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Video: rbb24 Abendschau | 24.08.2023 | Leonie Schwarzer | Studiogast: Louis Krüger | Quelle: IMAGO/Paul Eckenroth

Berliner Probleme beim Schulbau

"Unsere Schule sollte man lieber abreißen"

Der Sanierungsstau an Berliner Schulen bleibt riesig. Zugleich eröffnet der Senat zahlreiche neue Schulbauten. Aber auch der Neubau hält nicht mit dem Bedarf mit. Von T. Schmutzler, K. Buchmann und L. Schwarzer

"Seit acht Jahren bin ich hier – und seit acht Jahren kenne ich das nicht anders", sagt Stephan Witzke und öffnet die Fenster eines Klassenraums in der Lisa-Tetzner-Schule. Er ist Leiter der Grundschule in Neukölln-Buckow. Die maroden Außenfenster fallen buchstäblich auseinander, das Holz ist an vielen Stellen ganz abgebröckelt. "Man sagt mir schon seit sechs, sieben Jahren, dass die Fenster außen saniert werden sollen. Aber die Entscheidung ist wohl noch nicht gefallen", sagt Witzke.

Die Fenster in den Klassenräumen sind inzwischen nicht mehr einbruchssicher. In der ersten Etage lassen sich sie sich von außen mit der Hand aufdrücken, berichtet der Schulleiter. In diesem Sommer seien so Menschen in die Schule eingedrungen, als das Gebäude leer stand. Sie haben teilweise Klassenräume verwüstet und die Einrichtung zerstört. Sich mit diesen Problemen zu befassen, koste ihn viel Energie, sagt Witzke. "Wenn mal was passiert: Wer trägt dann die Verantwortung? Wer trägt die Schuld?"

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Sanierungsstau an Berliner Schulen

Jahrelang wurde an der Lisa-Tetzner-Schule gar nichts saniert. Inzwischen sind zumindest die Decken im Treppenhaus und in einigen Klassenräumen neu gemacht. Das wurde nötig wegen der Wasserschäden, die sechs Jahre lang immer schlimmer wurden. "Je mehr es regnete und je mehr Wasser durchkam, umso größer wurde die Gefahr, dass das alles mal abstürzt – obwohl da tagtäglich Kinder durchs Treppenhaus gingen", erinnert sich Schulleiter Witzke. Er hofft, dass die neue Decke auch starkem Regen standhalten wird.

Die Lisa-Tetzner-Schule ist nur ein Beispiel für den großen Sanierungsstau in Berliner Schulen. Rund 130 Schulgebäude werden laut Senatsverwaltung für Bildung aktuell saniert, renoviert oder erweitert. Aber der Bedarf ist wesentlich größer. Die Sanierungen sind Teil der Schulbauoffensive des Senats, die auch den Neubau von Schulgebäuden abdeckt.

Neue Typenbauten sollen Neubau beschleunigen

Ortswechsel nach Berlin-Mitte, in die Adalbertstraße. Gut gelaunt stehen der Bausenator Christian Gaebler (SPD) und der Staatssekretär für Schulbau Torsten Kühne (CDU) vor wehenden Flaggen. Es ist Richtfest für den Neubau einer modularen Grundschule mit Sporthalle. Fast 600 Schülerinnen und Schüler werden hier voraussichtlich ab 2024 unterrichtet.

Das neue Haus ist eine sogenannte Compartment-Schule. Sie folgt einem modernen pädagogischen Konzept: Klassenräume sind um ein Forum herum gruppiert, um unterschiedliche Lernsituationen abzudecken. Das ist das Gegenmodell zur traditionellen "Flurschule". Das Richtfest in der Adalbertstraße ist das siebte innerhalb von 14 Monaten für eine dieser Typenschulen. "Das ist ein guter Wert", sagt SPD-Bausenator Gaebler. Der Typenbau beschleunige die Planung und den Bau neuer Schulen, da Genehmigungen nicht jedes Mal neu erteilt werden müssen.

