen. Klima sei lange als Klientel-Thema gesehen worden, sagt Neubauer am Rande des Empfangs dem rbb. "Jetzt erleben wir gerade fast einen Kulturkampf ums Klima. Um da rauszukommen, müssen wir ganz dringend wieder einen demokratischen Konsens hinter Klimaschutz bringen." Es reiche nicht, dass eine Partei Klima wichtig findet, das müssten alle Parteien machen. "Auch darum müssen die Grünen kämpfen und sich nicht auf irgendwelche Kompromisse einlassen, die auf Kosten von Lebensgrundlagen und unser aller Perspektiven gehen."

Noch kritischer werden die Grünen von den Aktivisten der "Letzten Generation" gesehen. Die Grünen seien wichtig als Klimaschutzpartei, sagt Raphael Thelen von der "Letzten Generation" auf rbb-Anfrage. Aber wichtiger seien die Sozialdemokraten. "Denn letztlich geht es in der Klimakrise um Gerechtigkeit. Herr Woidke und Herr Scholz müssen sich bewegen." Von der FDP als "Partei der Reichen" erwarte man nichts, auch bei der CDU habe man nicht viel Hoffnung. Die Grünen setzten sich aber oft nicht genug durch.

"Ich sehe auch, dass viel Markt-Liberalismus bei den Grünen eingesickert ist, dass viel über Preise geregelt werden soll, zum Beispiel bei der CO2-Bepreisung", sagt Thelen. Wer für Emissionen sorgt, soll dafür bezahlen. "Aber wer sehr viel Geld hat, kann sich dann auch sehr viel CO2 leisten. Das ist ja auch nicht gerecht. Deshalb glaube ich, wir müssten da noch schärfer regulieren", so Thelen.

Die "Letzte Generation" sorgt mit spektakulären Straßensperrungen, Besetzungen von fossilen Energieanlagen und symbolischen Bilderstürmer-Aktionen für Unruhe. Der Verdacht der Bildung einer "kriminellen Vereinigung" steht im Raum.

Grüne wollen schneller vorankommen

Die Grünen-Politikerin Ricarda Budke, jüngste Landtagsabgeordnete, will sich den Protestformen der Letzten Generationen nicht anschließen. "Aber wir sind als Politiker:innen besser beraten, darüber zu reden, warum junge Menschen das tun, als darüber zu reden, wie sie es tun."

Petra Budke, ihre Mutter und Fraktionschefin, sieht es ähnlich: "Wir müssen uns doch fragen: Warum greifen die Menschen zu solchen Aktionen? Sie müssen sehr, sehr verzweifelt sein. Wir fühlen uns durchaus von den Bewegungen auf der Straße getrieben und auch unterstützt in unseren Forderungen, schneller voranzukommen."

Ganz oft hört man so etwas im Gespräch mit grünen Landespolitikern. Man müsse schneller vorankommen. Das sei auch die häufigste Kritik von Klimaaktivisten gegenüber den Grünen. Dafür haben selbst die Kritisierten Verständnis.

"Wenn wir allein regieren würden, würde es deutlich schneller gehen", meint Alexandra Pichl und lacht. Denn davon sind die Grünen weit entfernt. In Brandenburg stehen sie in Umfragen bei neun Prozent.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 06.06.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

12 Kommentare

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  1. 12.

    "Mehr Bullerbü wagen wagen" war Wahlkampfspruch der Linksalternativen. Wer die Autos aus der Innenstadt weg haben will, muss an der Quelle ansetzen. Das wäre die Außenbezirke und das Umland. Dafür wurde aber so gut wie nichts getan, egal ob Radinfra oder Ausbau der Tram. Immerhin wurde der Busfahrplan ausgedünnt, angeblich wg. Corona. Nur mit Halbierung der Parkplätze ändern sich die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen in Berlin nicht, auch wenn man das in Bullerbü zu glauben scheint. Konkret wäre das sogar bei M41 kontraproduktiv, da der eh schon trotz 5min-Takt an Überfüllung und Verspätung leidet. In Xhain denkt man zuerst an Radfahrer anstelle den gesamten Umweltverbund zu betrachten.

  2. 11.

    Die "Klimaschützer" sind doch im Geiste Kinder der Grünen. Mir ist es unverständlich, wie die Grünen bei der letzten Landtagswahl 10,8 % erhielten. Ich denke, das viele Wähler den Fehler nicht noch einmal machen werden.

  3. 10.

