Offene Stellen an Berliner Schulen - Ungleicher Wettbewerb um Lehrerinnen und Lehrer

Fr 30.06.23 | 08:28 Uhr
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Eine Lehrerin erklärt den Schülern zum Beginn des neuen Schuljahres den neuen Stundenplan. (Quelle: dpa/Jens Kalaene)
Video: rbb|24 Abendschau | 30.06.2023 | Leonie Schwarzer | Bild: dpa/Jens Kalaene

Im neuen Schuljahr werden voraussichtlich 1.500 Berliner Lehrerstellen unbesetzt sein, rechnerisch zwei pro Schule. Schulleiter schildern ihre Erfahrung: Der Lehrermangel betrifft sie unterschiedlich stark. Von Kirsten Buchmann und Leonie Schwarzer

  • Brennpunktschulen mangelt es an Lehrkräften
  • Förderbedarfe können kaum erfüllt werden
  • Opposition kritisiert Kippen der 96-Prozent-Regel

"It was such a great time at our primary school", rufen fünf Schülerinnen der sechsten Klasse und halten Plakate hoch. Sie stehen vor ihrer Klasse und üben für ihre Abschluss-Aufführung. Denn: Es sind für sie die letzten Tage an der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule in Berlin-Lichtenrade.

Für Eliza Bünger geht es nach den Sommerferien aufs Gymnasium. "Es hat sehr viel Spaß gemacht, in dieser Klasse zu lernen", sagt die Schülerin mit den Sommersprossen rückblickend, "es sind nicht oft Stunden ausgefallen, es war eigentlich immer wie geplant." Ihre Klassenkameradin Emilia Klette stimmt ihr zu: "Lehrermangel gibt es eigentlich nicht an unserer Schule."

Das passt zu dem, wie Schulleiter Jens Otte die Situation schildert: Es gebe genügend Bewerberinnen und Bewerber, viele Förderangebote an seiner Schule. Doch woran liegt das? Otte vermutet: auch an der Stimmung in der Schule. Es werde viel dafür getan, dass sich die Lehrkräfte wohlfühlen. Doch daneben spielt auch die Lage eine Rolle: Zwar liegt Lichtenrade nicht innerhalb des S-Bahn-Rings, aber: "Das hier ist eine problemarme Schule am Stadtrand" – und nicht die Schule im Brennpunkt.

Weniger Förderangebote

Ganz anders ist die Situation etwa 25 Kilometer weiter, ganz im Westen Berlins, an der Christian-Morgenstern-Grundschule in Spandau. Schulleiterin Karina Jehniche blättert besorgt durch die Pläne fürs kommende Schuljahr. Sie habe bis jetzt nur 88 Prozent der Stellen besetzt, es fehlen dementsprechend fünf bis sechs Lehrkräfte.

Darunter leide nicht der Regelunterricht, also Deutsch oder Mathe. "Alles, was den Kindern zusätzlich zur Verfügung stehen sollte, wie Sprachförderung und Förderangebote, kann ich nur zu einem geringen Teil abdecken", so die Schulleiterin.

Dabei wären die Förderangebote für ihre Schülerinnen und Schüler wichtig, denn die Schule liege mitten in einem sozialen Brennpunktgebiet. "Meine Schülerschaft setzt sich zu 90 Prozent aus Kindern zusammen, die aus Familien mit Migrationsgeschichte kommen", sagt Jehniche. Die Kinder hätten einen Nachholbedarf bei der Sprachförderung – und Förderbedarf auch in vielen anderen Bereichen.

Ein Großteil der Eltern beziehe außerdem Transferleistungen, die Familien bräuchten Unterstützung. "Wenn wir diesen Kindern in der Schule die Unterstützung nicht geben, dann bedeutet das: Ihre Bildungschancen sind schon von der ersten Klasse an wesentlich schlechter als in vergleichbaren Schulen in anderen Stadtbezirken."