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"Manche Gebäude halten nicht mehr lange durch"

"Das geht jetzt wie geschnitten Brot – dank der Typenbauten wird alle paar Monate ein Schulgebäude fertig werden", verspricht CDU-Staatssekretär Kühne. "Im Augenblick bauen wir noch hinterher. Aber wenn jetzt nicht weitere weltweite Krisen, die Auswirkungen auf uns haben, passieren, dann haben wir eine realistische Chance, in vielleicht zwei Jahren die Trendwende zu schaffen." Trendwende heißt für ihn: Berlin baut dann mehr neue Schulplätze, als Kinder hinzukommen.

So will der Senat den Mangel von aktuell über 20.000 fehlenden Schulplätzen überwinden. Im Moment gehe das Defizit zu Lasten der bestehenden Schulen, so der Staatssekretär für Schulbau. "Wir packen immer noch mehr Schüler in unsere Schulgebäude, obwohl wir wissen, dass viele Schulen schon am Limit sind." Der bürokratische Begriff dafür lautet "Übernutzung der schulischen Infrastruktur" – und der hat konkrete Folgen, sagt Kühne: "Manche Gebäude, das weiß ich selbst, halten nicht mehr lange durch." Und die Klassen werden in manchen Schulen immer größer.

Rekordzahl an Schülern in Berlin

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Berlin ist gerade auf einen Rekordwert gestiegen, auch durch Geflüchtete aus der Ukraine. Allein an den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen werden nun 353.320 Kinder und Jugendliche unterrichtet, an den allgemeinbildenden Schulen in freier Trägerschaft sind es weitere 41.790 Schülerinnen und Schüler. Währenddessen eröffnen zum Schulstart 2023 sechs neue öffentliche Schulen, es sind jetzt insgesamt 706 in Berlin. 4.000 zusätzliche Schulplätze sind zum neuen Schuljahr entstanden, 7.000 weitere will der Senat im kommenden Jahr schaffen.

Eine Milliarde Euro pro Jahr plant der Senat im Haushaltsentwurf für die Schulbauoffensive. "Am Geld scheitert es gar nicht mal", sagt Tom Erdmann, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin. "In den Bezirken fehlt das Personal, um die Sanierungen zu organisieren." Angesichts von 3.000 offenen Stellen insgesamt sagt Erdmann: "Die Bezirke bluten aus."

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Personalmangel in Bezirken bremst Sanierung

Dieses Problem sieht auch Louis Krüger, schulpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus. Durch den Personalmangel in den Bezirken "bleiben Gelder liegen", sagt Krüger. Das Verhältnis zwischen Neubau und Sanierung kippe aus seiner Sicht aktuell immer mehr zugunsten des Neubaus. Krüger fordert mehr Informationen über die Bauprojekte. Der Senat solle eine Transparenzplattform einrichten, die eine Übersicht über alle Schulbau- und Sanierungsprojekte geben soll. Bürgerinnen und Bürger sollen so regelmäßige Updates über den aktuellen Stand der Projekte bekommen.

Einen aktuellen Stand – den hätte auch Schulleiter Witzke in Neukölln gerne. Nicht nur die Fenster verfaulen hier allmählich, in der Turnhalle haben Wasserschäden deutliche Spuren hinterlassen. "Wenn es Starkregen gibt, dann regnet das Wasser auch hier in der Turnhalle an manchen Stellen richtig runter. An den Pfützen müssen wir dann Eimer aufstellen", berichtet Witzke. Auf dem Hallenboden sind mehrere große Flecken eingetrocknet.

Schulleiter kritisierte langwierige Planungen

"Natürlich wünschte man sich, da passiert lieber heute als morgen was. Aber der Schulträger ist offensichtlich überfordert", sagt der Schulleiter. "Frustrierend finde ich, dass man kommunikativ immer nur kleine Ausschnitte hört. Ich vermisse eine konkrete Planung und Entscheidungen."

Angesichts der Summe vieler einzelner Mängel zieht Stephan Witzke ein bitteres Fazit. "Die Schule fällt zwar noch nicht ganz auseinander, aber es gibt so viele Baustellen, dass ich sage: Dann doch lieber abreißen. Aber das Problem ist ja: Wohin mit den Schülern? Es gibt keinen Ersatzbau."

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.08.2023, 09:05 Uhr

Beitrag von Tobias Schmutzler, Kirsten Buchmann, Leonie Schwarzer

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