    Ach, hören Sie doch endlich auf mit Ihrem beknackten "Bullerbü"!
    Sie meinen mit "Bullerbü": Kleine Kinder, die nicht ernst genommen müssen.
    Jarasch meinte damit: Eine Welt erhalten, die noch nicht so zerstört ist, dass sie noch lebenswert genug ist.
    Sie können sich entscheiden.

    Die Argumente sind auch Käse. Radwege bremsen keine Busse aus. Autos bremsen Busse aus. Bussspuren wurden weiland eingeführt, weil Busse dauernd im Stau standen.
    Ach ja... - so kommen wir nicht voran...

  4. 9.

    Anders als Bullerbü-Linksalternative wollen die Grünen in Brandenburg das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Die wollen, dass zuerst der ÖPNV ausgebaut wird.
    "In der Verkehrspolitik wollen Raschke und seine Fraktion die Kollegen der CDU für besseren Nahverkehr und mehr Schienenverkehr "ein bisschen" treiben. "Wir wollen, dass mehr Leute kein Auto mehr haben müssen, wenn sie sich das nicht leisten wollen." Gerade in der Fläche ist man heute zu oft ohne Auto aufgeschmissen.

    In Berlin wird dem gegenüber der Ausbau der Tram sabotiert und Busse mit Radwegen ausgebremst. Aktuell will z.B. die Bullerbü-Fraktion in Xhain den M41 ausbremsen und dessen späteren Ersatz durch eine Straßenbahn verbauen:
    https://www.igeb.org/pressedienst/igebpresse_20230605.html

  5. 8.

    Man beachte die martialische Ausdrucksweise von Frau Neubauer. Es gab schon einmal einen "Kampf der Kulturen".

  6. 7.

    Hoffentlich heißt es nach der nächsten Landtagswahl für diese Partei: Ab ins Grüne mit euch!

  7. 6.

    Es ist nur eine Zeitfrage, wann die Grüne Partei auseinanderfliegt. Hunderte Grüne positionieren sich gegen geplante Verschärfungen im Asylrecht – und stellen sich damit gegen die eigene Führung. Die Verschärfungen sind erforderlich, um überhaupt zu einem EU Kompromiss zu kommen.

  8. 5.

    Das Grundproblem sehe ich eher darin, dass Parlamentarier weniger ihrem eigenen Gewissen als vielmehr dem Maximum bei Umfragewerten verpflichtet scheinen.

    Die Partei, die sie ja aufgestellt hat, mag ja so denken und sich dem nicht entziehen können. Parlamentarier und Regierungsvertreter sollten darüber m. E. erhaben sein.

    Lieber wähle ich einen Menschen mit einem gehörigen Maß INDIVIDUELL GEWONNENER Überzeugung, mit dem ich in gewissen Teilen nicht übereinstimme, als dass ich jemanden wähle, mit dem / mit der ich stärker übereinstimme, aber nur Hinterbänkler ist und das macht, was bloß eine Parteiführung verlangt.

    Zivilgesellschaft ist das eine; sie macht aufmerksam, bietet neue Argumente und sorgt für kulturelle Umbrüche, die sich dann auch in Wahlen äußern. Gewählte Parlamentsabgeordnete sind demgegenüber etwas anderes.

    Gerade die Bündnisgrünen betrifft das.

  9. 4.

    Verurteilte Kriminelle der Letzten Generation wollen weiterhin nicht einsehen, dass die mit deren Straftaten bisher nichts erreicht haben als die Bevölkerung gegen sich aufzubringen. Auch die Mehrheit der Grünen sehen deren Handeln als kontraproduktiv an. Was hätte man mit den Millionen Spendeneuro alles erreichen können, wenn man die z.B. für eine Klage gegen die Bundesregung verwenden hätte anstelle in Strafprozessen, wo politische Ansichten laut Grundgesetz keine Rolle spielen dürfen, selber vor Gericht zu stehen und das Geld für Strafbescheide, Anwalts und Gerichtskosten zu verschwenden.

  10. 3.

    Man merkt wie die Grünen völlig Ideologie-Gesteuert sind, aber am Bürger und deren Realität meilenweit vorbei. Die machen eher Zukunftsängste für unser Flächenland von der Stadt aus. „Wir wollen das die Menschen weniger Autos haben…..“. Das heißt Mobilitätsbeschränkungen, auch beim Unterhalt von Autos die notwendig sind auf dem Land. Mehr Feindseligkeit geht nicht

  11. 2.

    *Die Grünen stehen in Brandenburg bei 9%". Damit ist bezüglich der Akzeptanz alles gesagt.

  12. 1.

    Man kommt nie schneller voran, wenn man irgendwo festklebt.
    Das sollten sogar grasgrüne Hardliner begreifen.

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