Neue Senatorin will auf Anreize setzen

Um diesem Ungleichgewicht in den Bezirken entgegenzuwirken, hatte die vorherige Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) eine Regelung auf den Weg gebracht: Schulen durften demnach nur etwa 96 Prozent der Stellen besetzen. Die Idee dahinter: Lehrkräfte, die an beliebten Schulen abgewiesen werden, bewerben sich dann an weniger beliebten Schulen – und dadurch wird die Situation insgesamt gerechter.

Als eine ihrer ersten Amtshandlungen kippte Busses Nachfolgerin, Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), diese Regelung wieder. Sie setzt stattdessen auf andere Wege. "Wir wollen über Anreizsysteme arbeiten", so die Senatorin, "und wir wollen schon früher in der Lehramtsausbildung steuern." Welche Anreize genau in Frage kommen, werde derzeit noch geprüft.

Kritik an dem Kurs der Senatorin kommt aus der Opposition. Die bildungspolitische Sprecherin der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Franziska Brychcy, sagt, das Ende der 96-Prozent-Regelung verschärfe die ungleiche Situation an den Schulen noch. Sie fordert, dass durch ein zentrales Bewerbungsverfahren "die Kolleginnen an den Schulen eingestellt werden, wo der größte Mangel besteht."

Unterrichtshilfen und Assistenten

Den Lehrkräftemangel spürt die Schulleiterin Karina Jehniche an ihrer Spandauer Schule. Zwei Interessentinnen, die zum Gespräch da waren, sprangen später wieder ab, wie sie erzählt. Jehniche, auch Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen, führt das auf das Ende der 96-Prozent-Steuerung zurück. Mit dieser Regelung habe sie den Eindruck gehabt, "dass man Bewerberinnen in die Randbezirke bekommen hat. Die Steuerung mitten im Bewerbungsverfahren aufzuheben, war fatal."

Ganz anderer Meinung ist Jens Otte, der Schulleiter der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule in Lichtenrade. Er findet es "sehr gut, dass die Schulen wieder zu 100 Prozent ausgestattet werden dürfen."

An der Christian-Morgenstern-Grundschule ist Karina Jehniche von einer 100-Prozent-Ausstattung weit entfernt. 140 Stunden pro Woche kann sie nicht durch Lehrkräfte besetzen, sagte sie und zeigt auf ihre Pläne. Schließen will sie die Lücke mit pädagogischen Unterrichtshilfen sowie einer pädagogischen Assistenz. Allerdings können die aus ihrer Sicht nicht dasselbe leisten wie Lehrkräfte.

Eine Übergangslösung, die aber wohl noch lange Zeit bestehen bleiben wird. Denn es wird dauern, bis mehr voll ausgebildete Bewerber von den Universitäten und an ihre Schule kommen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.06.2023, 15:00 Uhr

27 Kommentare

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  1. 27.

    Man kann Referendare nicht zwingen, an Brennpunktschulen zu gehen. An diesen wird sich die Situation in absehbarer Zeit sogar noch zuspitzen, wenn etwa der Wachschutz und die Jugendhilfeeinrichtungen in den Kiezen weggespart werden.
    Anstatt die Situation an den Brennpunktschulen nachhaltig zu verbessern - etwa mehr Sozialarbeiter einstellt und gegenseitigen Respekt und interkulturelle Verständigung fördert - wird hier bei den Referendariatsplätzen auf Zwang gesetzt und werden zukpnftige Lehrkräfte verfeuert.

  2. 26.

    Wer möchte denn noch in dieser Stadt/Land noch einen Beruf ausüben (besonders im sozialen Bereich) wo man mit Menschen zu tun hat und nur noch Ärger hat?
    Ich nicht mehr!

  3. 25.

    [...] "Sie fordert, dass durch ein zentrales Bewerbungsverfahren die Kolleginnen an den Schulen eingestellt werden, wo der größte Mangel besteht."

    Prima Idee!
    Damit vergrault man noch mehr Kolleg:innen. Die machen es dann wie ich ab 1.8. und gehen
    an eine Private!

  4. 24.

    Tatsächlich sind kaum welche dabei. Und diejenigen, die ich kennengelernt habe im den letzten Jahren waren nach unserem Verständnis eher Pauker und Drillmeister als Lehrkräfte. Wandetage, Elternarbeit, Klassenfahrten, Konferenzen, Konzeptarbeit etc. war nicht bekannt und wurde oft abgelehnt. Förderung und Inklusion dito. Zudem haben die meisten keine hinreichenden Deutschkenntnisse.
    Ist halt doch nicht so leicht mit den ausländischen Fachkräften...

  5. 23.

    Diagnostiziert wird an der Schule viel. Doch die anschließenden Prozesse sind so bürokratisch, dass es oft mehr als ein Schuljahr braucht, um den offiziellen Status zu bekommen. Bei Personalmangel fallen dann meist die Fördermassnahmen weg und wenn eine Schule weniger als 100% Lehrerausstattung hat plus Krankheit, Fortbildung etc. gibt es täglich Personalmangel. D3nn wer denkt, die Leute kommen mit Expertise in LRS-, Dyskalkulie- o. a. Förderung aus der Uni, der irrt leider.

  6. 22.

    Leider denken Sie nicht wie viele Lehrkräfte es tun: Seitdem die Verbeamtung in Berlin wieder winkt, wechseln ausgebildete Lehrkräfte gern ins staatliche System, wo sie spielend eine Stelle finden. Und m.E. sind freie Träger nicht an das Ausbildungsverfahren für Quereinsteiger angeschlossen, d.h. dort steigen demnächst die Zahlen von nicht ausgebildeten Menschen, die vor den Kindern stehen. Viel können elterliche Erziehung und Anregung wettmachen aber nicht alles ...

  7. 21.

    So ist es! Die Bewerbungsunterlagen für angehende Referendare in Berlin sind mit unangemessenen Drohungen gespickt und weisen bürokratisch verschwurbelt darauf hin, dass man sich mit seiner Unterschrift ( spätestens nächste Woche, sonst raus bis zum nächsten Jahr ) zum Opfer der Berliner Bildungsmisere macht- wir schicken Dich dahin, wo es uns grade passt. Was macht eine angehende in Berlin ausgebildete Lehrerin mit zwei Kindern? Bewirbt sich in Brandenburg und wird mit offenen Armen empfangen, nach ihren Standortwünschen gefragt, zeitlichen Möglichkeiten; wenige freundliche DIN A4 Seiten schnell ausgefüllt ( Berlin 27 Seiten ); knapp eine Woche später die räumlich/zeitlich passende Stelle und ein Willkommensschreiben vom Schulleiter.

  8. 20.

    "trotz unbefristeter Genehmigung nur befristete Arbeitsverträge (22 Stück in 5 Jahren)" Sollte nicht eine Kettenbefristung von AVs untersagt werden? Oder habe Sie jedes Mal den Arbeitgeber gewechselt?
    https://www.bund-verlag.de/betriebsrat/lexikon/kettenbefristung
    https://www.gesetze-im-internet.de/tzbfg/__14.html

  9. 19.

    es sind doch 5 Millionen Fachkräfte eingereist und es kommen monatlich 1500 per Flugzeug
    und kein Lehrer dabei ???

  10. 18.

    Das ist reine Illusion und mehr Glauben+Hoffnung statt Realität. Ich habe 7 Jahre an privaten Schulen in Berlin gearbeitet und das war die reine Ausbeutung. Viel weniger Gehalt als an staatlichen Schulen, 40 Wochenstunden Präsenzpflicht, kaum Kollegen mit Lehrerausbildung, viel Personalwechsel und eine Elternschaft, die glaubt mit Geld die Schulabschlüsse ihrer Kinder kaufen zu können. Ätzend.

  11. 17.

    Ich habe mich mit 55 noch mal ins 18-monatige Ref. gesetzt und fand es sehr erfrischend mit Mitzwanzigern zu plaudern. Die Fach- und das Hauptseminar waren zwar langweilig und wenig ergiebig, aber nu bin ich „vollwertig“. In Deutschland zählt halt das beschriebene Papier.

  12. 16.

    Ich habe 15 Jahre als Lehrer für Mathematik, Physik und Biologie unterrichtet. Ich musste 2 Jahre lang Quereinsteigerqualifikationen und Lehrproben des Berliner Senats über mich ergehen lassen und erhielt am Ende die unbefristete lehrgenehmigung. Da ich seinerzeit an evangelischen Schulen gearbeitet habe erhielt ich diese Genehmigung nur für ev. Schulen. Für normale Berliner Schulen müsste ich nochmal 18 Monate Referendariat nachholen, was ich nicht machen werde.
    Leider sind die Arbeitsbedingungen an ev. Schulen schlecht für Ingenieure, trotz unbefristeter Genehmigung nur befristete Arbeitsverträge (22 Stück in 5 Jahren) und miserable Bezahlung.
    Physiklehrer werden nicht gebraucht!

  13. 15.

    Wer will es den Lehrern verdenken bei dem aktuellen Steuersystem und den Abzügen.
    Man fährt mit 30 Stunden einfach besser als mit 40 und spart eine Menge Nerven und Steuern.

  14. 14.

    Was würde das an der Gesamtzahl der verfügbaren Lehrer ändern?

  15. 13.

    Vielleicht sollte man mal die Ursachen dafür beheben, dass es nicht genug Lehrer gibt.
    Aber mir scheint, ein Großteil in Politik und Medien hat gar kein Interesse daran.
    Da werden die immer gleichen Rezepte durchgekaut, und die Lage wird nicht besser.
    Als würde man einem Apfel-Allergiker jeden Tag einen Korb Äpfel hinstellen und hoffen, dass er sie nun endlich mal aufisst.

  16. 12.

    Zirka 40 % aller Lehrkräfte arbeiten deutschlandweit in Teilzeit. Meine Partnerin, die an einer Berliner Schule arbeitet, sieht das so: Oft nicht zu wenige, aber gerade die fertig ausgebildeten jüngeren Lehrerinnen und Lehrer steigen zum Teil schon direkt mit Teilzeit ein. Und damit meint sie nicht die, die Kinder haben. Außerdem stellt sie immer wider fest, dass das Einstiegsalter nicht mehr 25 ist, sondern oft deutlich über 30 liegt.

  17. 11.

    "Eine problemarme Schule am Stadtrand."
    Da möchte man lieber Lehrer sein, als in einer sog. "Brennpunktschule".
    Hier zeigt sich eine Unzulänglichkeit unseres Schulsystems : eine Brennpunktschule benötigt eigentlich viel mehr Personal und kleinere Klassen als die problemarme Schule.
    Im Prinzip werden aber alle Schulen gleich behandelt unabhängig vom konkreten Bedarf.
    So wird das nichts mit der Integration von Menschen mit akutem Migrationshintergrund. Das politische Establishment redet zwar gern von Integration, tut aber viel zu wenig dafür.
    Ganz schlimm war die 96 % Stellenbegrenzung, die RRG einführte: Personelle Unterversorgung als staatlich festgelegtes Bildungsziel. Das war ein Armutszeugnis.


  18. 10.
    Antwort auf [J.] vom 30.06.2023 um 11:32

    Gerade habe ich mit persönlichen betroffenen Lehrern bzw. Referendaren gesprochen.
    Es geht nicht nur um die Verbeamtung ja/nein, sondern auch um die zusätzlichen Klassen, die viele Berliner Schulen trotz Raum- und Personalmangel gegen den Willen der Schulleiter aufmachen müssen.

  19. 8.

    "Selbst Rechtschreibschwächen und. ä. werden nicht erkannt."

    Merkt man hier auch täglich.

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